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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

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diesem Zwecke berühret habe, noch eine oder zwo
Fragen hinzuzuthun.

Predigen nicht die Mütter, die Tanten, die
Großmütter, die Aufseherinnen der artig unschul-
digen Kinder ihnen allemal, von der Wiegen an
bis zu reifern Jahren, von der Betrüglichkeit
der Mannspersonen vor? - - daß sie ihre Eid-
schwüre, Gelübde, Versprechungen nicht achten
sollen? Was für eine elende Bande von Lügne-
rinnen würden nicht alle diese ehrwürdige Ma-
tronen seyn: wenn nicht dann und wann ein gar
leichtgläubiges Kind zur Rechtfertigung ihrer
Predigten gefangen würde, damit es als ein
Wachfeuer, das zum Besten der übrigen aufge-
stecket ist, dienen möge?

Sehen wir denn nicht, daß ein ehrlicher Kerl,
der ein Frauenzimmer heimlich ertappet, in man-
cher Betrachtung ein nothwendiges Uebel sey?
Sehen wir nicht, daß nothwendig bisweilen ein
angenehmes Mägdchen von ihm auf die Seite
gebracht werden muß? Und ist nicht das Bey-
spiel, aller Wahrscheinlichkeit nach, desto kräftiger:
je mehr Vorzüge das Frauenzimmer an Person,
Gemüthe, und Glücksumständen besitzet?

Werden mir diese Forderungen zugegeben:
so bitte ich dich, welche Person kann wohl meiner
bezaubernden Schönen in allen diesen Stücken
gleich kommen? Welche kann folglich zu einem
Beyspiel für die Uebrigen von dem schönen Ge-
schlechte so geschickt seyn? - - Will man das ärg-
ste sagen: so bin ich gänzlich mit dem Grund-

satze



dieſem Zwecke beruͤhret habe, noch eine oder zwo
Fragen hinzuzuthun.

Predigen nicht die Muͤtter, die Tanten, die
Großmuͤtter, die Aufſeherinnen der artig unſchul-
digen Kinder ihnen allemal, von der Wiegen an
bis zu reifern Jahren, von der Betruͤglichkeit
der Mannsperſonen vor? ‒ ‒ daß ſie ihre Eid-
ſchwuͤre, Geluͤbde, Verſprechungen nicht achten
ſollen? Was fuͤr eine elende Bande von Luͤgne-
rinnen wuͤrden nicht alle dieſe ehrwuͤrdige Ma-
tronen ſeyn: wenn nicht dann und wann ein gar
leichtglaͤubiges Kind zur Rechtfertigung ihrer
Predigten gefangen wuͤrde, damit es als ein
Wachfeuer, das zum Beſten der uͤbrigen aufge-
ſtecket iſt, dienen moͤge?

Sehen wir denn nicht, daß ein ehrlicher Kerl,
der ein Frauenzimmer heimlich ertappet, in man-
cher Betrachtung ein nothwendiges Uebel ſey?
Sehen wir nicht, daß nothwendig bisweilen ein
angenehmes Maͤgdchen von ihm auf die Seite
gebracht werden muß? Und iſt nicht das Bey-
ſpiel, aller Wahrſcheinlichkeit nach, deſto kraͤftiger:
je mehr Vorzuͤge das Frauenzimmer an Perſon,
Gemuͤthe, und Gluͤcksumſtaͤnden beſitzet?

Werden mir dieſe Forderungen zugegeben:
ſo bitte ich dich, welche Perſon kann wohl meiner
bezaubernden Schoͤnen in allen dieſen Stuͤcken
gleich kommen? Welche kann folglich zu einem
Beyſpiel fuͤr die Uebrigen von dem ſchoͤnen Ge-
ſchlechte ſo geſchickt ſeyn? ‒ ‒ Will man das aͤrg-
ſte ſagen: ſo bin ich gaͤnzlich mit dem Grund-

ſatze
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[480/0486] dieſem Zwecke beruͤhret habe, noch eine oder zwo Fragen hinzuzuthun. Predigen nicht die Muͤtter, die Tanten, die Großmuͤtter, die Aufſeherinnen der artig unſchul- digen Kinder ihnen allemal, von der Wiegen an bis zu reifern Jahren, von der Betruͤglichkeit der Mannsperſonen vor? ‒ ‒ daß ſie ihre Eid- ſchwuͤre, Geluͤbde, Verſprechungen nicht achten ſollen? Was fuͤr eine elende Bande von Luͤgne- rinnen wuͤrden nicht alle dieſe ehrwuͤrdige Ma- tronen ſeyn: wenn nicht dann und wann ein gar leichtglaͤubiges Kind zur Rechtfertigung ihrer Predigten gefangen wuͤrde, damit es als ein Wachfeuer, das zum Beſten der uͤbrigen aufge- ſtecket iſt, dienen moͤge? Sehen wir denn nicht, daß ein ehrlicher Kerl, der ein Frauenzimmer heimlich ertappet, in man- cher Betrachtung ein nothwendiges Uebel ſey? Sehen wir nicht, daß nothwendig bisweilen ein angenehmes Maͤgdchen von ihm auf die Seite gebracht werden muß? Und iſt nicht das Bey- ſpiel, aller Wahrſcheinlichkeit nach, deſto kraͤftiger: je mehr Vorzuͤge das Frauenzimmer an Perſon, Gemuͤthe, und Gluͤcksumſtaͤnden beſitzet? Werden mir dieſe Forderungen zugegeben: ſo bitte ich dich, welche Perſon kann wohl meiner bezaubernden Schoͤnen in allen dieſen Stuͤcken gleich kommen? Welche kann folglich zu einem Beyſpiel fuͤr die Uebrigen von dem ſchoͤnen Ge- ſchlechte ſo geſchickt ſeyn? ‒ ‒ Will man das aͤrg- ſte ſagen: ſo bin ich gaͤnzlich mit dem Grund- ſatze

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 480. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/486>, abgerufen am 24.11.2024.