nicht ein Freund übrig ist! - - Aber Gott, der meine Unschuld und meine aufrichtige Absichten kennet, wird mich nicht gänzlich verlassen: wenn ich nur aus ihrer Gewalt bin - - Allein so lan- ge ich darinn bleibe, kann ich nicht erwarten, daß ein Strahl der göttlichen Gnade oder Huld auf mich falle.
Wie hart ist dieß! - Wie entsetzlich hart! - - Ohne ihre Gegenwart, meine erzürnte Schö- ne, kann ich weder das eine, noch das andere, hoffen. Sie sind mein Leitstern und meine Füh- rerinn; wie meine Base Montague in dem Brie- fe, den sie gelesen haben, bemerket: und wo ich jemals hier oder dort glücklich seyn soll; so muß es in ihnen und durch sie seyn.
Sie wollte mich hierauf gern von der Thüre vertrieben haben. Weil ich mich aber ehrerbie- tig widersetzte: so sagte sie: Weg, Kerl! Weg, Herr Lovelace - - Versperren sie mir den Weg nicht. Wo ich nicht einen Sprung aus dem Fenster versuchen soll; so lassen sie mir den srey- en Weg durch die Thüre. Denn, noch einmal, sie haben kein Recht mich zu halten.
Jch will gern gestehen, mein liebstes Leben, daß sie Ursache haben zu zürnen - - Jch will bekennen, daß ich mich äußerst vergangen habe. Auf meinen Knien, hiemit fiel ich nieder, bitte ich sie um Verzeihung. Können sie es abschla- gen, ihr eignes Versprechen zu bestätigen? - - Sehen sie auf die glücklichen Umstände hinaus, die wir zu hoffen vor uns haben. Sehen sie
nicht,
nicht ein Freund uͤbrig iſt! ‒ ‒ Aber Gott, der meine Unſchuld und meine aufrichtige Abſichten kennet, wird mich nicht gaͤnzlich verlaſſen: wenn ich nur aus ihrer Gewalt bin ‒ ‒ Allein ſo lan- ge ich darinn bleibe, kann ich nicht erwarten, daß ein Strahl der goͤttlichen Gnade oder Huld auf mich falle.
Wie hart iſt dieß! ‒ Wie entſetzlich hart! ‒ ‒ Ohne ihre Gegenwart, meine erzuͤrnte Schoͤ- ne, kann ich weder das eine, noch das andere, hoffen. Sie ſind mein Leitſtern und meine Fuͤh- rerinn; wie meine Baſe Montague in dem Brie- fe, den ſie geleſen haben, bemerket: und wo ich jemals hier oder dort gluͤcklich ſeyn ſoll; ſo muß es in ihnen und durch ſie ſeyn.
Sie wollte mich hierauf gern von der Thuͤre vertrieben haben. Weil ich mich aber ehrerbie- tig widerſetzte: ſo ſagte ſie: Weg, Kerl! Weg, Herr Lovelace ‒ ‒ Verſperren ſie mir den Weg nicht. Wo ich nicht einen Sprung aus dem Fenſter verſuchen ſoll; ſo laſſen ſie mir den ſrey- en Weg durch die Thuͤre. Denn, noch einmal, ſie haben kein Recht mich zu halten.
Jch will gern geſtehen, mein liebſtes Leben, daß ſie Urſache haben zu zuͤrnen ‒ ‒ Jch will bekennen, daß ich mich aͤußerſt vergangen habe. Auf meinen Knien, hiemit fiel ich nieder, bitte ich ſie um Verzeihung. Koͤnnen ſie es abſchla- gen, ihr eignes Verſprechen zu beſtaͤtigen? ‒ ‒ Sehen ſie auf die gluͤcklichen Umſtaͤnde hinaus, die wir zu hoffen vor uns haben. Sehen ſie
nicht,
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nicht ein Freund uͤbrig iſt! ‒ ‒ Aber Gott, der
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ich nur aus ihrer Gewalt bin ‒ ‒ Allein ſo lan-
ge ich darinn bleibe, kann ich nicht erwarten, daß
ein Strahl der goͤttlichen Gnade oder Huld auf
mich falle.
Wie hart iſt dieß! ‒ Wie entſetzlich hart!
‒ ‒ Ohne ihre Gegenwart, meine erzuͤrnte Schoͤ-
ne, kann ich weder das eine, noch das andere,
hoffen. Sie ſind mein Leitſtern und meine Fuͤh-
rerinn; wie meine Baſe Montague in dem Brie-
fe, den ſie geleſen haben, bemerket: und wo ich
jemals hier oder dort gluͤcklich ſeyn ſoll; ſo muß
es in ihnen und durch ſie ſeyn.
Sie wollte mich hierauf gern von der Thuͤre
vertrieben haben. Weil ich mich aber ehrerbie-
tig widerſetzte: ſo ſagte ſie: Weg, Kerl! Weg,
Herr Lovelace ‒ ‒ Verſperren ſie mir den Weg
nicht. Wo ich nicht einen Sprung aus dem
Fenſter verſuchen ſoll; ſo laſſen ſie mir den ſrey-
en Weg durch die Thuͤre. Denn, noch einmal,
ſie haben kein Recht mich zu halten.
Jch will gern geſtehen, mein liebſtes Leben,
daß ſie Urſache haben zu zuͤrnen ‒ ‒ Jch will
bekennen, daß ich mich aͤußerſt vergangen habe.
Auf meinen Knien, hiemit fiel ich nieder, bitte
ich ſie um Verzeihung. Koͤnnen ſie es abſchla-
gen, ihr eignes Verſprechen zu beſtaͤtigen? ‒ ‒
Sehen ſie auf die gluͤcklichen Umſtaͤnde hinaus,
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/314>, abgerufen am 24.11.2024.
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