Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite


Jch habe Zeit zu einigen wenigen Zeilen, als
einer Vorbereitung zu dem, was in einer oder
zwo Stunden vorgehen soll, und Lust bis an den
Augenblick zu schreiben - -

Wir sind höchstglücklich gewesen. Wie vie-
le angenehme Tage haben wir mit einander zu-
gebracht! Was mögen die nächsten zwo Stun-
den zuwege bringen!

Als ich meine reizende Schöne verließ; und
das that ich mit unendlichem Widerstreben vor ei-
ner halben Stunde: so geschahe es auf ihr Ver-
sprechen, daß sie nicht aufsitzen und schreiben oder
lesen wollte. Denn die Unterredung war so vor-
theilhaft für mich, daß ich darauf bestand, wenn
sie sich nicht alsobald zur Ruhe begäbe, so sollte
sie mir außer der vorigen noch eine glückliche
Stunde vergönnen. Und in der That war mein
Verhalten während der ganzen Zeit ihr offenbar
angenehm.

Hätte sie die halbe Nacht aufgesessen und ge-
schrieben oder gelesen, wie sie bisweilen thut: so
würde dadurch meine Absicht fehlgeschlagen seyn.
Das wirst du selbst bemerken: wenn sich meine
kleine List entwickelt.



Was - Was - Was nun! unruhiger Bö-
sewicht! Wolltest du mich erwürgen? - -

Jch sprach mit meinem Herzen, Bruder.
Es war mir eben an der Kehle - - Und wozu
hilft dieß alles? Wenn eine Mannsperson dem

Ziel


Jch habe Zeit zu einigen wenigen Zeilen, als
einer Vorbereitung zu dem, was in einer oder
zwo Stunden vorgehen ſoll, und Luſt bis an den
Augenblick zu ſchreiben ‒ ‒

Wir ſind hoͤchſtgluͤcklich geweſen. Wie vie-
le angenehme Tage haben wir mit einander zu-
gebracht! Was moͤgen die naͤchſten zwo Stun-
den zuwege bringen!

Als ich meine reizende Schoͤne verließ; und
das that ich mit unendlichem Widerſtreben vor ei-
ner halben Stunde: ſo geſchahe es auf ihr Ver-
ſprechen, daß ſie nicht aufſitzen und ſchreiben oder
leſen wollte. Denn die Unterredung war ſo vor-
theilhaft fuͤr mich, daß ich darauf beſtand, wenn
ſie ſich nicht alſobald zur Ruhe begaͤbe, ſo ſollte
ſie mir außer der vorigen noch eine gluͤckliche
Stunde vergoͤnnen. Und in der That war mein
Verhalten waͤhrend der ganzen Zeit ihr offenbar
angenehm.

Haͤtte ſie die halbe Nacht aufgeſeſſen und ge-
ſchrieben oder geleſen, wie ſie bisweilen thut: ſo
wuͤrde dadurch meine Abſicht fehlgeſchlagen ſeyn.
Das wirſt du ſelbſt bemerken: wenn ſich meine
kleine Liſt entwickelt.



Was ‒ Was ‒ Was nun! unruhiger Boͤ-
ſewicht! Wollteſt du mich erwuͤrgen? ‒ ‒

Jch ſprach mit meinem Herzen, Bruder.
Es war mir eben an der Kehle ‒ ‒ Und wozu
hilft dieß alles? Wenn eine Mannsperſon dem

Ziel
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0072" n="66"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Jch habe Zeit zu einigen wenigen Zeilen, als<lb/>
einer Vorbereitung zu dem, was in einer oder<lb/>
zwo Stunden vorgehen &#x017F;oll, und Lu&#x017F;t bis an den<lb/>
Augenblick zu &#x017F;chreiben &#x2012; &#x2012;</p><lb/>
          <p>Wir &#x017F;ind ho&#x0364;ch&#x017F;tglu&#x0364;cklich gewe&#x017F;en. Wie vie-<lb/>
le angenehme Tage haben wir mit einander zu-<lb/>
gebracht! Was mo&#x0364;gen die na&#x0364;ch&#x017F;ten zwo Stun-<lb/>
den zuwege bringen!</p><lb/>
          <p>Als ich meine reizende Scho&#x0364;ne verließ; und<lb/>
das that ich mit unendlichem Wider&#x017F;treben vor ei-<lb/>
ner halben Stunde: &#x017F;o ge&#x017F;chahe es auf ihr Ver-<lb/>
&#x017F;prechen, daß &#x017F;ie nicht auf&#x017F;itzen und &#x017F;chreiben oder<lb/>
le&#x017F;en wollte. Denn die Unterredung war &#x017F;o vor-<lb/>
theilhaft fu&#x0364;r mich, daß ich darauf be&#x017F;tand, wenn<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich nicht al&#x017F;obald zur Ruhe bega&#x0364;be, &#x017F;o &#x017F;ollte<lb/>
&#x017F;ie mir außer der vorigen noch eine glu&#x0364;ckliche<lb/>
Stunde vergo&#x0364;nnen. Und in der That war mein<lb/>
Verhalten wa&#x0364;hrend der ganzen Zeit ihr offenbar<lb/>
angenehm.</p><lb/>
          <p>Ha&#x0364;tte &#x017F;ie die halbe Nacht aufge&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en und ge-<lb/>
&#x017F;chrieben oder gele&#x017F;en, wie &#x017F;ie bisweilen thut: &#x017F;o<lb/>
wu&#x0364;rde dadurch meine Ab&#x017F;icht fehlge&#x017F;chlagen &#x017F;eyn.<lb/>
Das wir&#x017F;t du &#x017F;elb&#x017F;t bemerken: wenn &#x017F;ich meine<lb/>
kleine Li&#x017F;t entwickelt.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Was &#x2012; Was &#x2012; Was nun! unruhiger Bo&#x0364;-<lb/>
&#x017F;ewicht! Wollte&#x017F;t du mich erwu&#x0364;rgen? &#x2012; &#x2012;</p><lb/>
          <p>Jch &#x017F;prach mit meinem Herzen, Bruder.<lb/>
Es war mir eben an der Kehle &#x2012; &#x2012; Und wozu<lb/>
hilft dieß alles? Wenn eine Mannsper&#x017F;on dem<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Ziel</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[66/0072] Jch habe Zeit zu einigen wenigen Zeilen, als einer Vorbereitung zu dem, was in einer oder zwo Stunden vorgehen ſoll, und Luſt bis an den Augenblick zu ſchreiben ‒ ‒ Wir ſind hoͤchſtgluͤcklich geweſen. Wie vie- le angenehme Tage haben wir mit einander zu- gebracht! Was moͤgen die naͤchſten zwo Stun- den zuwege bringen! Als ich meine reizende Schoͤne verließ; und das that ich mit unendlichem Widerſtreben vor ei- ner halben Stunde: ſo geſchahe es auf ihr Ver- ſprechen, daß ſie nicht aufſitzen und ſchreiben oder leſen wollte. Denn die Unterredung war ſo vor- theilhaft fuͤr mich, daß ich darauf beſtand, wenn ſie ſich nicht alſobald zur Ruhe begaͤbe, ſo ſollte ſie mir außer der vorigen noch eine gluͤckliche Stunde vergoͤnnen. Und in der That war mein Verhalten waͤhrend der ganzen Zeit ihr offenbar angenehm. Haͤtte ſie die halbe Nacht aufgeſeſſen und ge- ſchrieben oder geleſen, wie ſie bisweilen thut: ſo wuͤrde dadurch meine Abſicht fehlgeſchlagen ſeyn. Das wirſt du ſelbſt bemerken: wenn ſich meine kleine Liſt entwickelt. Was ‒ Was ‒ Was nun! unruhiger Boͤ- ſewicht! Wollteſt du mich erwuͤrgen? ‒ ‒ Jch ſprach mit meinem Herzen, Bruder. Es war mir eben an der Kehle ‒ ‒ Und wozu hilft dieß alles? Wenn eine Mannsperſon dem Ziel

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/72
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/72>, abgerufen am 17.05.2024.