Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



finden, der doch, um ein so freyer und liederlicher
Kerl zu werden, vorher alles Gewissen, alle hei-
lige Pflichten unterdrückt und verspottet haben
muß (*).

Sie rief hierauf über ihren Vetter Morden,
als wenn er sie vor einem Menschen von der
freyen Lebensart gewarnet hätte, und ging ans
Fenster mit ihrem Schnupftuch vor den Augen.
Sie kehrte aber kurz wieder zu mir um, mit ei-
ner Miene, die ihr erhabnes Gemüth und zugleich
die Verachtung gegen mich an den Tag legte - -
O! was hätte ich den Augenblick darum
gegeben, daß ich sie niemals beleidiget ha-
ben möchte!
- Was hast du vorzuschlagen,
wodurch du es bey mir wieder gut machest? - -
Wie kann ein solcher Kerl, als du, bey einer ver-
ständigen, oder nur nicht ganz einfältigen Person,
das Uebel wieder gut machen, das du mir auf ei-
ne unmenschliche Art zu leiden aufgeleget hast.

So bald, gnädige Fräulein - - So bald
- als - - So bald, als ihr Onkel - - oder
- - um nicht zu warten - -

Du willst vermuthlich sagen - - Jch weiß,
was du sagen willst - - Allein meynest du, daß
die Ehe ein solches Verbrechen, wie das deinige
ist, gut machen werde? So vollkommen du mich
auch aller Freunde und Güter beraubet hast: so
ist mir doch der Bösewicht, der sich selbst die
Tugend seiner Frauen rauben können,
viel
zu verächtlich, daß ich auch nur in der Betrach-

tung
(*) Siehe den III. Th. S. 557.



finden, der doch, um ein ſo freyer und liederlicher
Kerl zu werden, vorher alles Gewiſſen, alle hei-
lige Pflichten unterdruͤckt und verſpottet haben
muß (*).

Sie rief hierauf uͤber ihren Vetter Morden,
als wenn er ſie vor einem Menſchen von der
freyen Lebensart gewarnet haͤtte, und ging ans
Fenſter mit ihrem Schnupftuch vor den Augen.
Sie kehrte aber kurz wieder zu mir um, mit ei-
ner Miene, die ihr erhabnes Gemuͤth und zugleich
die Verachtung gegen mich an den Tag legte ‒ ‒
O! was haͤtte ich den Augenblick darum
gegeben, daß ich ſie niemals beleidiget ha-
ben moͤchte!
‒ Was haſt du vorzuſchlagen,
wodurch du es bey mir wieder gut macheſt? ‒ ‒
Wie kann ein ſolcher Kerl, als du, bey einer ver-
ſtaͤndigen, oder nur nicht ganz einfaͤltigen Perſon,
das Uebel wieder gut machen, das du mir auf ei-
ne unmenſchliche Art zu leiden aufgeleget haſt.

So bald, gnaͤdige Fraͤulein ‒ ‒ So bald
‒ als ‒ ‒ So bald, als ihr Onkel ‒ ‒ oder
‒ ‒ um nicht zu warten ‒ ‒

Du willſt vermuthlich ſagen ‒ ‒ Jch weiß,
was du ſagen willſt ‒ ‒ Allein meyneſt du, daß
die Ehe ein ſolches Verbrechen, wie das deinige
iſt, gut machen werde? So vollkommen du mich
auch aller Freunde und Guͤter beraubet haſt: ſo
iſt mir doch der Boͤſewicht, der ſich ſelbſt die
Tugend ſeiner Frauen rauben koͤnnen,
viel
zu veraͤchtlich, daß ich auch nur in der Betrach-

tung
(*) Siehe den III. Th. S. 557.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0658" n="652"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
finden, der doch, um ein &#x017F;o freyer und liederlicher<lb/>
Kerl zu <hi rendition="#fr">werden,</hi> vorher alles Gewi&#x017F;&#x017F;en, alle hei-<lb/>
lige Pflichten unterdru&#x0364;ckt und ver&#x017F;pottet haben<lb/>
muß <note place="foot" n="(*)">Siehe den <hi rendition="#aq">III.</hi> Th. S. 557.</note>.</p><lb/>
          <p>Sie rief hierauf u&#x0364;ber ihren Vetter Morden,<lb/>
als wenn er &#x017F;ie vor einem Men&#x017F;chen von der<lb/>
freyen Lebensart gewarnet ha&#x0364;tte, und ging ans<lb/>
Fen&#x017F;ter mit ihrem Schnupftuch vor den Augen.<lb/>
Sie kehrte aber kurz wieder zu mir um, mit ei-<lb/>
ner Miene, die ihr erhabnes Gemu&#x0364;th und zugleich<lb/>
die Verachtung gegen mich an den Tag legte &#x2012; &#x2012;<lb/><hi rendition="#fr">O! was ha&#x0364;tte ich den Augenblick darum<lb/>
gegeben, daß ich &#x017F;ie niemals beleidiget ha-<lb/>
ben mo&#x0364;chte!</hi> &#x2012; Was ha&#x017F;t <hi rendition="#fr">du</hi> vorzu&#x017F;chlagen,<lb/>
wodurch du es bey mir wieder gut mache&#x017F;t? &#x2012; &#x2012;<lb/>
Wie kann ein &#x017F;olcher Kerl, als du, bey einer ver-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;ndigen, oder nur nicht ganz einfa&#x0364;ltigen Per&#x017F;on,<lb/>
das Uebel wieder gut machen, das du mir auf ei-<lb/>
ne unmen&#x017F;chliche Art zu leiden aufgeleget ha&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>So bald, gna&#x0364;dige Fra&#x0364;ulein &#x2012; &#x2012; So bald<lb/>
&#x2012; als &#x2012; &#x2012; So bald, als ihr Onkel &#x2012; &#x2012; oder<lb/>
&#x2012; &#x2012; um nicht zu warten &#x2012; &#x2012;</p><lb/>
          <p>Du will&#x017F;t vermuthlich &#x017F;agen &#x2012; &#x2012; Jch weiß,<lb/>
was du &#x017F;agen will&#x017F;t &#x2012; &#x2012; Allein meyne&#x017F;t du, daß<lb/>
die Ehe ein &#x017F;olches Verbrechen, wie das deinige<lb/>
i&#x017F;t, gut machen werde? So vollkommen du mich<lb/>
auch aller Freunde und Gu&#x0364;ter beraubet ha&#x017F;t: &#x017F;o<lb/>
i&#x017F;t mir doch der Bo&#x0364;&#x017F;ewicht, der <hi rendition="#fr">&#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t die<lb/>
Tugend &#x017F;einer Frauen rauben ko&#x0364;nnen,</hi> viel<lb/>
zu vera&#x0364;chtlich, daß ich auch nur in der Betrach-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">tung</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[652/0658] finden, der doch, um ein ſo freyer und liederlicher Kerl zu werden, vorher alles Gewiſſen, alle hei- lige Pflichten unterdruͤckt und verſpottet haben muß (*). Sie rief hierauf uͤber ihren Vetter Morden, als wenn er ſie vor einem Menſchen von der freyen Lebensart gewarnet haͤtte, und ging ans Fenſter mit ihrem Schnupftuch vor den Augen. Sie kehrte aber kurz wieder zu mir um, mit ei- ner Miene, die ihr erhabnes Gemuͤth und zugleich die Verachtung gegen mich an den Tag legte ‒ ‒ O! was haͤtte ich den Augenblick darum gegeben, daß ich ſie niemals beleidiget ha- ben moͤchte! ‒ Was haſt du vorzuſchlagen, wodurch du es bey mir wieder gut macheſt? ‒ ‒ Wie kann ein ſolcher Kerl, als du, bey einer ver- ſtaͤndigen, oder nur nicht ganz einfaͤltigen Perſon, das Uebel wieder gut machen, das du mir auf ei- ne unmenſchliche Art zu leiden aufgeleget haſt. So bald, gnaͤdige Fraͤulein ‒ ‒ So bald ‒ als ‒ ‒ So bald, als ihr Onkel ‒ ‒ oder ‒ ‒ um nicht zu warten ‒ ‒ Du willſt vermuthlich ſagen ‒ ‒ Jch weiß, was du ſagen willſt ‒ ‒ Allein meyneſt du, daß die Ehe ein ſolches Verbrechen, wie das deinige iſt, gut machen werde? So vollkommen du mich auch aller Freunde und Guͤter beraubet haſt: ſo iſt mir doch der Boͤſewicht, der ſich ſelbſt die Tugend ſeiner Frauen rauben koͤnnen, viel zu veraͤchtlich, daß ich auch nur in der Betrach- tung (*) Siehe den III. Th. S. 557.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/658
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 652. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/658>, abgerufen am 24.11.2024.