Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



glücklich seyn sollte. So viel versichere ich dich,
daß, wo ich jemals eine Frau nehme, es die
Fräulein Clarissa Harlowe seyn muß und
seyn soll. - - Jhre Ehre ist auch durch das, was
sie so weit gelitten hat, in meinen Gedanken
gar nicht gekränket: es ist vielmehr gerade das
Gegentheil. Sie muß nur Sorge tragen, wo
sie endlich mir zu verzeihen bewogen wird, daß
sie mir zeige, ihr Lovelace sey die einzige Manns.
person auf der Welt, der sie in solchem Fall habe
vergeben können.

Aber, ach, Bruder, was soll ich unterdessen
mit diesem wundernswürdigen Frauenzimmer
machen? - - Gegenwärtig - - Es wird mir
schwer zu sagen - - Gegenwärtig ist sie ganz
ohne Sinne und Empfindung.

Mich deucht, ich hätte es lieber gesehen, daß
sie alle ihre Kräfte in gewöhnlicher Stärke und
Wirksamkeit behalten hätte, wenn ich auch ihre
Nägel und Zähne gefühlt haben sollte, als daß
sie in einen solchen Zustand gänzlicher - - Un-
empfindlichkeit, so will ich es nennen, versunken
wäre, in welchem sie seit dem Dienstag frühe be-
ständig gewesen ist. Dennoch, da sie ein wenig
anfängt wieder aufzuleben, und dann und wann
zu schelten und kläglich auszurufen, fürchte ich
mich beynahe, mit der Angst eines Gemüthes zu
thun zu haben, das seine außerordentliche Bewe-
gungen einer zärtlichen Bedenklichkeit, wovon
weder in der ältern noch neuern Geschichte ein
Beyspiel vorhanden ist, zu danken hat. Denn

was



gluͤcklich ſeyn ſollte. So viel verſichere ich dich,
daß, wo ich jemals eine Frau nehme, es die
Fraͤulein Clariſſa Harlowe ſeyn muß und
ſeyn ſoll. ‒ ‒ Jhre Ehre iſt auch durch das, was
ſie ſo weit gelitten hat, in meinen Gedanken
gar nicht gekraͤnket: es iſt vielmehr gerade das
Gegentheil. Sie muß nur Sorge tragen, wo
ſie endlich mir zu verzeihen bewogen wird, daß
ſie mir zeige, ihr Lovelace ſey die einzige Manns.
perſon auf der Welt, der ſie in ſolchem Fall habe
vergeben koͤnnen.

Aber, ach, Bruder, was ſoll ich unterdeſſen
mit dieſem wundernswuͤrdigen Frauenzimmer
machen? ‒ ‒ Gegenwaͤrtig ‒ ‒ Es wird mir
ſchwer zu ſagen ‒ ‒ Gegenwaͤrtig iſt ſie ganz
ohne Sinne und Empfindung.

Mich deucht, ich haͤtte es lieber geſehen, daß
ſie alle ihre Kraͤfte in gewoͤhnlicher Staͤrke und
Wirkſamkeit behalten haͤtte, wenn ich auch ihre
Naͤgel und Zaͤhne gefuͤhlt haben ſollte, als daß
ſie in einen ſolchen Zuſtand gaͤnzlicher ‒ ‒ Un-
empfindlichkeit, ſo will ich es nennen, verſunken
waͤre, in welchem ſie ſeit dem Dienſtag fruͤhe be-
ſtaͤndig geweſen iſt. Dennoch, da ſie ein wenig
anfaͤngt wieder aufzuleben, und dann und wann
zu ſchelten und klaͤglich auszurufen, fuͤrchte ich
mich beynahe, mit der Angſt eines Gemuͤthes zu
thun zu haben, das ſeine außerordentliche Bewe-
gungen einer zaͤrtlichen Bedenklichkeit, wovon
weder in der aͤltern noch neuern Geſchichte ein
Beyſpiel vorhanden iſt, zu danken hat. Denn

was
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0612" n="606"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
glu&#x0364;cklich &#x017F;eyn &#x017F;ollte. So viel ver&#x017F;ichere ich dich,<lb/>
daß, wo ich jemals eine Frau nehme, es die<lb/>
Fra&#x0364;ulein Clari&#x017F;&#x017F;a Harlowe &#x017F;eyn muß und<lb/>
&#x017F;eyn &#x017F;oll. &#x2012; &#x2012; Jhre Ehre i&#x017F;t auch durch das, was<lb/>
&#x017F;ie <hi rendition="#fr">&#x017F;o weit</hi> gelitten hat, in <hi rendition="#fr">meinen Gedanken</hi><lb/>
gar nicht gekra&#x0364;nket: es i&#x017F;t vielmehr gerade das<lb/>
Gegentheil. Sie muß nur Sorge tragen, wo<lb/>
&#x017F;ie endlich mir zu verzeihen bewogen wird, daß<lb/>
&#x017F;ie mir zeige, ihr Lovelace &#x017F;ey die einzige Manns.<lb/>
per&#x017F;on auf der Welt, der &#x017F;ie in &#x017F;olchem Fall habe<lb/>
vergeben ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
          <p>Aber, ach, Bruder, was &#x017F;oll ich unterde&#x017F;&#x017F;en<lb/>
mit die&#x017F;em wundernswu&#x0364;rdigen Frauenzimmer<lb/>
machen? &#x2012; &#x2012; Gegenwa&#x0364;rtig &#x2012; &#x2012; Es wird mir<lb/>
&#x017F;chwer zu &#x017F;agen &#x2012; &#x2012; Gegenwa&#x0364;rtig i&#x017F;t &#x017F;ie ganz<lb/>
ohne Sinne und Empfindung.</p><lb/>
          <p>Mich deucht, ich ha&#x0364;tte es lieber ge&#x017F;ehen, daß<lb/>
&#x017F;ie alle ihre Kra&#x0364;fte in gewo&#x0364;hnlicher Sta&#x0364;rke und<lb/>
Wirk&#x017F;amkeit behalten ha&#x0364;tte, wenn ich auch ihre<lb/>
Na&#x0364;gel und Za&#x0364;hne gefu&#x0364;hlt haben &#x017F;ollte, als daß<lb/>
&#x017F;ie in einen &#x017F;olchen Zu&#x017F;tand ga&#x0364;nzlicher &#x2012; &#x2012; Un-<lb/>
empfindlichkeit, &#x017F;o will ich es nennen, ver&#x017F;unken<lb/>
wa&#x0364;re, in welchem &#x017F;ie &#x017F;eit dem Dien&#x017F;tag fru&#x0364;he be-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;ndig gewe&#x017F;en i&#x017F;t. Dennoch, da &#x017F;ie ein wenig<lb/>
anfa&#x0364;ngt wieder aufzuleben, und dann und wann<lb/>
zu &#x017F;chelten und kla&#x0364;glich auszurufen, fu&#x0364;rchte ich<lb/>
mich beynahe, mit der Ang&#x017F;t eines Gemu&#x0364;thes zu<lb/>
thun zu haben, das &#x017F;eine außerordentliche Bewe-<lb/>
gungen einer za&#x0364;rtlichen Bedenklichkeit, wovon<lb/>
weder in der a&#x0364;ltern noch neuern Ge&#x017F;chichte ein<lb/>
Bey&#x017F;piel vorhanden i&#x017F;t, zu danken hat. Denn<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">was</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[606/0612] gluͤcklich ſeyn ſollte. So viel verſichere ich dich, daß, wo ich jemals eine Frau nehme, es die Fraͤulein Clariſſa Harlowe ſeyn muß und ſeyn ſoll. ‒ ‒ Jhre Ehre iſt auch durch das, was ſie ſo weit gelitten hat, in meinen Gedanken gar nicht gekraͤnket: es iſt vielmehr gerade das Gegentheil. Sie muß nur Sorge tragen, wo ſie endlich mir zu verzeihen bewogen wird, daß ſie mir zeige, ihr Lovelace ſey die einzige Manns. perſon auf der Welt, der ſie in ſolchem Fall habe vergeben koͤnnen. Aber, ach, Bruder, was ſoll ich unterdeſſen mit dieſem wundernswuͤrdigen Frauenzimmer machen? ‒ ‒ Gegenwaͤrtig ‒ ‒ Es wird mir ſchwer zu ſagen ‒ ‒ Gegenwaͤrtig iſt ſie ganz ohne Sinne und Empfindung. Mich deucht, ich haͤtte es lieber geſehen, daß ſie alle ihre Kraͤfte in gewoͤhnlicher Staͤrke und Wirkſamkeit behalten haͤtte, wenn ich auch ihre Naͤgel und Zaͤhne gefuͤhlt haben ſollte, als daß ſie in einen ſolchen Zuſtand gaͤnzlicher ‒ ‒ Un- empfindlichkeit, ſo will ich es nennen, verſunken waͤre, in welchem ſie ſeit dem Dienſtag fruͤhe be- ſtaͤndig geweſen iſt. Dennoch, da ſie ein wenig anfaͤngt wieder aufzuleben, und dann und wann zu ſchelten und klaͤglich auszurufen, fuͤrchte ich mich beynahe, mit der Angſt eines Gemuͤthes zu thun zu haben, das ſeine außerordentliche Bewe- gungen einer zaͤrtlichen Bedenklichkeit, wovon weder in der aͤltern noch neuern Geſchichte ein Beyſpiel vorhanden iſt, zu danken hat. Denn was

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/612
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 606. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/612>, abgerufen am 24.11.2024.