Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite




Einen albernen Brief, so kann ich ihn wohl
nennen, hat mir Dorcas eben von ihr gebracht
- - Bringe das, sagte sie, dem schändlichsten
Kerl von der Welt.
Dorcas, die einfältige
Kröte! brachte ihn mir, ohne weitern Bescheid,
wer derjenige seyn sollte - - Jch setzte mich nie-
der und war willens, dir eine Abschrift davon zu
geben; ob er gleich ziemlich lang ist: aber ich
kann es nicht thun, wenn es mich auch das Leben
kosten sollte; so ausschweifend ist er. Und die
Urschrift ist zu sehr eine Urschrift, daß ich sie aus
den Händen lassen sollte.

Jedoch einige von den zusammengerafften
Blättern und unvollständigen Aufsätzen, die ent-
weder zerrissen oder bey Seite geworfen sind,
will ich abschreiben, weil es so etwas außeror-
lich neues ist, und damit ich dir zeige, wie ihre
Seele nun wirke, da sie in diesem seltsamen Zu-
stande ist. Jch weiß wohl, daß ich dir nur noch
immer neue Waffen wider mich in die Hände
gebe: allein spare deine Anmerkungen. Meine
eigne Betrachtungen machen schon, daß sie unnö-
thig sind. Dorcas glaubt, die Fräulein werde
darnach fragen. Deswegen will sie sie gern bald
zurück haben und wieder unter ihren Tisch
legen.

Aus dem ersten Blatte wirst du muthmaßen,
daß ich ihr gesagt habe, die Fräulein Howe befin-
de sich nicht wohl, und könne nicht schreiben. Es

ist




Einen albernen Brief, ſo kann ich ihn wohl
nennen, hat mir Dorcas eben von ihr gebracht
‒ ‒ Bringe das, ſagte ſie, dem ſchaͤndlichſten
Kerl von der Welt.
Dorcas, die einfaͤltige
Kroͤte! brachte ihn mir, ohne weitern Beſcheid,
wer derjenige ſeyn ſollte ‒ ‒ Jch ſetzte mich nie-
der und war willens, dir eine Abſchrift davon zu
geben; ob er gleich ziemlich lang iſt: aber ich
kann es nicht thun, wenn es mich auch das Leben
koſten ſollte; ſo ausſchweifend iſt er. Und die
Urſchrift iſt zu ſehr eine Urſchrift, daß ich ſie aus
den Haͤnden laſſen ſollte.

Jedoch einige von den zuſammengerafften
Blaͤttern und unvollſtaͤndigen Aufſaͤtzen, die ent-
weder zerriſſen oder bey Seite geworfen ſind,
will ich abſchreiben, weil es ſo etwas außeror-
lich neues iſt, und damit ich dir zeige, wie ihre
Seele nun wirke, da ſie in dieſem ſeltſamen Zu-
ſtande iſt. Jch weiß wohl, daß ich dir nur noch
immer neue Waffen wider mich in die Haͤnde
gebe: allein ſpare deine Anmerkungen. Meine
eigne Betrachtungen machen ſchon, daß ſie unnoͤ-
thig ſind. Dorcas glaubt, die Fraͤulein werde
darnach fragen. Deswegen will ſie ſie gern bald
zuruͤck haben und wieder unter ihren Tiſch
legen.

Aus dem erſten Blatte wirſt du muthmaßen,
daß ich ihr geſagt habe, die Fraͤulein Howe befin-
de ſich nicht wohl, und koͤnne nicht ſchreiben. Es

iſt
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0622" n="616"/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <p><hi rendition="#fr">Einen</hi> albernen Brief, &#x017F;o kann ich ihn wohl<lb/>
nennen, hat mir Dorcas eben von ihr gebracht<lb/>
&#x2012; &#x2012; <hi rendition="#fr">Bringe das,</hi> &#x017F;agte &#x017F;ie, <hi rendition="#fr">dem &#x017F;cha&#x0364;ndlich&#x017F;ten<lb/>
Kerl von der Welt.</hi> Dorcas, die einfa&#x0364;ltige<lb/>
Kro&#x0364;te! brachte ihn <hi rendition="#fr">mir,</hi> ohne weitern Be&#x017F;cheid,<lb/>
wer derjenige &#x017F;eyn &#x017F;ollte &#x2012; &#x2012; Jch &#x017F;etzte mich nie-<lb/>
der und war willens, dir eine Ab&#x017F;chrift davon zu<lb/>
geben; ob er gleich ziemlich lang i&#x017F;t: aber ich<lb/>
kann es nicht thun, wenn es mich auch das Leben<lb/>
ko&#x017F;ten &#x017F;ollte; &#x017F;o aus&#x017F;chweifend i&#x017F;t er. Und die<lb/>
Ur&#x017F;chrift i&#x017F;t zu &#x017F;ehr eine Ur&#x017F;chrift, daß ich &#x017F;ie aus<lb/>
den Ha&#x0364;nden la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ollte.</p><lb/>
            <p>Jedoch einige von den zu&#x017F;ammengerafften<lb/>
Bla&#x0364;ttern und unvoll&#x017F;ta&#x0364;ndigen Auf&#x017F;a&#x0364;tzen, die ent-<lb/>
weder zerri&#x017F;&#x017F;en oder bey Seite geworfen &#x017F;ind,<lb/>
will ich ab&#x017F;chreiben, weil es &#x017F;o etwas außeror-<lb/>
lich neues i&#x017F;t, und damit ich dir zeige, wie ihre<lb/>
Seele nun wirke, da &#x017F;ie in die&#x017F;em &#x017F;elt&#x017F;amen Zu-<lb/>
&#x017F;tande i&#x017F;t. Jch weiß wohl, daß ich dir nur noch<lb/>
immer neue Waffen wider mich in die Ha&#x0364;nde<lb/>
gebe: allein &#x017F;pare deine Anmerkungen. Meine<lb/>
eigne Betrachtungen machen &#x017F;chon, daß &#x017F;ie unno&#x0364;-<lb/>
thig &#x017F;ind. Dorcas glaubt, die Fra&#x0364;ulein werde<lb/>
darnach fragen. Deswegen will &#x017F;ie &#x017F;ie gern bald<lb/>
zuru&#x0364;ck haben und wieder unter ihren Ti&#x017F;ch<lb/>
legen.</p><lb/>
            <p>Aus dem er&#x017F;ten Blatte wir&#x017F;t du muthmaßen,<lb/>
daß ich ihr ge&#x017F;agt habe, die Fra&#x0364;ulein Howe befin-<lb/>
de &#x017F;ich nicht wohl, und ko&#x0364;nne nicht &#x017F;chreiben. Es<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">i&#x017F;t</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[616/0622] Einen albernen Brief, ſo kann ich ihn wohl nennen, hat mir Dorcas eben von ihr gebracht ‒ ‒ Bringe das, ſagte ſie, dem ſchaͤndlichſten Kerl von der Welt. Dorcas, die einfaͤltige Kroͤte! brachte ihn mir, ohne weitern Beſcheid, wer derjenige ſeyn ſollte ‒ ‒ Jch ſetzte mich nie- der und war willens, dir eine Abſchrift davon zu geben; ob er gleich ziemlich lang iſt: aber ich kann es nicht thun, wenn es mich auch das Leben koſten ſollte; ſo ausſchweifend iſt er. Und die Urſchrift iſt zu ſehr eine Urſchrift, daß ich ſie aus den Haͤnden laſſen ſollte. Jedoch einige von den zuſammengerafften Blaͤttern und unvollſtaͤndigen Aufſaͤtzen, die ent- weder zerriſſen oder bey Seite geworfen ſind, will ich abſchreiben, weil es ſo etwas außeror- lich neues iſt, und damit ich dir zeige, wie ihre Seele nun wirke, da ſie in dieſem ſeltſamen Zu- ſtande iſt. Jch weiß wohl, daß ich dir nur noch immer neue Waffen wider mich in die Haͤnde gebe: allein ſpare deine Anmerkungen. Meine eigne Betrachtungen machen ſchon, daß ſie unnoͤ- thig ſind. Dorcas glaubt, die Fraͤulein werde darnach fragen. Deswegen will ſie ſie gern bald zuruͤck haben und wieder unter ihren Tiſch legen. Aus dem erſten Blatte wirſt du muthmaßen, daß ich ihr geſagt habe, die Fraͤulein Howe befin- de ſich nicht wohl, und koͤnne nicht ſchreiben. Es iſt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/622
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 616. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/622>, abgerufen am 24.11.2024.