Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



"und laurete oben an der Treppe, bis die vermeyn-
"te Mabelle zurückkommen möchte.

"Mabelle und die Arbeitsfrau der Schnei-
"derinn warteten eine gute Weile, und vertrieben
"sich die Zeit nicht misvergnügt: die eine, weil sie
"mit ihrer Handthierung zu thun hatte; die andere,
"weil sie sich über ihren feinen langen Rock und
"Unterrock freuete. Aber endlich wunderten sie
"sich doch, daß die Fräulein nicht zu ihnen käme.
"Mabelle ging deswegen leise zu ihrer Thüre,
"und klopfte an. Wie sie keine Antwort bekam:
"so ging sie selbst in die Kammer hinein.

"Wilhelm ward den Augenblick sehr bestürzt,
"als er, von seinem Posten oben an der Treppe,
"Mabelle in den Kleidern der Fräulein sahe;
"denn er hatte von dem Geschenke gehöret, wie
"gemeiniglich Geschenke für Bediente, ehe man
"es sich versieht, von einem Dienstboten zum an-
"dern ausgetragen werden. Er ward bestürzt:
"weil er sie eben in ihren eignen Kleidern, nach
"seinen Gedanken, hatte ausgehen sehen. Daher
"ging er hinauf, und begegnete ihr an der Thür.
"Wie, Teufel, geht das zu? sprach er. Eben itzo
"ginget ihr ja in euren eignen Kleidern aus!
"Wie seyd ihr denn in diesen hierher gekommen?
"Wie habt ihr, ohne daß ich euch gesehen, bey
"mir vorbeykommen können? Jndessen küssete
"er sie doch, und sagte: Nun wollte er sich rüh-
"men, daß er die Fräulein geküsset hätte, oder ei-
"ne in ihren Kleidern.

"Es



„und laurete oben an der Treppe, bis die vermeyn-
„te Mabelle zuruͤckkommen moͤchte.

„Mabelle und die Arbeitsfrau der Schnei-
„derinn warteten eine gute Weile, und vertrieben
„ſich die Zeit nicht misvergnuͤgt: die eine, weil ſie
„mit ihrer Handthierung zu thun hatte; die andere,
„weil ſie ſich uͤber ihren feinen langen Rock und
„Unterrock freuete. Aber endlich wunderten ſie
„ſich doch, daß die Fraͤulein nicht zu ihnen kaͤme.
„Mabelle ging deswegen leiſe zu ihrer Thuͤre,
„und klopfte an. Wie ſie keine Antwort bekam:
„ſo ging ſie ſelbſt in die Kammer hinein.

„Wilhelm ward den Augenblick ſehr beſtuͤrzt,
„als er, von ſeinem Poſten oben an der Treppe,
„Mabelle in den Kleidern der Fraͤulein ſahe;
„denn er hatte von dem Geſchenke gehoͤret, wie
„gemeiniglich Geſchenke fuͤr Bediente, ehe man
„es ſich verſieht, von einem Dienſtboten zum an-
„dern ausgetragen werden. Er ward beſtuͤrzt:
„weil er ſie eben in ihren eignen Kleidern, nach
„ſeinen Gedanken, hatte ausgehen ſehen. Daher
„ging er hinauf, und begegnete ihr an der Thuͤr.
„Wie, Teufel, geht das zu? ſprach er. Eben itzo
„ginget ihr ja in euren eignen Kleidern aus!
„Wie ſeyd ihr denn in dieſen hierher gekommen?
„Wie habt ihr, ohne daß ich euch geſehen, bey
„mir vorbeykommen koͤnnen? Jndeſſen kuͤſſete
„er ſie doch, und ſagte: Nun wollte er ſich ruͤh-
„men, daß er die Fraͤulein gekuͤſſet haͤtte, oder ei-
„ne in ihren Kleidern.

„Es
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0876" n="870"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
&#x201E;und laurete oben an der Treppe, bis die vermeyn-<lb/>
&#x201E;te Mabelle zuru&#x0364;ckkommen mo&#x0364;chte.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Mabelle und die Arbeitsfrau der Schnei-<lb/>
&#x201E;derinn warteten eine gute Weile, und vertrieben<lb/>
&#x201E;&#x017F;ich die Zeit nicht misvergnu&#x0364;gt: die eine, weil &#x017F;ie<lb/>
&#x201E;mit ihrer Handthierung zu thun hatte; die andere,<lb/>
&#x201E;weil &#x017F;ie &#x017F;ich u&#x0364;ber ihren feinen langen Rock und<lb/>
&#x201E;Unterrock freuete. Aber endlich wunderten &#x017F;ie<lb/>
&#x201E;&#x017F;ich doch, daß die Fra&#x0364;ulein nicht zu ihnen ka&#x0364;me.<lb/>
&#x201E;Mabelle ging deswegen lei&#x017F;e zu ihrer Thu&#x0364;re,<lb/>
&#x201E;und klopfte an. Wie &#x017F;ie keine Antwort bekam:<lb/>
&#x201E;&#x017F;o ging &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t in die Kammer hinein.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Wilhelm ward den Augenblick &#x017F;ehr be&#x017F;tu&#x0364;rzt,<lb/>
&#x201E;als er, von &#x017F;einem Po&#x017F;ten oben an der Treppe,<lb/>
&#x201E;Mabelle in den Kleidern der Fra&#x0364;ulein &#x017F;ahe;<lb/>
&#x201E;denn er hatte von dem Ge&#x017F;chenke geho&#x0364;ret, wie<lb/>
&#x201E;gemeiniglich Ge&#x017F;chenke fu&#x0364;r Bediente, ehe man<lb/>
&#x201E;es &#x017F;ich ver&#x017F;ieht, von einem Dien&#x017F;tboten zum an-<lb/>
&#x201E;dern ausgetragen werden. Er ward be&#x017F;tu&#x0364;rzt:<lb/>
&#x201E;weil er &#x017F;ie eben in <hi rendition="#fr">ihren eignen</hi> Kleidern, nach<lb/>
&#x201E;&#x017F;einen Gedanken, hatte ausgehen &#x017F;ehen. Daher<lb/>
&#x201E;ging er hinauf, und begegnete ihr an der Thu&#x0364;r.<lb/>
&#x201E;Wie, Teufel, geht das zu? &#x017F;prach er. Eben itzo<lb/>
&#x201E;ginget ihr ja in euren eignen Kleidern aus!<lb/>
&#x201E;Wie &#x017F;eyd ihr denn in die&#x017F;en hierher gekommen?<lb/>
&#x201E;Wie habt ihr, ohne daß ich euch ge&#x017F;ehen, bey<lb/>
&#x201E;mir vorbeykommen ko&#x0364;nnen? Jnde&#x017F;&#x017F;en ku&#x0364;&#x017F;&#x017F;ete<lb/>
&#x201E;er &#x017F;ie doch, und &#x017F;agte: Nun wollte er &#x017F;ich ru&#x0364;h-<lb/>
&#x201E;men, daß er die Fra&#x0364;ulein geku&#x0364;&#x017F;&#x017F;et ha&#x0364;tte, oder ei-<lb/>
&#x201E;ne in ihren Kleidern.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">&#x201E;Es</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[870/0876] „und laurete oben an der Treppe, bis die vermeyn- „te Mabelle zuruͤckkommen moͤchte. „Mabelle und die Arbeitsfrau der Schnei- „derinn warteten eine gute Weile, und vertrieben „ſich die Zeit nicht misvergnuͤgt: die eine, weil ſie „mit ihrer Handthierung zu thun hatte; die andere, „weil ſie ſich uͤber ihren feinen langen Rock und „Unterrock freuete. Aber endlich wunderten ſie „ſich doch, daß die Fraͤulein nicht zu ihnen kaͤme. „Mabelle ging deswegen leiſe zu ihrer Thuͤre, „und klopfte an. Wie ſie keine Antwort bekam: „ſo ging ſie ſelbſt in die Kammer hinein. „Wilhelm ward den Augenblick ſehr beſtuͤrzt, „als er, von ſeinem Poſten oben an der Treppe, „Mabelle in den Kleidern der Fraͤulein ſahe; „denn er hatte von dem Geſchenke gehoͤret, wie „gemeiniglich Geſchenke fuͤr Bediente, ehe man „es ſich verſieht, von einem Dienſtboten zum an- „dern ausgetragen werden. Er ward beſtuͤrzt: „weil er ſie eben in ihren eignen Kleidern, nach „ſeinen Gedanken, hatte ausgehen ſehen. Daher „ging er hinauf, und begegnete ihr an der Thuͤr. „Wie, Teufel, geht das zu? ſprach er. Eben itzo „ginget ihr ja in euren eignen Kleidern aus! „Wie ſeyd ihr denn in dieſen hierher gekommen? „Wie habt ihr, ohne daß ich euch geſehen, bey „mir vorbeykommen koͤnnen? Jndeſſen kuͤſſete „er ſie doch, und ſagte: Nun wollte er ſich ruͤh- „men, daß er die Fraͤulein gekuͤſſet haͤtte, oder ei- „ne in ihren Kleidern. „Es

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/876
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 870. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/876>, abgerufen am 24.11.2024.