verpflichtet, als ich mir von einer solchen Person hätte einbilden konnen, die allen und jeden ihrer Anverwandten einen gr*ßern Vorzug gab, als ei- ne Crone selbst geben konnte.
Jch hoffete, fuhr ich fort, daß sie den ihr zu- gedachten Besuch von den beyden oft erwähnten Frauenzimmern annehmen würde.
Sie wäre hier, bekam ich zur Antwort. Sie hätte mich gesprochen. Sie könnte sich itzo nicht helfen. Sie hätte allezeit die größte Hochachtung gegen die Frauenzimmer von meiner Familie, ihrer würdigen Gemüthsart wegen, geheget. Hierbey wandte sie ihr liebliches Angesicht weg und erstick- te einen schon halb aufgestiegenen Seufzer.
Jch fiel ihr darauf zu den Füßen. Es war auf einem grünen Polster: denn wir befanden uns eben auf dem grasichten Gange. Jch ergriff ih- re Hand. Jch bat sie mit einem Eifer, wodurch mein Herz, wie ich fühlte, zu den Augen auf- getrieben wurde, daß sie mich doch, durch ihre Verzeihung und durch ihr Beyspiel, solcher Verwandten so wohl als ihrer gütigen und edel- müthigen Wünsche würdig machen mögte. Bey meiner Seele, gnädige Fräulein, setzte ich hin- zu, sie tödten mich mit ihrer Güte, mit ihrer un- dienten Güte! Jch kann sie nicht ertragen.
Warum, warum, dachte ich itzo, und mehr als einmal bey dieser Unterredung, warum will sie mir nicht großmüthig verzeihen? Warum will sie mich nöthigen meine Tante und meine Ba- se zu meinem Beystande herzubringen? Kann
wohl
verpflichtet, als ich mir von einer ſolchen Perſon haͤtte einbilden konnen, die allen und jeden ihrer Anverwandten einen gr*ßern Vorzug gab, als ei- ne Crone ſelbſt geben konnte.
Jch hoffete, fuhr ich fort, daß ſie den ihr zu- gedachten Beſuch von den beyden oft erwaͤhnten Frauenzimmern annehmen wuͤrde.
Sie waͤre hier, bekam ich zur Antwort. Sie haͤtte mich geſprochen. Sie koͤnnte ſich itzo nicht helfen. Sie haͤtte allezeit die groͤßte Hochachtung gegen die Frauenzimmer von meiner Familie, ihrer wuͤrdigen Gemuͤthsart wegen, geheget. Hierbey wandte ſie ihr liebliches Angeſicht weg und erſtick- te einen ſchon halb aufgeſtiegenen Seufzer.
Jch fiel ihr darauf zu den Fuͤßen. Es war auf einem gruͤnen Polſter: denn wir befanden uns eben auf dem graſichten Gange. Jch ergriff ih- re Hand. Jch bat ſie mit einem Eifer, wodurch mein Herz, wie ich fuͤhlte, zu den Augen auf- getrieben wurde, daß ſie mich doch, durch ihre Verzeihung und durch ihr Beyſpiel, ſolcher Verwandten ſo wohl als ihrer guͤtigen und edel- muͤthigen Wuͤnſche wuͤrdig machen moͤgte. Bey meiner Seele, gnaͤdige Fraͤulein, ſetzte ich hin- zu, ſie toͤdten mich mit ihrer Guͤte, mit ihrer un- dienten Guͤte! Jch kann ſie nicht ertragen.
Warum, warum, dachte ich itzo, und mehr als einmal bey dieſer Unterredung, warum will ſie mir nicht großmuͤthig verzeihen? Warum will ſie mich noͤthigen meine Tante und meine Ba- ſe zu meinem Beyſtande herzubringen? Kann
wohl
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0502"n="496"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
verpflichtet, als ich mir von einer ſolchen Perſon<lb/>
haͤtte einbilden konnen, die allen und jeden ihrer<lb/>
Anverwandten einen gr*ßern Vorzug gab, als ei-<lb/>
ne Crone ſelbſt geben konnte.</p><lb/><p>Jch hoffete, fuhr ich fort, daß ſie den ihr zu-<lb/>
gedachten Beſuch von den beyden oft erwaͤhnten<lb/>
Frauenzimmern annehmen wuͤrde.</p><lb/><p>Sie waͤre hier, bekam ich zur Antwort. Sie<lb/><hirendition="#fr">haͤtte</hi> mich geſprochen. Sie koͤnnte ſich itzo nicht<lb/>
helfen. Sie haͤtte allezeit die groͤßte Hochachtung<lb/>
gegen die Frauenzimmer von meiner Familie, ihrer<lb/>
wuͤrdigen Gemuͤthsart wegen, geheget. Hierbey<lb/>
wandte ſie ihr liebliches Angeſicht weg und erſtick-<lb/>
te einen ſchon halb aufgeſtiegenen Seufzer.</p><lb/><p>Jch fiel ihr darauf zu den Fuͤßen. Es war<lb/>
auf einem gruͤnen Polſter: denn wir befanden uns<lb/>
eben auf dem graſichten Gange. Jch ergriff ih-<lb/>
re Hand. Jch bat ſie mit einem Eifer, wodurch<lb/>
mein Herz, wie ich fuͤhlte, zu den Augen auf-<lb/>
getrieben wurde, daß ſie mich doch, durch ihre<lb/>
Verzeihung und durch ihr Beyſpiel, ſolcher<lb/>
Verwandten ſo wohl als ihrer guͤtigen und edel-<lb/>
muͤthigen Wuͤnſche wuͤrdig machen moͤgte. Bey<lb/>
meiner Seele, gnaͤdige Fraͤulein, ſetzte ich hin-<lb/>
zu, ſie toͤdten mich mit ihrer Guͤte, mit ihrer un-<lb/>
dienten Guͤte! Jch kann ſie nicht ertragen.</p><lb/><p>Warum, warum, dachte ich itzo, und mehr<lb/>
als einmal bey dieſer Unterredung, warum will<lb/>ſie mir nicht <hirendition="#fr">großmuͤthig</hi> verzeihen? Warum<lb/>
will ſie mich noͤthigen meine Tante und meine Ba-<lb/>ſe zu meinem Beyſtande herzubringen? Kann<lb/><fwplace="bottom"type="catch">wohl</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[496/0502]
verpflichtet, als ich mir von einer ſolchen Perſon
haͤtte einbilden konnen, die allen und jeden ihrer
Anverwandten einen gr*ßern Vorzug gab, als ei-
ne Crone ſelbſt geben konnte.
Jch hoffete, fuhr ich fort, daß ſie den ihr zu-
gedachten Beſuch von den beyden oft erwaͤhnten
Frauenzimmern annehmen wuͤrde.
Sie waͤre hier, bekam ich zur Antwort. Sie
haͤtte mich geſprochen. Sie koͤnnte ſich itzo nicht
helfen. Sie haͤtte allezeit die groͤßte Hochachtung
gegen die Frauenzimmer von meiner Familie, ihrer
wuͤrdigen Gemuͤthsart wegen, geheget. Hierbey
wandte ſie ihr liebliches Angeſicht weg und erſtick-
te einen ſchon halb aufgeſtiegenen Seufzer.
Jch fiel ihr darauf zu den Fuͤßen. Es war
auf einem gruͤnen Polſter: denn wir befanden uns
eben auf dem graſichten Gange. Jch ergriff ih-
re Hand. Jch bat ſie mit einem Eifer, wodurch
mein Herz, wie ich fuͤhlte, zu den Augen auf-
getrieben wurde, daß ſie mich doch, durch ihre
Verzeihung und durch ihr Beyſpiel, ſolcher
Verwandten ſo wohl als ihrer guͤtigen und edel-
muͤthigen Wuͤnſche wuͤrdig machen moͤgte. Bey
meiner Seele, gnaͤdige Fraͤulein, ſetzte ich hin-
zu, ſie toͤdten mich mit ihrer Guͤte, mit ihrer un-
dienten Guͤte! Jch kann ſie nicht ertragen.
Warum, warum, dachte ich itzo, und mehr
als einmal bey dieſer Unterredung, warum will
ſie mir nicht großmuͤthig verzeihen? Warum
will ſie mich noͤthigen meine Tante und meine Ba-
ſe zu meinem Beyſtande herzubringen? Kann
wohl
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 496. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/502>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.