den vermuthet hätten, als dabey zu finden seyn kann, oder aus Eigensinn an ihrer, oder herrschsüchtiger Hartnäckigkeit an seiner Seite, sich nicht wohl verhal- ten hätten, und ein Theil mit dem andern betrogen wäre: was für eine treffliche Gelegenheit würde nach diesem Vorschlage ein jedes haben, einen ver- lohrnen guten Ruf bey dem nächsten Vorfall wieder zu erlangen und alles gut zu machen? Ein großer Unterschied, Bruder, bey einer und eben derselben Person, ob sie irgendwo zu Hause gehört, oder nur zum Besuche ist!
Und, o Bruder, mit was für Freude, mit was für entzückender Lust würden die Freunde der Ab- wechselung, oder die Veränderlichen, wenn dir das Wort besser gefällt, die Wochen, die Tage, die Stun- den zählen, nachdem die jährige Verbindlichkeit zu ihrem erwünschten Wechsel nahete!
Was die Milzsucht oder melancholische Be- schwerden betrifft: so würde man von keiner solchen Krankheit wissen oder hören. Die Zunft der Aerzte würde in der That dabey leiden, und zwar ganz al- lein. Denn es würden zu neuer Gesundheit bestän- dig frische Lebensgeister, als die Folgen von süssem Blute und süssen Säften, einfließen: da Seel und Leib immer mit einander zufrieden seyn würden. Die Freude, welche aus einer erwartenden Hoffnung ent- springet, unsere höchste Freude unter allen, würde alles gesund und lebendig erhalten.
Allein, damit niemand leiden möchte, könnten nach meinen Gedanken die Aerzte Pfarrer werden: weil nach den Pfarrern viel Nachfragens seyn wür- de. Außer dem, da sie an dem gemeinen Wohl Theil haben würden, müßten sie in der That verdrießliche Leute seyn: wenn sie sich selbst dem gemeinen Besten vorziehen wollten.
Ein jeder würde wenigstens ein Dutzentmal verheyrathet werden. So wohl Männer als Wei-
ber
den vermuthet haͤtten, als dabey zu finden ſeyn kann, oder aus Eigenſinn an ihrer, oder herrſchſuͤchtiger Hartnaͤckigkeit an ſeiner Seite, ſich nicht wohl verhal- ten haͤtten, und ein Theil mit dem andern betrogen waͤre: was fuͤr eine treffliche Gelegenheit wuͤrde nach dieſem Vorſchlage ein jedes haben, einen ver- lohrnen guten Ruf bey dem naͤchſten Vorfall wieder zu erlangen und alles gut zu machen? Ein großer Unterſchied, Bruder, bey einer und eben derſelben Perſon, ob ſie irgendwo zu Hauſe gehoͤrt, oder nur zum Beſuche iſt!
Und, o Bruder, mit was fuͤr Freude, mit was fuͤr entzuͤckender Luſt wuͤrden die Freunde der Ab- wechſelung, oder die Veraͤnderlichen, wenn dir das Wort beſſer gefaͤllt, die Wochen, die Tage, die Stun- den zaͤhlen, nachdem die jaͤhrige Verbindlichkeit zu ihrem erwuͤnſchten Wechſel nahete!
Was die Milzſucht oder melancholiſche Be- ſchwerden betrifft: ſo wuͤrde man von keiner ſolchen Krankheit wiſſen oder hoͤren. Die Zunft der Aerzte wuͤrde in der That dabey leiden, und zwar ganz al- lein. Denn es wuͤrden zu neuer Geſundheit beſtaͤn- dig friſche Lebensgeiſter, als die Folgen von ſuͤſſem Blute und ſuͤſſen Saͤften, einfließen: da Seel und Leib immer mit einander zufrieden ſeyn wuͤrden. Die Freude, welche aus einer erwartenden Hoffnung ent- ſpringet, unſere hoͤchſte Freude unter allen, wuͤrde alles geſund und lebendig erhalten.
Allein, damit niemand leiden moͤchte, koͤnnten nach meinen Gedanken die Aerzte Pfarrer werden: weil nach den Pfarrern viel Nachfragens ſeyn wuͤr- de. Außer dem, da ſie an dem gemeinen Wohl Theil haben wuͤrden, muͤßten ſie in der That verdrießliche Leute ſeyn: wenn ſie ſich ſelbſt dem gemeinen Beſten vorziehen wollten.
Ein jeder wuͤrde wenigſtens ein Dutzentmal verheyrathet werden. So wohl Maͤnner als Wei-
ber
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0568"n="562"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
den vermuthet haͤtten, als dabey zu finden ſeyn kann,<lb/>
oder aus <hirendition="#fr">Eigenſinn an ihrer,</hi> oder <hirendition="#fr">herrſchſuͤchtiger<lb/>
Hartnaͤckigkeit</hi> an <hirendition="#fr">ſeiner</hi> Seite, ſich nicht wohl verhal-<lb/>
ten haͤtten, und ein Theil mit dem andern betrogen<lb/>
waͤre: was fuͤr eine treffliche Gelegenheit wuͤrde<lb/>
nach dieſem Vorſchlage ein jedes haben, einen ver-<lb/>
lohrnen guten Ruf bey dem naͤchſten Vorfall wieder<lb/>
zu erlangen und alles gut zu machen? Ein großer<lb/>
Unterſchied, Bruder, bey einer und eben derſelben<lb/>
Perſon, ob ſie irgendwo zu <hirendition="#fr">Hauſe gehoͤrt,</hi> oder nur<lb/><hirendition="#fr">zum Beſuche iſt!</hi></p><lb/><p>Und, o Bruder, mit was fuͤr Freude, mit was<lb/>
fuͤr entzuͤckender Luſt wuͤrden die <hirendition="#fr">Freunde der Ab-<lb/>
wechſelung,</hi> oder die <hirendition="#fr">Veraͤnderlichen,</hi> wenn dir das<lb/>
Wort beſſer gefaͤllt, die Wochen, die Tage, die Stun-<lb/>
den zaͤhlen, nachdem die jaͤhrige Verbindlichkeit zu<lb/>
ihrem erwuͤnſchten Wechſel nahete!</p><lb/><p>Was die Milzſucht oder melancholiſche Be-<lb/>ſchwerden betrifft: ſo wuͤrde man von keiner ſolchen<lb/>
Krankheit wiſſen oder hoͤren. Die Zunft der Aerzte<lb/>
wuͤrde in der That dabey leiden, und zwar ganz al-<lb/>
lein. Denn es wuͤrden zu neuer Geſundheit beſtaͤn-<lb/>
dig friſche Lebensgeiſter, als die Folgen von ſuͤſſem<lb/>
Blute und ſuͤſſen Saͤften, einfließen: da Seel und<lb/>
Leib immer mit einander zufrieden ſeyn wuͤrden. Die<lb/>
Freude, welche aus einer <hirendition="#fr">erwartenden Hoffnung</hi> ent-<lb/>ſpringet, unſere hoͤchſte Freude unter allen, wuͤrde<lb/>
alles geſund und lebendig erhalten.</p><lb/><p>Allein, damit niemand leiden moͤchte, koͤnnten<lb/>
nach meinen Gedanken die <hirendition="#fr">Aerzte Pfarrer</hi> werden:<lb/>
weil nach den Pfarrern viel Nachfragens ſeyn wuͤr-<lb/>
de. Außer dem, da ſie an dem gemeinen Wohl Theil<lb/>
haben wuͤrden, muͤßten ſie in der That verdrießliche<lb/>
Leute ſeyn: wenn ſie ſich ſelbſt dem gemeinen Beſten<lb/>
vorziehen wollten.</p><lb/><p>Ein jeder wuͤrde wenigſtens ein Dutzentmal<lb/>
verheyrathet werden. So wohl Maͤnner als Wei-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ber</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[562/0568]
den vermuthet haͤtten, als dabey zu finden ſeyn kann,
oder aus Eigenſinn an ihrer, oder herrſchſuͤchtiger
Hartnaͤckigkeit an ſeiner Seite, ſich nicht wohl verhal-
ten haͤtten, und ein Theil mit dem andern betrogen
waͤre: was fuͤr eine treffliche Gelegenheit wuͤrde
nach dieſem Vorſchlage ein jedes haben, einen ver-
lohrnen guten Ruf bey dem naͤchſten Vorfall wieder
zu erlangen und alles gut zu machen? Ein großer
Unterſchied, Bruder, bey einer und eben derſelben
Perſon, ob ſie irgendwo zu Hauſe gehoͤrt, oder nur
zum Beſuche iſt!
Und, o Bruder, mit was fuͤr Freude, mit was
fuͤr entzuͤckender Luſt wuͤrden die Freunde der Ab-
wechſelung, oder die Veraͤnderlichen, wenn dir das
Wort beſſer gefaͤllt, die Wochen, die Tage, die Stun-
den zaͤhlen, nachdem die jaͤhrige Verbindlichkeit zu
ihrem erwuͤnſchten Wechſel nahete!
Was die Milzſucht oder melancholiſche Be-
ſchwerden betrifft: ſo wuͤrde man von keiner ſolchen
Krankheit wiſſen oder hoͤren. Die Zunft der Aerzte
wuͤrde in der That dabey leiden, und zwar ganz al-
lein. Denn es wuͤrden zu neuer Geſundheit beſtaͤn-
dig friſche Lebensgeiſter, als die Folgen von ſuͤſſem
Blute und ſuͤſſen Saͤften, einfließen: da Seel und
Leib immer mit einander zufrieden ſeyn wuͤrden. Die
Freude, welche aus einer erwartenden Hoffnung ent-
ſpringet, unſere hoͤchſte Freude unter allen, wuͤrde
alles geſund und lebendig erhalten.
Allein, damit niemand leiden moͤchte, koͤnnten
nach meinen Gedanken die Aerzte Pfarrer werden:
weil nach den Pfarrern viel Nachfragens ſeyn wuͤr-
de. Außer dem, da ſie an dem gemeinen Wohl Theil
haben wuͤrden, muͤßten ſie in der That verdrießliche
Leute ſeyn: wenn ſie ſich ſelbſt dem gemeinen Beſten
vorziehen wollten.
Ein jeder wuͤrde wenigſtens ein Dutzentmal
verheyrathet werden. So wohl Maͤnner als Wei-
ber
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 562. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/568>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.