Ueberlegen sie, Madame, ich bitte, überlegen sie die unglücklichen Folgen, welche ihr höchstempfind- licher Zorn haben kann.
So lange ich sie gekannt habe, antwortete sie, bin ich beständig in einer Wildniß von Zweifel und Jrrthum gewesen. Jch danke Gott, daß ich aus ihren Händen bin. Jch will meine An- gelegenheiten für mich zur Richtigkeit bringen. Jch spreche sie von aller Sorge für mich los. Bin ich nicht mein eigner Herr? - Bin ich es nicht?
Die Weibsleute sahen starre. Geht zum Teufel mit eurem starre sehen, dachte ich: könnt ihr denn nichts anders thun, als starre sehen? Es war hohe Zeit, daß ich der Fräulein hier den Mund stopfte. Jch erhob meine Stimme, um sie zu überschreien. Sie pflegten ja, meine Al- lerliebste, sie pflegten ja sonst ein zartes und vor- sichtiges Herze zu haben. Niemals ist dasselbe so nöthig gewesen, als itzo.
Lassen sie mich für mich selbst urtheilen, nach dem, was ich sehen, nicht nach dem, was ich hö- ren werde - Meynen sie, ich soll beständig - -
Mir ward bange, sie möchte weiter in den Text kommen - Sie müssen mich hören, Ma- dame. Jch erhob meine Stimme noch mehr. Sie müssen mich ihnen einen oder ein paar Ab- sätze von diesem Briefe vorlesen lassen, wo sie ihn nicht selbst lesen wollen - -
Weg
Ueberlegen ſie, Madame, ich bitte, uͤberlegen ſie die ungluͤcklichen Folgen, welche ihr hoͤchſtempfind- licher Zorn haben kann.
So lange ich ſie gekannt habe, antwortete ſie, bin ich beſtaͤndig in einer Wildniß von Zweifel und Jrrthum geweſen. Jch danke Gott, daß ich aus ihren Haͤnden bin. Jch will meine An- gelegenheiten fuͤr mich zur Richtigkeit bringen. Jch ſpreche ſie von aller Sorge fuͤr mich los. Bin ich nicht mein eigner Herr? ‒ Bin ich es nicht?
Die Weibsleute ſahen ſtarre. Geht zum Teufel mit eurem ſtarre ſehen, dachte ich: koͤnnt ihr denn nichts anders thun, als ſtarre ſehen? Es war hohe Zeit, daß ich der Fraͤulein hier den Mund ſtopfte. Jch erhob meine Stimme, um ſie zu uͤberſchreien. Sie pflegten ja, meine Al- lerliebſte, ſie pflegten ja ſonſt ein zartes und vor- ſichtiges Herze zu haben. Niemals iſt daſſelbe ſo noͤthig geweſen, als itzo.
Laſſen ſie mich fuͤr mich ſelbſt urtheilen, nach dem, was ich ſehen, nicht nach dem, was ich hoͤ- ren werde ‒ Meynen ſie, ich ſoll beſtaͤndig ‒ ‒
Mir ward bange, ſie moͤchte weiter in den Text kommen ‒ Sie muͤſſen mich hoͤren, Ma- dame. Jch erhob meine Stimme noch mehr. Sie muͤſſen mich ihnen einen oder ein paar Ab- ſaͤtze von dieſem Briefe vorleſen laſſen, wo ſie ihn nicht ſelbſt leſen wollen ‒ ‒
Weg
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Ueberlegen ſie, Madame, ich bitte, uͤberlegen ſie
die ungluͤcklichen Folgen, welche ihr hoͤchſtempfind-
licher Zorn haben kann.
So lange ich ſie gekannt habe, antwortete ſie,
bin ich beſtaͤndig in einer Wildniß von Zweifel
und Jrrthum geweſen. Jch danke Gott, daß
ich aus ihren Haͤnden bin. Jch will meine An-
gelegenheiten fuͤr mich zur Richtigkeit bringen.
Jch ſpreche ſie von aller Sorge fuͤr mich los.
Bin ich nicht mein eigner Herr? ‒ Bin ich es
nicht?
Die Weibsleute ſahen ſtarre. Geht zum
Teufel mit eurem ſtarre ſehen, dachte ich: koͤnnt
ihr denn nichts anders thun, als ſtarre ſehen?
Es war hohe Zeit, daß ich der Fraͤulein hier den
Mund ſtopfte. Jch erhob meine Stimme, um
ſie zu uͤberſchreien. Sie pflegten ja, meine Al-
lerliebſte, ſie pflegten ja ſonſt ein zartes und vor-
ſichtiges Herze zu haben. Niemals iſt daſſelbe
ſo noͤthig geweſen, als itzo.
Laſſen ſie mich fuͤr mich ſelbſt urtheilen, nach
dem, was ich ſehen, nicht nach dem, was ich hoͤ-
ren werde ‒ Meynen ſie, ich ſoll beſtaͤndig ‒ ‒
Mir ward bange, ſie moͤchte weiter in den
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/252>, abgerufen am 24.11.2024.
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