Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite


Weil die Fräulein nicht wuste, was für
Absichten Herr Lovelace hatte, und wor-
über er so verdrießlich wäre; so wollen
wir das folgende nach seiner eigenen Er-
zählung, die aus seinen Briefen genom-
men ist, einrücken. Er erzählt, daß er
sich auf eine zornige Art ihre Gesellschaft
bey dem Abend-Essen ausgebeten habe,
und fahrt darauf also fort.

Mein eigensinniges Kind antwortete: es ist et-
was hartes, daß ich über meine Zeit nicht zu be-
fehlen haben soll. Ueber eine halbe Stunde will
ich zu ihnen in den Speise-Saal kommen.

Jch gieng in der halben Stunde zu den
Frauens-Leuten hinunter, die sehr an mir heraus
waren, daß ich ihr Ursache geben möchte grausam
zu seyn, weil sie doch grausam seyn wollte. Sie
führeten ihre Beweise aus der Natur des schönen
Geschlechtes und aus den Umständen, daß ich nichts
zu hoffen hätte, wenn ich blöde bliebe, und daß ich
mir durch die letzte Tod-Sünde keinen heftigern
Zorn zuziehen könnte. Jch sollte zum wenigsten
versuchen, was er für Wirckungen haben würde,
wenn ich mir mehr Freyheiten gegen sie heraus-
nähme. Jhre Gründe wurden durch meine Lei-
denschaft stärcker, und ich entschloß mich, mir einige
Freyheiten zu nehmen, und wenn sie mir dieses
nicht übel nähme, zu noch größeren Freyheiten zu
schreiten, und alles ihrer harten Aufführung gegen
mich Schuld zu geben. Jn diesem Sinne gieng
ich hinauf, und spatzierte wie einer der die Gicht

hat,


Weil die Fraͤulein nicht wuſte, was fuͤr
Abſichten Herr Lovelace hatte, und wor-
uͤber er ſo verdrießlich waͤre; ſo wollen
wir das folgende nach ſeiner eigenen Er-
zaͤhlung, die aus ſeinen Briefen genom-
men iſt, einruͤcken. Er erzaͤhlt, daß er
ſich auf eine zornige Art ihre Geſellſchaft
bey dem Abend-Eſſen ausgebeten habe,
und fahrt darauf alſo fort.

Mein eigenſinniges Kind antwortete: es iſt et-
was hartes, daß ich uͤber meine Zeit nicht zu be-
fehlen haben ſoll. Ueber eine halbe Stunde will
ich zu ihnen in den Speiſe-Saal kommen.

Jch gieng in der halben Stunde zu den
Frauens-Leuten hinunter, die ſehr an mir heraus
waren, daß ich ihr Urſache geben moͤchte grauſam
zu ſeyn, weil ſie doch grauſam ſeyn wollte. Sie
fuͤhreten ihre Beweiſe aus der Natur des ſchoͤnen
Geſchlechtes und aus den Umſtaͤnden, daß ich nichts
zu hoffen haͤtte, wenn ich bloͤde bliebe, und daß ich
mir durch die letzte Tod-Suͤnde keinen heftigern
Zorn zuziehen koͤnnte. Jch ſollte zum wenigſten
verſuchen, was er fuͤr Wirckungen haben wuͤrde,
wenn ich mir mehr Freyheiten gegen ſie heraus-
naͤhme. Jhre Gruͤnde wurden durch meine Lei-
denſchaft ſtaͤrcker, und ich entſchloß mich, mir einige
Freyheiten zu nehmen, und wenn ſie mir dieſes
nicht uͤbel naͤhme, zu noch groͤßeren Freyheiten zu
ſchreiten, und alles ihrer harten Auffuͤhrung gegen
mich Schuld zu geben. Jn dieſem Sinne gieng
ich hinauf, und ſpatzierte wie einer der die Gicht

hat,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0224" n="218"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p> <hi rendition="#et"> <hi rendition="#fr">Weil die Fra&#x0364;ulein nicht wu&#x017F;te, was fu&#x0364;r<lb/>
Ab&#x017F;ichten Herr Lovelace hatte, und wor-<lb/>
u&#x0364;ber er &#x017F;o verdrießlich wa&#x0364;re; &#x017F;o wollen<lb/>
wir das folgende nach &#x017F;einer eigenen Er-<lb/>
za&#x0364;hlung, die aus &#x017F;einen Briefen genom-<lb/>
men i&#x017F;t, einru&#x0364;cken. Er erza&#x0364;hlt, daß er<lb/>
&#x017F;ich auf eine zornige Art ihre Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft<lb/>
bey dem Abend-E&#x017F;&#x017F;en ausgebeten habe,<lb/>
und fahrt darauf al&#x017F;o fort.</hi> </hi> </p><lb/>
          <p>Mein eigen&#x017F;inniges Kind antwortete: es i&#x017F;t et-<lb/>
was hartes, daß ich u&#x0364;ber meine Zeit nicht zu be-<lb/>
fehlen haben &#x017F;oll. Ueber eine halbe Stunde will<lb/>
ich zu ihnen in den Spei&#x017F;e-Saal kommen.</p><lb/>
          <p>Jch gieng in der halben Stunde zu den<lb/>
Frauens-Leuten hinunter, die &#x017F;ehr an mir heraus<lb/>
waren, daß ich ihr Ur&#x017F;ache geben mo&#x0364;chte grau&#x017F;am<lb/>
zu &#x017F;eyn, weil &#x017F;ie doch grau&#x017F;am &#x017F;eyn wollte. Sie<lb/>
fu&#x0364;hreten ihre Bewei&#x017F;e aus der Natur des &#x017F;cho&#x0364;nen<lb/>
Ge&#x017F;chlechtes und aus den Um&#x017F;ta&#x0364;nden, daß ich nichts<lb/>
zu hoffen ha&#x0364;tte, wenn ich blo&#x0364;de bliebe, und daß ich<lb/>
mir durch die letzte Tod-Su&#x0364;nde keinen heftigern<lb/>
Zorn zuziehen ko&#x0364;nnte. Jch &#x017F;ollte zum wenig&#x017F;ten<lb/>
ver&#x017F;uchen, was er fu&#x0364;r Wirckungen haben wu&#x0364;rde,<lb/>
wenn ich mir mehr Freyheiten gegen &#x017F;ie heraus-<lb/>
na&#x0364;hme. Jhre Gru&#x0364;nde wurden durch meine Lei-<lb/>
den&#x017F;chaft &#x017F;ta&#x0364;rcker, und ich ent&#x017F;chloß mich, mir einige<lb/>
Freyheiten zu nehmen, und wenn &#x017F;ie mir die&#x017F;es<lb/>
nicht u&#x0364;bel na&#x0364;hme, zu noch gro&#x0364;ßeren Freyheiten zu<lb/>
&#x017F;chreiten, und alles ihrer harten Auffu&#x0364;hrung gegen<lb/>
mich Schuld zu geben. Jn die&#x017F;em Sinne gieng<lb/>
ich hinauf, und &#x017F;patzierte wie einer der die Gicht<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">hat,</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[218/0224] Weil die Fraͤulein nicht wuſte, was fuͤr Abſichten Herr Lovelace hatte, und wor- uͤber er ſo verdrießlich waͤre; ſo wollen wir das folgende nach ſeiner eigenen Er- zaͤhlung, die aus ſeinen Briefen genom- men iſt, einruͤcken. Er erzaͤhlt, daß er ſich auf eine zornige Art ihre Geſellſchaft bey dem Abend-Eſſen ausgebeten habe, und fahrt darauf alſo fort. Mein eigenſinniges Kind antwortete: es iſt et- was hartes, daß ich uͤber meine Zeit nicht zu be- fehlen haben ſoll. Ueber eine halbe Stunde will ich zu ihnen in den Speiſe-Saal kommen. Jch gieng in der halben Stunde zu den Frauens-Leuten hinunter, die ſehr an mir heraus waren, daß ich ihr Urſache geben moͤchte grauſam zu ſeyn, weil ſie doch grauſam ſeyn wollte. Sie fuͤhreten ihre Beweiſe aus der Natur des ſchoͤnen Geſchlechtes und aus den Umſtaͤnden, daß ich nichts zu hoffen haͤtte, wenn ich bloͤde bliebe, und daß ich mir durch die letzte Tod-Suͤnde keinen heftigern Zorn zuziehen koͤnnte. Jch ſollte zum wenigſten verſuchen, was er fuͤr Wirckungen haben wuͤrde, wenn ich mir mehr Freyheiten gegen ſie heraus- naͤhme. Jhre Gruͤnde wurden durch meine Lei- denſchaft ſtaͤrcker, und ich entſchloß mich, mir einige Freyheiten zu nehmen, und wenn ſie mir dieſes nicht uͤbel naͤhme, zu noch groͤßeren Freyheiten zu ſchreiten, und alles ihrer harten Auffuͤhrung gegen mich Schuld zu geben. Jn dieſem Sinne gieng ich hinauf, und ſpatzierte wie einer der die Gicht hat,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/224
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/224>, abgerufen am 16.05.2024.