Nachdem sie aufgestanden und in ihr Closet gegangen war, dauchte mich, daß sie auf dem Rückwege den Wachsstock fallen ließ. Und, o eine noch seltsamere Verwandelung, als die vori- ge! was für unbegreifliche Dinge sind die Träu- me! da sie im Finstern wieder zu Bette kam: fand die junge Fräulein, zu unsäglichem Erstau- nen, Kummer und Schrecken, die Mutter H. in eine junge Person von dem andern Geschlechte verwandelt. Ob nun gleich Lovelace derjenige war, den ihre Seele verabscheuete: so gereichte es ihr doch zu einigem Troste, weil sie besorgte, es möchte eine andere Person seyn, als sie befand, daß es kein anderer, als er selbst, und daß sie nur noch von einem und eben demselben Manne die Beyschläferinn gewesen wäre.
Nun folgte eine wunderliche und verwirrte Mischung von abendtheurlichen Begebenheiten. Die Auftritte veränderten sich in diesem Schau- spiel beständig. Jtzt hörte man von der Fräu- lein nichts als Seufzen, Winseln, Ausrufen, Ohnmächtigwerden, Sterben - -: von dem Ca- vallier nichts, als Gelübde, Versprechungen, Be- theurungen, Entsagungen von verfolgten Anschlä- gen, und alle in den Liebeskriegen gewöhnliche, theils gelinde, theils scharfe Zuredungen.
Bald, so geschwinde als die Gedanken ein- ander treiben; denn Träume, weißt du wohl, bin- den sich nicht an die Regeln der Schauspiele; er- folgte Genesung, Niederkunft, Kindtaufe: und
da
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Nachdem ſie aufgeſtanden und in ihr Cloſet gegangen war, dauchte mich, daß ſie auf dem Ruͤckwege den Wachsſtock fallen ließ. Und, o eine noch ſeltſamere Verwandelung, als die vori- ge! was fuͤr unbegreifliche Dinge ſind die Traͤu- me! da ſie im Finſtern wieder zu Bette kam: fand die junge Fraͤulein, zu unſaͤglichem Erſtau- nen, Kummer und Schrecken, die Mutter H. in eine junge Perſon von dem andern Geſchlechte verwandelt. Ob nun gleich Lovelace derjenige war, den ihre Seele verabſcheuete: ſo gereichte es ihr doch zu einigem Troſte, weil ſie beſorgte, es moͤchte eine andere Perſon ſeyn, als ſie befand, daß es kein anderer, als er ſelbſt, und daß ſie nur noch von einem und eben demſelben Manne die Beyſchlaͤferinn geweſen waͤre.
Nun folgte eine wunderliche und verwirrte Miſchung von abendtheurlichen Begebenheiten. Die Auftritte veraͤnderten ſich in dieſem Schau- ſpiel beſtaͤndig. Jtzt hoͤrte man von der Fraͤu- lein nichts als Seufzen, Winſeln, Ausrufen, Ohnmaͤchtigwerden, Sterben ‒ ‒: von dem Ca- vallier nichts, als Geluͤbde, Verſprechungen, Be- theurungen, Entſagungen von verfolgten Anſchlaͤ- gen, und alle in den Liebeskriegen gewoͤhnliche, theils gelinde, theils ſcharfe Zuredungen.
Bald, ſo geſchwinde als die Gedanken ein- ander treiben; denn Traͤume, weißt du wohl, bin- den ſich nicht an die Regeln der Schauſpiele; er- folgte Geneſung, Niederkunft, Kindtaufe: und
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Nachdem ſie aufgeſtanden und in ihr Cloſet
gegangen war, dauchte mich, daß ſie auf dem
Ruͤckwege den Wachsſtock fallen ließ. Und, o
eine noch ſeltſamere Verwandelung, als die vori-
ge! was fuͤr unbegreifliche Dinge ſind die Traͤu-
me! da ſie im Finſtern wieder zu Bette kam:
fand die junge Fraͤulein, zu unſaͤglichem Erſtau-
nen, Kummer und Schrecken, die Mutter H. in
eine junge Perſon von dem andern Geſchlechte
verwandelt. Ob nun gleich Lovelace derjenige
war, den ihre Seele verabſcheuete: ſo gereichte
es ihr doch zu einigem Troſte, weil ſie beſorgte, es
moͤchte eine andere Perſon ſeyn, als ſie befand,
daß es kein anderer, als er ſelbſt, und daß ſie nur
noch von einem und eben demſelben Manne die
Beyſchlaͤferinn geweſen waͤre.
Nun folgte eine wunderliche und verwirrte
Miſchung von abendtheurlichen Begebenheiten.
Die Auftritte veraͤnderten ſich in dieſem Schau-
ſpiel beſtaͤndig. Jtzt hoͤrte man von der Fraͤu-
lein nichts als Seufzen, Winſeln, Ausrufen,
Ohnmaͤchtigwerden, Sterben ‒ ‒: von dem Ca-
vallier nichts, als Geluͤbde, Verſprechungen, Be-
theurungen, Entſagungen von verfolgten Anſchlaͤ-
gen, und alle in den Liebeskriegen gewoͤhnliche,
theils gelinde, theils ſcharfe Zuredungen.
Bald, ſo geſchwinde als die Gedanken ein-
ander treiben; denn Traͤume, weißt du wohl, bin-
den ſich nicht an die Regeln der Schauſpiele; er-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 723. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/729>, abgerufen am 24.11.2024.
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