Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



zu Herzen gehe! Sie hätte in keines andern le-
bendigen Mannes Hände fallen und das ausste-
hen können, was sie bey dir ausgestanden hat.

Jch hatte schon ein gutes Theil von einem
andern langen Briefe geschrieben, um zu versu-
chen, ob ich dein steinernes Herz zu ihrem Besten
erweichen könnte: denn es kam mir nur allzu
glaublich vor, daß du deinen Vorsatz erreichen
und sie wieder zu den verfluchten Weibsleuten
zurückbringen würdest. Aber ich finde, daß es
zu spät gewesen wäre: wenn ich ihn geendiget
und abgeschickt hätte. Jnzwischen kann ich doch
nicht umhin, zu schreiben, und in dich zu drin-
gen, daß du dein Verbrechen, auf die Art, die dir
itzo allein übrig ist, durch einen gehörigen Ge-
brauch des ausgewirkten Trauscheins, bey ihr
wieder gut zu machen suchest.

Die arme, arme Fräulein! Es ist eine Quaal
sür mich, daß ich sie jemals gesehen habe. Wie!
hat eine solche Verehrerinn der Tugend den schänd-
lichsten Personen von ihrem Geschlechte aufge-
opfert werden müssen! Und wie! hast du zu ei-
nem so niederträchtigen, so unedlen, so unmensch-
lichen Vorsatz, ihr Werkzeug in des Teufels Hän-
den seyn können! - - Mache dich groß, o grau-
samster unter den Menschenkindern, mit dieser
Betrachtung. Mache dich groß damit, daß dein
Sieg über eine Fräulein, welche um deinetwil-
len von allen ihren Freunden in der Welt verlas-
sen war, nicht durch ihre Schwachheiten und
Leichtgläubigkeit, die du dir hättest zu Nutze ma-

chen
P p 3



zu Herzen gehe! Sie haͤtte in keines andern le-
bendigen Mannes Haͤnde fallen und das ausſte-
hen koͤnnen, was ſie bey dir ausgeſtanden hat.

Jch hatte ſchon ein gutes Theil von einem
andern langen Briefe geſchrieben, um zu verſu-
chen, ob ich dein ſteinernes Herz zu ihrem Beſten
erweichen koͤnnte: denn es kam mir nur allzu
glaublich vor, daß du deinen Vorſatz erreichen
und ſie wieder zu den verfluchten Weibsleuten
zuruͤckbringen wuͤrdeſt. Aber ich finde, daß es
zu ſpaͤt geweſen waͤre: wenn ich ihn geendiget
und abgeſchickt haͤtte. Jnzwiſchen kann ich doch
nicht umhin, zu ſchreiben, und in dich zu drin-
gen, daß du dein Verbrechen, auf die Art, die dir
itzo allein uͤbrig iſt, durch einen gehoͤrigen Ge-
brauch des ausgewirkten Trauſcheins, bey ihr
wieder gut zu machen ſucheſt.

Die arme, arme Fraͤulein! Es iſt eine Quaal
ſuͤr mich, daß ich ſie jemals geſehen habe. Wie!
hat eine ſolche Verehrerinn der Tugend den ſchaͤnd-
lichſten Perſonen von ihrem Geſchlechte aufge-
opfert werden muͤſſen! Und wie! haſt du zu ei-
nem ſo niedertraͤchtigen, ſo unedlen, ſo unmenſch-
lichen Vorſatz, ihr Werkzeug in des Teufels Haͤn-
den ſeyn koͤnnen! ‒ ‒ Mache dich groß, o grau-
ſamſter unter den Menſchenkindern, mit dieſer
Betrachtung. Mache dich groß damit, daß dein
Sieg uͤber eine Fraͤulein, welche um deinetwil-
len von allen ihren Freunden in der Welt verlaſ-
ſen war, nicht durch ihre Schwachheiten und
Leichtglaͤubigkeit, die du dir haͤtteſt zu Nutze ma-

chen
P p 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0603" n="597"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
zu Herzen gehe! Sie ha&#x0364;tte in keines andern le-<lb/>
bendigen Mannes Ha&#x0364;nde fallen und das aus&#x017F;te-<lb/>
hen ko&#x0364;nnen, was &#x017F;ie bey dir ausge&#x017F;tanden hat.</p><lb/>
          <p>Jch hatte &#x017F;chon ein gutes Theil von einem<lb/>
andern langen Briefe ge&#x017F;chrieben, um zu ver&#x017F;u-<lb/>
chen, ob ich dein &#x017F;teinernes Herz zu ihrem Be&#x017F;ten<lb/>
erweichen ko&#x0364;nnte: denn es kam mir nur allzu<lb/>
glaublich vor, daß du deinen Vor&#x017F;atz erreichen<lb/>
und &#x017F;ie wieder zu den verfluchten Weibsleuten<lb/>
zuru&#x0364;ckbringen wu&#x0364;rde&#x017F;t. Aber ich finde, daß es<lb/>
zu &#x017F;pa&#x0364;t gewe&#x017F;en wa&#x0364;re: wenn ich ihn geendiget<lb/>
und abge&#x017F;chickt ha&#x0364;tte. Jnzwi&#x017F;chen kann ich doch<lb/>
nicht umhin, zu &#x017F;chreiben, und in dich zu drin-<lb/>
gen, daß du dein Verbrechen, auf die Art, die dir<lb/>
itzo <hi rendition="#fr">allein</hi> u&#x0364;brig i&#x017F;t, durch einen geho&#x0364;rigen Ge-<lb/>
brauch des ausgewirkten Trau&#x017F;cheins, bey ihr<lb/>
wieder gut zu machen &#x017F;uche&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Die arme, arme Fra&#x0364;ulein! Es i&#x017F;t eine Quaal<lb/>
&#x017F;u&#x0364;r mich, daß ich &#x017F;ie jemals ge&#x017F;ehen habe. Wie!<lb/>
hat eine &#x017F;olche Verehrerinn der Tugend den &#x017F;cha&#x0364;nd-<lb/>
lich&#x017F;ten Per&#x017F;onen von ihrem Ge&#x017F;chlechte aufge-<lb/>
opfert werden mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en! Und wie! ha&#x017F;t du zu ei-<lb/>
nem &#x017F;o niedertra&#x0364;chtigen, &#x017F;o unedlen, &#x017F;o unmen&#x017F;ch-<lb/>
lichen Vor&#x017F;atz, ihr Werkzeug in des Teufels Ha&#x0364;n-<lb/>
den &#x017F;eyn ko&#x0364;nnen! &#x2012; &#x2012; Mache dich groß, o grau-<lb/>
&#x017F;am&#x017F;ter unter den Men&#x017F;chenkindern, mit die&#x017F;er<lb/>
Betrachtung. Mache dich groß damit, daß dein<lb/>
Sieg u&#x0364;ber eine Fra&#x0364;ulein, welche um deinetwil-<lb/>
len von allen ihren Freunden in der Welt verla&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en war, nicht durch ihre Schwachheiten und<lb/>
Leichtgla&#x0364;ubigkeit, die du dir ha&#x0364;tte&#x017F;t zu Nutze ma-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">P p 3</fw><fw place="bottom" type="catch">chen</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[597/0603] zu Herzen gehe! Sie haͤtte in keines andern le- bendigen Mannes Haͤnde fallen und das ausſte- hen koͤnnen, was ſie bey dir ausgeſtanden hat. Jch hatte ſchon ein gutes Theil von einem andern langen Briefe geſchrieben, um zu verſu- chen, ob ich dein ſteinernes Herz zu ihrem Beſten erweichen koͤnnte: denn es kam mir nur allzu glaublich vor, daß du deinen Vorſatz erreichen und ſie wieder zu den verfluchten Weibsleuten zuruͤckbringen wuͤrdeſt. Aber ich finde, daß es zu ſpaͤt geweſen waͤre: wenn ich ihn geendiget und abgeſchickt haͤtte. Jnzwiſchen kann ich doch nicht umhin, zu ſchreiben, und in dich zu drin- gen, daß du dein Verbrechen, auf die Art, die dir itzo allein uͤbrig iſt, durch einen gehoͤrigen Ge- brauch des ausgewirkten Trauſcheins, bey ihr wieder gut zu machen ſucheſt. Die arme, arme Fraͤulein! Es iſt eine Quaal ſuͤr mich, daß ich ſie jemals geſehen habe. Wie! hat eine ſolche Verehrerinn der Tugend den ſchaͤnd- lichſten Perſonen von ihrem Geſchlechte aufge- opfert werden muͤſſen! Und wie! haſt du zu ei- nem ſo niedertraͤchtigen, ſo unedlen, ſo unmenſch- lichen Vorſatz, ihr Werkzeug in des Teufels Haͤn- den ſeyn koͤnnen! ‒ ‒ Mache dich groß, o grau- ſamſter unter den Menſchenkindern, mit dieſer Betrachtung. Mache dich groß damit, daß dein Sieg uͤber eine Fraͤulein, welche um deinetwil- len von allen ihren Freunden in der Welt verlaſ- ſen war, nicht durch ihre Schwachheiten und Leichtglaͤubigkeit, die du dir haͤtteſt zu Nutze ma- chen P p 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/603
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 597. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/603>, abgerufen am 24.11.2024.