Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite



als Gliedern der bürgerlichen Gesellschaft ob-
liegen.

Wir besitzen unsere Güter als rechtmäßige
Kinder unserer Vorfahren. Wie würde es uns
gefallen, wenn wir solche nackte Kerls wären, als
wir nothwendig seyn müßtzten, wenn unsere Väter
eben so klug gewesen wären, als wir seyn wollen,
und wenn ihnen der Ehestand eben so verächtlich
gewesen wäre? Sollen wir nicht eben so gut für
unsere Nachkommen sorgen, da wir die Vorsorge
unserer Väter für uns mit Danck erkennen?

Dieser Einfall schmeckt dir vielleicht allzusehr
nach der Sittenlehre. Jch will dir etwas vorle-
gen, das uns mehr rühret. Wie können wir
Sparsamkeit und gute Haushaltung von denen
Frauensleuten erwarten, deren Nutzen mit dem
unsrigen nicht verbunden ist? Müssen wir nicht
zum voraus denken, daß sie unser Vermögen ver-
schwenden werden? - - Sie wissen, daß ihr An-
theil an uns sehr ungewiß ist, weil wir veränder-
lich, und heute so, morgen anders sind. Wenn
nun diese Huren nicht in den Tag hinein leben,
sondern auf das Künftige dencken, so müssen sie
nothwendig etwas auf den Winter zu sammlen su-
chen, wo es in ihrem Vermögen stehet: ist aber
dieses nicht, so werden sie verschwenden helfen, so
viel sie können, weil nichts als die jetzige Stunde
ihnen gehöret. Jhre Lebensart, und das, was
sie uns aufgeopfert haben, machen, daß sie weder
an Ehre noch Gewissen dencken können.

Eine



als Gliedern der buͤrgerlichen Geſellſchaft ob-
liegen.

Wir beſitzen unſere Guͤter als rechtmaͤßige
Kinder unſerer Vorfahren. Wie wuͤrde es uns
gefallen, wenn wir ſolche nackte Kerls waͤren, als
wir nothwendig ſeyn muͤßtzten, wenn unſere Vaͤter
eben ſo klug geweſen waͤren, als wir ſeyn wollen,
und wenn ihnen der Eheſtand eben ſo veraͤchtlich
geweſen waͤre? Sollen wir nicht eben ſo gut fuͤr
unſere Nachkommen ſorgen, da wir die Vorſorge
unſerer Vaͤter fuͤr uns mit Danck erkennen?

Dieſer Einfall ſchmeckt dir vielleicht allzuſehr
nach der Sittenlehre. Jch will dir etwas vorle-
gen, das uns mehr ruͤhret. Wie koͤnnen wir
Sparſamkeit und gute Haushaltung von denen
Frauensleuten erwarten, deren Nutzen mit dem
unſrigen nicht verbunden iſt? Muͤſſen wir nicht
zum voraus denken, daß ſie unſer Vermoͤgen ver-
ſchwenden werden? ‒ ‒ Sie wiſſen, daß ihr An-
theil an uns ſehr ungewiß iſt, weil wir veraͤnder-
lich, und heute ſo, morgen anders ſind. Wenn
nun dieſe Huren nicht in den Tag hinein leben,
ſondern auf das Kuͤnftige dencken, ſo muͤſſen ſie
nothwendig etwas auf den Winter zu ſammlen ſu-
chen, wo es in ihrem Vermoͤgen ſtehet: iſt aber
dieſes nicht, ſo werden ſie verſchwenden helfen, ſo
viel ſie koͤnnen, weil nichts als die jetzige Stunde
ihnen gehoͤret. Jhre Lebensart, und das, was
ſie uns aufgeopfert haben, machen, daß ſie weder
an Ehre noch Gewiſſen dencken koͤnnen.

Eine
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0138" n="132"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
als Gliedern der bu&#x0364;rgerlichen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft ob-<lb/>
liegen.</p><lb/>
          <p>Wir be&#x017F;itzen un&#x017F;ere Gu&#x0364;ter als rechtma&#x0364;ßige<lb/>
Kinder un&#x017F;erer Vorfahren. Wie wu&#x0364;rde es uns<lb/>
gefallen, wenn wir &#x017F;olche nackte Kerls wa&#x0364;ren, als<lb/>
wir nothwendig &#x017F;eyn mu&#x0364;ßtzten, wenn un&#x017F;ere Va&#x0364;ter<lb/>
eben &#x017F;o klug gewe&#x017F;en wa&#x0364;ren, als wir &#x017F;eyn wollen,<lb/>
und wenn ihnen der Ehe&#x017F;tand eben &#x017F;o vera&#x0364;chtlich<lb/>
gewe&#x017F;en wa&#x0364;re? Sollen wir nicht eben &#x017F;o gut fu&#x0364;r<lb/>
un&#x017F;ere Nachkommen &#x017F;orgen, da wir die Vor&#x017F;orge<lb/>
un&#x017F;erer Va&#x0364;ter fu&#x0364;r uns mit Danck erkennen?</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;er Einfall &#x017F;chmeckt dir vielleicht allzu&#x017F;ehr<lb/>
nach der Sittenlehre. Jch will dir etwas vorle-<lb/>
gen, das <hi rendition="#fr">uns</hi> mehr ru&#x0364;hret. Wie ko&#x0364;nnen wir<lb/>
Spar&#x017F;amkeit und gute Haushaltung von denen<lb/>
Frauensleuten erwarten, deren Nutzen mit dem<lb/>
un&#x017F;rigen nicht verbunden i&#x017F;t? Mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en wir nicht<lb/>
zum voraus denken, daß &#x017F;ie un&#x017F;er Vermo&#x0364;gen ver-<lb/>
&#x017F;chwenden werden? &#x2012; &#x2012; Sie wi&#x017F;&#x017F;en, daß ihr An-<lb/>
theil an uns &#x017F;ehr ungewiß i&#x017F;t, weil wir vera&#x0364;nder-<lb/>
lich, und heute &#x017F;o, morgen anders &#x017F;ind. Wenn<lb/>
nun die&#x017F;e Huren nicht in den Tag hinein leben,<lb/>
&#x017F;ondern auf das Ku&#x0364;nftige dencken, &#x017F;o mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie<lb/>
nothwendig etwas auf den Winter zu &#x017F;ammlen &#x017F;u-<lb/>
chen, wo es in ihrem Vermo&#x0364;gen &#x017F;tehet: i&#x017F;t aber<lb/>
die&#x017F;es nicht, &#x017F;o werden &#x017F;ie ver&#x017F;chwenden helfen, &#x017F;o<lb/>
viel &#x017F;ie ko&#x0364;nnen, weil nichts als die jetzige Stunde<lb/>
ihnen geho&#x0364;ret. Jhre Lebensart, und das, was<lb/>
&#x017F;ie uns aufgeopfert haben, machen, daß &#x017F;ie weder<lb/>
an Ehre noch Gewi&#x017F;&#x017F;en dencken ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Eine</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[132/0138] als Gliedern der buͤrgerlichen Geſellſchaft ob- liegen. Wir beſitzen unſere Guͤter als rechtmaͤßige Kinder unſerer Vorfahren. Wie wuͤrde es uns gefallen, wenn wir ſolche nackte Kerls waͤren, als wir nothwendig ſeyn muͤßtzten, wenn unſere Vaͤter eben ſo klug geweſen waͤren, als wir ſeyn wollen, und wenn ihnen der Eheſtand eben ſo veraͤchtlich geweſen waͤre? Sollen wir nicht eben ſo gut fuͤr unſere Nachkommen ſorgen, da wir die Vorſorge unſerer Vaͤter fuͤr uns mit Danck erkennen? Dieſer Einfall ſchmeckt dir vielleicht allzuſehr nach der Sittenlehre. Jch will dir etwas vorle- gen, das uns mehr ruͤhret. Wie koͤnnen wir Sparſamkeit und gute Haushaltung von denen Frauensleuten erwarten, deren Nutzen mit dem unſrigen nicht verbunden iſt? Muͤſſen wir nicht zum voraus denken, daß ſie unſer Vermoͤgen ver- ſchwenden werden? ‒ ‒ Sie wiſſen, daß ihr An- theil an uns ſehr ungewiß iſt, weil wir veraͤnder- lich, und heute ſo, morgen anders ſind. Wenn nun dieſe Huren nicht in den Tag hinein leben, ſondern auf das Kuͤnftige dencken, ſo muͤſſen ſie nothwendig etwas auf den Winter zu ſammlen ſu- chen, wo es in ihrem Vermoͤgen ſtehet: iſt aber dieſes nicht, ſo werden ſie verſchwenden helfen, ſo viel ſie koͤnnen, weil nichts als die jetzige Stunde ihnen gehoͤret. Jhre Lebensart, und das, was ſie uns aufgeopfert haben, machen, daß ſie weder an Ehre noch Gewiſſen dencken koͤnnen. Eine

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/138
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/138>, abgerufen am 21.11.2024.