keit ihres Geschlechtes zu. So feyerlich es das liebe Kind mit mir anfing, dachte ich, ist sie doch in Gedanken, in einer angenehmen Ungewißheit, wie sie den gütigen Vorsatz ihres sich herablassen- den Herzens in geschickte Worte fassen soll. Al- lein, da ich mit einer liebkosenden Freundlichkeit in ihr abgewandtes Gesicht sahe, merkte ich au- genscheinlich, daß es Widerwillen und nicht Schamhaftigkeit war, was sich in ihrer Brust sträubete (*).
Zuletzt brach sie das Stillschweigen. - - Jch habe keine Gedult mehr, waren ihre Worte, daß ich mich als eine Sklavinn, eine Gefangene in einem schändlichen Hause ansehen muß - - Sagen sie mir, mein Herr, sagen sie mir mit aus- drücklichen Worten, ob sie willens sind oder nicht, mir zu gestatten, daß ich es verlasse? - Ob sie willens sind, mir die Freyheit zu erlauben, die mein Geburtsrecht ist, als eines englischen Unter- thans?
Wird nicht die Folge seyn, wenn sie von hier gehen, daß ich sie auf ewig verlieren werde, gnä- dige Fräulein? - - Und können mir diese Ge- danken wohl erträglich seyn?
Darauf
(*) Die Fräulein gesteht in ihren Verzeichnissen, daß sie viele Mühe gehabt, in dieser Unterredung ih- ren Unwillen zurückzuhalten. "Aber da ich be- "fand, schreibt sie, daß alle mein Bitten vergeb- "lich, und daß er entschlossen war, mich festzuhal- "ten: so konnte ich meine Ungedult nicht länger "unterdrücken.
keit ihres Geſchlechtes zu. So feyerlich es das liebe Kind mit mir anfing, dachte ich, iſt ſie doch in Gedanken, in einer angenehmen Ungewißheit, wie ſie den guͤtigen Vorſatz ihres ſich herablaſſen- den Herzens in geſchickte Worte faſſen ſoll. Al- lein, da ich mit einer liebkoſenden Freundlichkeit in ihr abgewandtes Geſicht ſahe, merkte ich au- genſcheinlich, daß es Widerwillen und nicht Schamhaftigkeit war, was ſich in ihrer Bruſt ſtraͤubete (*).
Zuletzt brach ſie das Stillſchweigen. ‒ ‒ Jch habe keine Gedult mehr, waren ihre Worte, daß ich mich als eine Sklavinn, eine Gefangene in einem ſchaͤndlichen Hauſe anſehen muß ‒ ‒ Sagen ſie mir, mein Herr, ſagen ſie mir mit aus- druͤcklichen Worten, ob ſie willens ſind oder nicht, mir zu geſtatten, daß ich es verlaſſe? ‒ Ob ſie willens ſind, mir die Freyheit zu erlauben, die mein Geburtsrecht iſt, als eines engliſchen Unter- thans?
Wird nicht die Folge ſeyn, wenn ſie von hier gehen, daß ich ſie auf ewig verlieren werde, gnaͤ- dige Fraͤulein? ‒ ‒ Und koͤnnen mir dieſe Ge- danken wohl ertraͤglich ſeyn?
Darauf
(*) Die Fraͤulein geſteht in ihren Verzeichniſſen, daß ſie viele Muͤhe gehabt, in dieſer Unterredung ih- ren Unwillen zuruͤckzuhalten. „Aber da ich be- „fand, ſchreibt ſie, daß alle mein Bitten vergeb- „lich, und daß er entſchloſſen war, mich feſtzuhal- „ten: ſo konnte ich meine Ungedult nicht laͤnger „unterdruͤcken.
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keit ihres Geſchlechtes zu. So feyerlich es das
liebe Kind mit mir anfing, dachte ich, iſt ſie doch
in Gedanken, in einer angenehmen Ungewißheit,
wie ſie den guͤtigen Vorſatz ihres ſich herablaſſen-
den Herzens in geſchickte Worte faſſen ſoll. Al-
lein, da ich mit einer liebkoſenden Freundlichkeit
in ihr abgewandtes Geſicht ſahe, merkte ich au-
genſcheinlich, daß es Widerwillen und nicht
Schamhaftigkeit war, was ſich in ihrer Bruſt
ſtraͤubete (*).
Zuletzt brach ſie das Stillſchweigen. ‒ ‒
Jch habe keine Gedult mehr, waren ihre Worte,
daß ich mich als eine Sklavinn, eine Gefangene
in einem ſchaͤndlichen Hauſe anſehen muß ‒ ‒
Sagen ſie mir, mein Herr, ſagen ſie mir mit aus-
druͤcklichen Worten, ob ſie willens ſind oder nicht,
mir zu geſtatten, daß ich es verlaſſe? ‒ Ob ſie
willens ſind, mir die Freyheit zu erlauben, die
mein Geburtsrecht iſt, als eines engliſchen Unter-
thans?
Wird nicht die Folge ſeyn, wenn ſie von hier
gehen, daß ich ſie auf ewig verlieren werde, gnaͤ-
dige Fraͤulein? ‒ ‒ Und koͤnnen mir dieſe Ge-
danken wohl ertraͤglich ſeyn?
Darauf
(*) Die Fraͤulein geſteht in ihren Verzeichniſſen, daß
ſie viele Muͤhe gehabt, in dieſer Unterredung ih-
ren Unwillen zuruͤckzuhalten. „Aber da ich be-
„fand, ſchreibt ſie, daß alle mein Bitten vergeb-
„lich, und daß er entſchloſſen war, mich feſtzuhal-
„ten: ſo konnte ich meine Ungedult nicht laͤnger
„unterdruͤcken.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 762. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/768>, abgerufen am 24.11.2024.
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