Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite



gestern Abends neues vorgefallen seyn, das sie' mir
nothwendig sagen müssen? Seit dem Abend, da
ich ihnen zu Gefallen wider meinen Willen die
Comödie besuchte? und da ich auch wider meinen
Willen mit ihnen so späte habe aufbleiben müs-
sen? - - -

Jch muß ihnen sagen, Fräulein, daß es mir
unerträglich ist, mit ihnen unter einem Dache zu
seyn, und dennoch so fremde zu bleiben. Jch ha-
be tausenderley mit ihnen zu reden, das unsere je-
tzigen Umstände und unsere künftige Hoffnung be-
trifft. Wenn ich ihnen aber mein gantzes Hertz
eröffnen will, so zwingen sie mich, gantz fremde zu
thun. Sie machen, daß zwischen meinen eigenen
Handlungen keine Gleichheit seyn kann: sie suchen
nur Zeit zu gewinnen. Sie müssen gewiß ande-
re Absichten haben. Sagen sie mir, Fräulein,
um Gottes willen sagen sie mir sogleich ohne Zwey-
deutigkeit und ohne Ausflüchte, von welcher Seite
sie mich künftig ansehen und kennen lernen wollen.
Die Entsernung ist mir unerträglich: die Qual,
zwischen Furcht und Hoffnung zu seyn, ist mir
unerträglich.

Von welcher Seite, Herr Lovelace? nicht
von der schlimmen Seite. (Fassen sie mich doch
nicht so fort an: (sie wollte die Hand loß ma-
chen) lassen sie mich gehen.

Sie hassen mich, Fräulein. - -

Jch hasse niemanden. - -

Sie hassen mich, Fräulein: sagte ich noch
einmahl.

Weil



geſtern Abends neues vorgefallen ſeyn, das ſie' mir
nothwendig ſagen muͤſſen? Seit dem Abend, da
ich ihnen zu Gefallen wider meinen Willen die
Comoͤdie beſuchte? und da ich auch wider meinen
Willen mit ihnen ſo ſpaͤte habe aufbleiben muͤſ-
ſen? ‒ ‒ ‒

Jch muß ihnen ſagen, Fraͤulein, daß es mir
unertraͤglich iſt, mit ihnen unter einem Dache zu
ſeyn, und dennoch ſo fremde zu bleiben. Jch ha-
be tauſenderley mit ihnen zu reden, das unſere je-
tzigen Umſtaͤnde und unſere kuͤnftige Hoffnung be-
trifft. Wenn ich ihnen aber mein gantzes Hertz
eroͤffnen will, ſo zwingen ſie mich, gantz fremde zu
thun. Sie machen, daß zwiſchen meinen eigenen
Handlungen keine Gleichheit ſeyn kann: ſie ſuchen
nur Zeit zu gewinnen. Sie muͤſſen gewiß ande-
re Abſichten haben. Sagen ſie mir, Fraͤulein,
um Gottes willen ſagen ſie mir ſogleich ohne Zwey-
deutigkeit und ohne Ausfluͤchte, von welcher Seite
ſie mich kuͤnftig anſehen und kennen lernen wollen.
Die Entſernung iſt mir unertraͤglich: die Qual,
zwiſchen Furcht und Hoffnung zu ſeyn, iſt mir
unertraͤglich.

Von welcher Seite, Herr Lovelace? nicht
von der ſchlimmen Seite. (Faſſen ſie mich doch
nicht ſo fort an: (ſie wollte die Hand loß ma-
chen) laſſen ſie mich gehen.

Sie haſſen mich, Fraͤulein. ‒ ‒

Jch haſſe niemanden. ‒ ‒

Sie haſſen mich, Fraͤulein: ſagte ich noch
einmahl.

Weil
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0226" n="220"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
ge&#x017F;tern Abends neues vorgefallen &#x017F;eyn, das &#x017F;ie' mir<lb/>
nothwendig &#x017F;agen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en? Seit dem Abend, da<lb/>
ich ihnen zu Gefallen wider meinen Willen die<lb/>
Como&#x0364;die be&#x017F;uchte? und da ich auch wider meinen<lb/>
Willen mit ihnen &#x017F;o &#x017F;pa&#x0364;te habe aufbleiben mu&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en? &#x2012; &#x2012; &#x2012;</p><lb/>
          <p>Jch muß ihnen &#x017F;agen, Fra&#x0364;ulein, daß es mir<lb/>
unertra&#x0364;glich i&#x017F;t, mit ihnen unter einem Dache zu<lb/>
&#x017F;eyn, und dennoch &#x017F;o fremde zu bleiben. Jch ha-<lb/>
be tau&#x017F;enderley mit ihnen zu reden, das un&#x017F;ere je-<lb/>
tzigen Um&#x017F;ta&#x0364;nde und un&#x017F;ere ku&#x0364;nftige Hoffnung be-<lb/>
trifft. Wenn ich ihnen aber mein gantzes Hertz<lb/>
ero&#x0364;ffnen will, &#x017F;o zwingen &#x017F;ie mich, gantz fremde zu<lb/>
thun. Sie machen, daß zwi&#x017F;chen meinen eigenen<lb/>
Handlungen keine Gleichheit &#x017F;eyn kann: &#x017F;ie &#x017F;uchen<lb/>
nur Zeit zu gewinnen. Sie mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en gewiß ande-<lb/>
re Ab&#x017F;ichten haben. Sagen &#x017F;ie mir, Fra&#x0364;ulein,<lb/>
um Gottes willen &#x017F;agen &#x017F;ie mir &#x017F;ogleich ohne Zwey-<lb/>
deutigkeit und ohne Ausflu&#x0364;chte, von welcher Seite<lb/>
&#x017F;ie mich ku&#x0364;nftig an&#x017F;ehen und kennen lernen wollen.<lb/>
Die Ent&#x017F;ernung i&#x017F;t mir unertra&#x0364;glich: die Qual,<lb/>
zwi&#x017F;chen Furcht und Hoffnung zu &#x017F;eyn, i&#x017F;t mir<lb/>
unertra&#x0364;glich.</p><lb/>
          <p>Von welcher Seite, Herr <hi rendition="#fr">Lovelace?</hi> nicht<lb/>
von der &#x017F;chlimmen Seite. (Fa&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie mich doch<lb/>
nicht &#x017F;o fort an: (&#x017F;ie wollte die Hand loß ma-<lb/>
chen) la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie mich gehen.</p><lb/>
          <p>Sie ha&#x017F;&#x017F;en mich, Fra&#x0364;ulein. &#x2012; &#x2012;</p><lb/>
          <p>Jch ha&#x017F;&#x017F;e niemanden. &#x2012; &#x2012;</p><lb/>
          <p>Sie ha&#x017F;&#x017F;en mich, Fra&#x0364;ulein: &#x017F;agte ich noch<lb/>
einmahl.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Weil</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[220/0226] geſtern Abends neues vorgefallen ſeyn, das ſie' mir nothwendig ſagen muͤſſen? Seit dem Abend, da ich ihnen zu Gefallen wider meinen Willen die Comoͤdie beſuchte? und da ich auch wider meinen Willen mit ihnen ſo ſpaͤte habe aufbleiben muͤſ- ſen? ‒ ‒ ‒ Jch muß ihnen ſagen, Fraͤulein, daß es mir unertraͤglich iſt, mit ihnen unter einem Dache zu ſeyn, und dennoch ſo fremde zu bleiben. Jch ha- be tauſenderley mit ihnen zu reden, das unſere je- tzigen Umſtaͤnde und unſere kuͤnftige Hoffnung be- trifft. Wenn ich ihnen aber mein gantzes Hertz eroͤffnen will, ſo zwingen ſie mich, gantz fremde zu thun. Sie machen, daß zwiſchen meinen eigenen Handlungen keine Gleichheit ſeyn kann: ſie ſuchen nur Zeit zu gewinnen. Sie muͤſſen gewiß ande- re Abſichten haben. Sagen ſie mir, Fraͤulein, um Gottes willen ſagen ſie mir ſogleich ohne Zwey- deutigkeit und ohne Ausfluͤchte, von welcher Seite ſie mich kuͤnftig anſehen und kennen lernen wollen. Die Entſernung iſt mir unertraͤglich: die Qual, zwiſchen Furcht und Hoffnung zu ſeyn, iſt mir unertraͤglich. Von welcher Seite, Herr Lovelace? nicht von der ſchlimmen Seite. (Faſſen ſie mich doch nicht ſo fort an: (ſie wollte die Hand loß ma- chen) laſſen ſie mich gehen. Sie haſſen mich, Fraͤulein. ‒ ‒ Jch haſſe niemanden. ‒ ‒ Sie haſſen mich, Fraͤulein: ſagte ich noch einmahl. Weil

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/226
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/226>, abgerufen am 25.11.2024.