liche Lage ist; ob es gleich einstens bis an meine Kehle hinauf schlug. Ein beschämter und feiger Missethäter! - - Sie schwieg auch stille und sahe um sich herum: zuerst auf mich; hernach auf die Mutter, als wenn sie sich nicht weiter vor ihr fürchtete; dann auf Sarah und Marichen; endlich auf die angeklagte Dorcas. - - So äus- serte sich in dem Augenblick voll schrecklicher Ehrfurcht, die herrliche Macht der Unschuld!
Sie wollte gern reden: aber sie konnte nicht; nur ihre Blicke setzten meine Schuld in Verwir- rung. Man hätte eine Maus hören können: wenn sie über den Fußboden gelaufen wäre. Die leichten Füße und die rauschende Seide von den Kleidern der Fräulein würden es nicht gehindert haben: denn sie schien auf Luft zu treten, und nichts als Seele zu seyn - - Sie ging zwey oder dreymal zur Thüre, und wieder zu mir zurück: ehe die Sprache über den Unwillen die Oberhand behalten konnte. Endlich reusperte sie sich zwey oder dreymal, ihre vernehmliche Stimme wieder zu bekommen - - O du verächtlicher und ver- ruchter Lovelace, denkest du, daß ich durch diese armselige und schändliche Ränke von dir, und diesen deinen gottlosen Mitgenossen, nicht hindurch schaue?
Du Weib; sie sahe hiebey die Mutter an; das mir einmal Schrecken eingejaget, allezeit misfällig und zuwider gewesen ist, nun aber von mir verabscheuet wird! Du hättest noch einmal; denn von deiner Hand war vielleicht die Zuberei-
tung;
liche Lage iſt; ob es gleich einſtens bis an meine Kehle hinauf ſchlug. Ein beſchaͤmter und feiger Miſſethaͤter! ‒ ‒ Sie ſchwieg auch ſtille und ſahe um ſich herum: zuerſt auf mich; hernach auf die Mutter, als wenn ſie ſich nicht weiter vor ihr fuͤrchtete; dann auf Sarah und Marichen; endlich auf die angeklagte Dorcas. ‒ ‒ So aͤuſ- ſerte ſich in dem Augenblick voll ſchrecklicher Ehrfurcht, die herrliche Macht der Unſchuld!
Sie wollte gern reden: aber ſie konnte nicht; nur ihre Blicke ſetzten meine Schuld in Verwir- rung. Man haͤtte eine Maus hoͤren koͤnnen: wenn ſie uͤber den Fußboden gelaufen waͤre. Die leichten Fuͤße und die rauſchende Seide von den Kleidern der Fraͤulein wuͤrden es nicht gehindert haben: denn ſie ſchien auf Luft zu treten, und nichts als Seele zu ſeyn ‒ ‒ Sie ging zwey oder dreymal zur Thuͤre, und wieder zu mir zuruͤck: ehe die Sprache uͤber den Unwillen die Oberhand behalten konnte. Endlich reuſperte ſie ſich zwey oder dreymal, ihre vernehmliche Stimme wieder zu bekommen ‒ ‒ O du veraͤchtlicher und ver- ruchter Lovelace, denkeſt du, daß ich durch dieſe armſelige und ſchaͤndliche Raͤnke von dir, und dieſen deinen gottloſen Mitgenoſſen, nicht hindurch ſchaue?
Du Weib; ſie ſahe hiebey die Mutter an; das mir einmal Schrecken eingejaget, allezeit misfaͤllig und zuwider geweſen iſt, nun aber von mir verabſcheuet wird! Du haͤtteſt noch einmal; denn von deiner Hand war vielleicht die Zuberei-
tung;
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0816"n="810"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
liche Lage iſt; ob es gleich einſtens bis an meine<lb/>
Kehle hinauf ſchlug. Ein beſchaͤmter und feiger<lb/>
Miſſethaͤter! ‒‒ Sie ſchwieg auch ſtille und<lb/>ſahe um ſich herum: zuerſt auf mich; hernach<lb/>
auf die Mutter, als wenn ſie ſich nicht weiter vor<lb/>
ihr fuͤrchtete; dann auf Sarah und Marichen;<lb/>
endlich auf die angeklagte Dorcas. ‒‒ So aͤuſ-<lb/>ſerte ſich in dem Augenblick voll ſchrecklicher<lb/>
Ehrfurcht, die herrliche Macht der Unſchuld!</p><lb/><p>Sie wollte gern reden: aber ſie konnte nicht;<lb/>
nur ihre Blicke ſetzten meine Schuld in Verwir-<lb/>
rung. Man haͤtte eine Maus hoͤren koͤnnen:<lb/>
wenn ſie uͤber den Fußboden gelaufen waͤre. Die<lb/>
leichten Fuͤße und die rauſchende Seide von den<lb/>
Kleidern der Fraͤulein wuͤrden es nicht gehindert<lb/>
haben: denn ſie ſchien auf Luft zu treten, und<lb/>
nichts als Seele zu ſeyn ‒‒ Sie ging zwey oder<lb/>
dreymal zur Thuͤre, und wieder zu mir zuruͤck:<lb/>
ehe die Sprache uͤber den Unwillen die Oberhand<lb/>
behalten konnte. Endlich reuſperte ſie ſich zwey<lb/>
oder dreymal, ihre vernehmliche Stimme wieder<lb/>
zu bekommen ‒‒ O du veraͤchtlicher und ver-<lb/>
ruchter Lovelace, denkeſt du, daß ich durch dieſe<lb/>
armſelige und ſchaͤndliche Raͤnke von dir, und<lb/>
dieſen deinen gottloſen Mitgenoſſen, nicht hindurch<lb/>ſchaue?</p><lb/><p>Du Weib; ſie ſahe hiebey die Mutter an;<lb/>
das mir einmal Schrecken eingejaget, allezeit<lb/>
misfaͤllig und zuwider geweſen iſt, nun aber von<lb/>
mir verabſcheuet wird! Du haͤtteſt noch einmal;<lb/>
denn von deiner Hand war vielleicht die Zuberei-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">tung;</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[810/0816]
liche Lage iſt; ob es gleich einſtens bis an meine
Kehle hinauf ſchlug. Ein beſchaͤmter und feiger
Miſſethaͤter! ‒ ‒ Sie ſchwieg auch ſtille und
ſahe um ſich herum: zuerſt auf mich; hernach
auf die Mutter, als wenn ſie ſich nicht weiter vor
ihr fuͤrchtete; dann auf Sarah und Marichen;
endlich auf die angeklagte Dorcas. ‒ ‒ So aͤuſ-
ſerte ſich in dem Augenblick voll ſchrecklicher
Ehrfurcht, die herrliche Macht der Unſchuld!
Sie wollte gern reden: aber ſie konnte nicht;
nur ihre Blicke ſetzten meine Schuld in Verwir-
rung. Man haͤtte eine Maus hoͤren koͤnnen:
wenn ſie uͤber den Fußboden gelaufen waͤre. Die
leichten Fuͤße und die rauſchende Seide von den
Kleidern der Fraͤulein wuͤrden es nicht gehindert
haben: denn ſie ſchien auf Luft zu treten, und
nichts als Seele zu ſeyn ‒ ‒ Sie ging zwey oder
dreymal zur Thuͤre, und wieder zu mir zuruͤck:
ehe die Sprache uͤber den Unwillen die Oberhand
behalten konnte. Endlich reuſperte ſie ſich zwey
oder dreymal, ihre vernehmliche Stimme wieder
zu bekommen ‒ ‒ O du veraͤchtlicher und ver-
ruchter Lovelace, denkeſt du, daß ich durch dieſe
armſelige und ſchaͤndliche Raͤnke von dir, und
dieſen deinen gottloſen Mitgenoſſen, nicht hindurch
ſchaue?
Du Weib; ſie ſahe hiebey die Mutter an;
das mir einmal Schrecken eingejaget, allezeit
misfaͤllig und zuwider geweſen iſt, nun aber von
mir verabſcheuet wird! Du haͤtteſt noch einmal;
denn von deiner Hand war vielleicht die Zuberei-
tung;
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 810. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/816>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.