diesem Zwecke berühret habe, noch eine oder zwo Fragen hinzuzuthun.
Predigen nicht die Mütter, die Tanten, die Großmütter, die Aufseherinnen der artig unschul- digen Kinder ihnen allemal, von der Wiegen an bis zu reifern Jahren, von der Betrüglichkeit der Mannspersonen vor? - - daß sie ihre Eid- schwüre, Gelübde, Versprechungen nicht achten sollen? Was für eine elende Bande von Lügne- rinnen würden nicht alle diese ehrwürdige Ma- tronen seyn: wenn nicht dann und wann ein gar leichtgläubiges Kind zur Rechtfertigung ihrer Predigten gefangen würde, damit es als ein Wachfeuer, das zum Besten der übrigen aufge- stecket ist, dienen möge?
Sehen wir denn nicht, daß ein ehrlicher Kerl, der ein Frauenzimmer heimlich ertappet, in man- cher Betrachtung ein nothwendiges Uebel sey? Sehen wir nicht, daß nothwendig bisweilen ein angenehmes Mägdchen von ihm auf die Seite gebracht werden muß? Und ist nicht das Bey- spiel, aller Wahrscheinlichkeit nach, desto kräftiger: je mehr Vorzüge das Frauenzimmer an Person, Gemüthe, und Glücksumständen besitzet?
Werden mir diese Forderungen zugegeben: so bitte ich dich, welche Person kann wohl meiner bezaubernden Schönen in allen diesen Stücken gleich kommen? Welche kann folglich zu einem Beyspiel für die Uebrigen von dem schönen Ge- schlechte so geschickt seyn? - - Will man das ärg- ste sagen: so bin ich gänzlich mit dem Grund-
satze
dieſem Zwecke beruͤhret habe, noch eine oder zwo Fragen hinzuzuthun.
Predigen nicht die Muͤtter, die Tanten, die Großmuͤtter, die Aufſeherinnen der artig unſchul- digen Kinder ihnen allemal, von der Wiegen an bis zu reifern Jahren, von der Betruͤglichkeit der Mannsperſonen vor? ‒ ‒ daß ſie ihre Eid- ſchwuͤre, Geluͤbde, Verſprechungen nicht achten ſollen? Was fuͤr eine elende Bande von Luͤgne- rinnen wuͤrden nicht alle dieſe ehrwuͤrdige Ma- tronen ſeyn: wenn nicht dann und wann ein gar leichtglaͤubiges Kind zur Rechtfertigung ihrer Predigten gefangen wuͤrde, damit es als ein Wachfeuer, das zum Beſten der uͤbrigen aufge- ſtecket iſt, dienen moͤge?
Sehen wir denn nicht, daß ein ehrlicher Kerl, der ein Frauenzimmer heimlich ertappet, in man- cher Betrachtung ein nothwendiges Uebel ſey? Sehen wir nicht, daß nothwendig bisweilen ein angenehmes Maͤgdchen von ihm auf die Seite gebracht werden muß? Und iſt nicht das Bey- ſpiel, aller Wahrſcheinlichkeit nach, deſto kraͤftiger: je mehr Vorzuͤge das Frauenzimmer an Perſon, Gemuͤthe, und Gluͤcksumſtaͤnden beſitzet?
Werden mir dieſe Forderungen zugegeben: ſo bitte ich dich, welche Perſon kann wohl meiner bezaubernden Schoͤnen in allen dieſen Stuͤcken gleich kommen? Welche kann folglich zu einem Beyſpiel fuͤr die Uebrigen von dem ſchoͤnen Ge- ſchlechte ſo geſchickt ſeyn? ‒ ‒ Will man das aͤrg- ſte ſagen: ſo bin ich gaͤnzlich mit dem Grund-
ſatze
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dieſem Zwecke beruͤhret habe, noch eine oder zwo
Fragen hinzuzuthun.
Predigen nicht die Muͤtter, die Tanten, die
Großmuͤtter, die Aufſeherinnen der artig unſchul-
digen Kinder ihnen allemal, von der Wiegen an
bis zu reifern Jahren, von der Betruͤglichkeit
der Mannsperſonen vor? ‒ ‒ daß ſie ihre Eid-
ſchwuͤre, Geluͤbde, Verſprechungen nicht achten
ſollen? Was fuͤr eine elende Bande von Luͤgne-
rinnen wuͤrden nicht alle dieſe ehrwuͤrdige Ma-
tronen ſeyn: wenn nicht dann und wann ein gar
leichtglaͤubiges Kind zur Rechtfertigung ihrer
Predigten gefangen wuͤrde, damit es als ein
Wachfeuer, das zum Beſten der uͤbrigen aufge-
ſtecket iſt, dienen moͤge?
Sehen wir denn nicht, daß ein ehrlicher Kerl,
der ein Frauenzimmer heimlich ertappet, in man-
cher Betrachtung ein nothwendiges Uebel ſey?
Sehen wir nicht, daß nothwendig bisweilen ein
angenehmes Maͤgdchen von ihm auf die Seite
gebracht werden muß? Und iſt nicht das Bey-
ſpiel, aller Wahrſcheinlichkeit nach, deſto kraͤftiger:
je mehr Vorzuͤge das Frauenzimmer an Perſon,
Gemuͤthe, und Gluͤcksumſtaͤnden beſitzet?
Werden mir dieſe Forderungen zugegeben:
ſo bitte ich dich, welche Perſon kann wohl meiner
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gleich kommen? Welche kann folglich zu einem
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 480. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/486>, abgerufen am 24.11.2024.
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