Jch gehe ungern daran, jemand von meinen Anverwandten mit in diese verworrene Sache ein- zuflechten; allein ich muß sicher gehen. Sie ha- ben alle schon eine so schlechte Meynung von mir, daß sie nie schlimmer werden kann. Du siehest ja selbst aus dem Briefe des Lord M. daß seine wohlgezogene Gnaden den hochadelichen Gedan- cken von mir haben, daß ich diesem unvergleichli- chen Kinde einen von meinen Hundes-Strei- chen spielen möchte.
Jch habe eben eine Antwort von der Char- lotte bekommen.
Charlotte ist unpaß. Es kommt aus dem Magen.
Es ist kein Wunder, wenn einem Mädchen der Magen nicht recht stehet. Sie ist unverhey- rathet: das ist die gantze Kranckheit! So bald sie einen Mann hat, der sie plaget; so hat der Ma- gen etwas zu verdauen. Weißt du nicht, daß der Mann die Sonne der lieben Kinder ist; und sie sind die Erde? Wie wüste und unfruchtbar ist die Erde, wenn ihr der erwärmende Schein der Sonne entzogen wird!
Die arme Lottchen! Jch wußte es vorher, daß sie nicht wohl wäre. Eben deswegen schrieb ich an sie, und wunderte mich ein wenig, daß sie nicht von selbst daran gedacht hätte, meine Braut in London zu besuchen.
Hier folget eine Abschrift ihres Briefes. Du wirst sehen, daß mich ein jedes kleines Aeffch en in
die
S 2
Jch gehe ungern daran, jemand von meinen Anverwandten mit in dieſe verworrene Sache ein- zuflechten; allein ich muß ſicher gehen. Sie ha- ben alle ſchon eine ſo ſchlechte Meynung von mir, daß ſie nie ſchlimmer werden kann. Du ſieheſt ja ſelbſt aus dem Briefe des Lord M. daß ſeine wohlgezogene Gnaden den hochadelichen Gedan- cken von mir haben, daß ich dieſem unvergleichli- chen Kinde einen von meinen Hundes-Strei- chen ſpielen moͤchte.
Jch habe eben eine Antwort von der Char- lotte bekommen.
Charlotte iſt unpaß. Es kommt aus dem Magen.
Es iſt kein Wunder, wenn einem Maͤdchen der Magen nicht recht ſtehet. Sie iſt unverhey- rathet: das iſt die gantze Kranckheit! So bald ſie einen Mann hat, der ſie plaget; ſo hat der Ma- gen etwas zu verdauen. Weißt du nicht, daß der Mann die Sonne der lieben Kinder iſt; und ſie ſind die Erde? Wie wuͤſte und unfruchtbar iſt die Erde, wenn ihr der erwaͤrmende Schein der Sonne entzogen wird!
Die arme Lottchen! Jch wußte es vorher, daß ſie nicht wohl waͤre. Eben deswegen ſchrieb ich an ſie, und wunderte mich ein wenig, daß ſie nicht von ſelbſt daran gedacht haͤtte, meine Braut in London zu beſuchen.
Hier folget eine Abſchrift ihres Briefes. Du wirſt ſehen, daß mich ein jedes kleines Aeffch en in
die
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Jch gehe ungern daran, jemand von meinen
Anverwandten mit in dieſe verworrene Sache ein-
zuflechten; allein ich muß ſicher gehen. Sie ha-
ben alle ſchon eine ſo ſchlechte Meynung von mir,
daß ſie nie ſchlimmer werden kann. Du ſieheſt
ja ſelbſt aus dem Briefe des Lord M. daß ſeine
wohlgezogene Gnaden den hochadelichen Gedan-
cken von mir haben, daß ich dieſem unvergleichli-
chen Kinde einen von meinen Hundes-Strei-
chen ſpielen moͤchte.
Jch habe eben eine Antwort von der Char-
lotte bekommen.
Charlotte iſt unpaß. Es kommt aus dem
Magen.
Es iſt kein Wunder, wenn einem Maͤdchen
der Magen nicht recht ſtehet. Sie iſt unverhey-
rathet: das iſt die gantze Kranckheit! So bald
ſie einen Mann hat, der ſie plaget; ſo hat der Ma-
gen etwas zu verdauen. Weißt du nicht, daß
der Mann die Sonne der lieben Kinder iſt; und
ſie ſind die Erde? Wie wuͤſte und unfruchtbar
iſt die Erde, wenn ihr der erwaͤrmende Schein
der Sonne entzogen wird!
Die arme Lottchen! Jch wußte es vorher,
daß ſie nicht wohl waͤre. Eben deswegen ſchrieb
ich an ſie, und wunderte mich ein wenig, daß ſie
nicht von ſelbſt daran gedacht haͤtte, meine Braut
in London zu beſuchen.
Hier folget eine Abſchrift ihres Briefes. Du
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/281>, abgerufen am 22.11.2024.
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