Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



"zehn Personen, die Mutter und ihre Mitgenos-
"sen eingeschlossen, vorzeigte.

"Wilhelm erzählte ihnen seine Geschichte:
"und darauf lief er aus, wie vormals bey eben
"der Gelegenheit, Erkundigung einzuziehen, ob
"jemand von den Kutschern, Sänftenträgern oder
"andern Trägern, die sich in der Nachbarschaft
"gemeiniglich aufhielten, die Fräulein gesehen
"hätte. Dorcas rechtfertigte sich unterdessen al-
"sobald, und zwar auf Kosten der armen Ma-
"belle, die eben so schuldig und strafwürdig, als
"seltsam aussahe, indem sie noch den verdächti-
"gen Lohn ihrer Verrätherey anhatte, welchen ihr
"Dorcas aus Neid gern vom Leibe gerissen
"hätte.

"Hierauf bellete die ganze Kuppel das arme
"Mensch an, und die Mutter blöckete, mit rau-
"chendem Maule, ihren Befehl aus, die verdäch-
"tige Missethäterinn zu ergreifen: welche dage-
"gen bey ihrer eignen Vertheidigung weder ge-
"hört werden konnte, noch, wenn sie auch gehöret
"wäre, Glauben gefunden hätte.

"Sollte solch eine treulose Katze ihr Haus
"schänden! rief die Mutter - - Fromme und
"rechtschaffene Leute möchten wohl verführet
"werden: aber das wär eine feine Sache, wenn
"solch ein Haus, als das ihrige, von verfluchten
"Creaturen, die sich selbst nach ihrer Gemüths-
"art
vermietheten und keinen Anspruch auf gu-
"te Grundsätze
machen durften, nicht getreue
"Dienste haben könnte! - - Jch wollte, daß sie

"ver-



„zehn Perſonen, die Mutter und ihre Mitgenoſ-
„ſen eingeſchloſſen, vorzeigte.

„Wilhelm erzaͤhlte ihnen ſeine Geſchichte:
„und darauf lief er aus, wie vormals bey eben
„der Gelegenheit, Erkundigung einzuziehen, ob
„jemand von den Kutſchern, Saͤnftentraͤgern oder
„andern Traͤgern, die ſich in der Nachbarſchaft
„gemeiniglich aufhielten, die Fraͤulein geſehen
„haͤtte. Dorcas rechtfertigte ſich unterdeſſen al-
„ſobald, und zwar auf Koſten der armen Ma-
„belle, die eben ſo ſchuldig und ſtrafwuͤrdig, als
„ſeltſam ausſahe, indem ſie noch den verdaͤchti-
„gen Lohn ihrer Verraͤtherey anhatte, welchen ihr
„Dorcas aus Neid gern vom Leibe geriſſen
„haͤtte.

„Hierauf bellete die ganze Kuppel das arme
„Menſch an, und die Mutter bloͤckete, mit rau-
„chendem Maule, ihren Befehl aus, die verdaͤch-
„tige Miſſethaͤterinn zu ergreifen: welche dage-
„gen bey ihrer eignen Vertheidigung weder ge-
„hoͤrt werden konnte, noch, wenn ſie auch gehoͤret
waͤre, Glauben gefunden haͤtte.

„Sollte ſolch eine treuloſe Katze ihr Haus
„ſchaͤnden! rief die Mutter ‒ ‒ Fromme und
rechtſchaffene Leute moͤchten wohl verfuͤhret
„werden: aber das waͤr eine feine Sache, wenn
„ſolch ein Haus, als das ihrige, von verfluchten
„Creaturen, die ſich ſelbſt nach ihrer Gemuͤths-
„art
vermietheten und keinen Anſpruch auf gu-
„te Grundſaͤtze
machen durften, nicht getreue
„Dienſte haben koͤnnte! ‒ ‒ Jch wollte, daß ſie

„ver-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0878" n="872"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
&#x201E;zehn Per&#x017F;onen, die Mutter und ihre Mitgeno&#x017F;-<lb/>
&#x201E;&#x017F;en einge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, vorzeigte.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Wilhelm erza&#x0364;hlte ihnen <hi rendition="#fr">&#x017F;eine</hi> Ge&#x017F;chichte:<lb/>
&#x201E;und darauf lief er aus, wie vormals bey eben<lb/>
&#x201E;der Gelegenheit, Erkundigung einzuziehen, ob<lb/>
&#x201E;jemand von den Kut&#x017F;chern, Sa&#x0364;nftentra&#x0364;gern oder<lb/>
&#x201E;andern Tra&#x0364;gern, die &#x017F;ich in der Nachbar&#x017F;chaft<lb/>
&#x201E;gemeiniglich aufhielten, die Fra&#x0364;ulein ge&#x017F;ehen<lb/>
&#x201E;ha&#x0364;tte. Dorcas rechtfertigte &#x017F;ich unterde&#x017F;&#x017F;en al-<lb/>
&#x201E;&#x017F;obald, und zwar auf Ko&#x017F;ten der armen Ma-<lb/>
&#x201E;belle, die eben &#x017F;o &#x017F;chuldig und &#x017F;trafwu&#x0364;rdig, als<lb/>
&#x201E;&#x017F;elt&#x017F;am aus&#x017F;ahe, indem &#x017F;ie noch den verda&#x0364;chti-<lb/>
&#x201E;gen Lohn ihrer Verra&#x0364;therey anhatte, welchen ihr<lb/>
&#x201E;Dorcas aus Neid gern vom Leibe geri&#x017F;&#x017F;en<lb/>
&#x201E;ha&#x0364;tte.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Hierauf bellete die ganze Kuppel das arme<lb/>
&#x201E;Men&#x017F;ch an, und die Mutter blo&#x0364;ckete, mit rau-<lb/>
&#x201E;chendem Maule, ihren Befehl aus, die verda&#x0364;ch-<lb/>
&#x201E;tige Mi&#x017F;&#x017F;etha&#x0364;terinn zu ergreifen: welche dage-<lb/>
&#x201E;gen bey ihrer eignen Vertheidigung weder ge-<lb/>
&#x201E;ho&#x0364;rt werden konnte, noch, wenn &#x017F;ie auch geho&#x0364;ret<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#fr">wa&#x0364;re,</hi> Glauben gefunden ha&#x0364;tte.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Sollte &#x017F;olch eine treulo&#x017F;e Katze <hi rendition="#fr">ihr</hi> Haus<lb/>
&#x201E;&#x017F;cha&#x0364;nden! rief die Mutter &#x2012; &#x2012; <hi rendition="#fr">Fromme</hi> und<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#fr">recht&#x017F;chaffene</hi> Leute <hi rendition="#fr">mo&#x0364;chten</hi> wohl verfu&#x0364;hret<lb/>
&#x201E;werden: aber das wa&#x0364;r eine feine Sache, wenn<lb/>
&#x201E;&#x017F;olch ein Haus, als das <hi rendition="#fr">ihrige,</hi> von verfluchten<lb/>
&#x201E;Creaturen, die &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t nach ihrer <hi rendition="#fr">Gemu&#x0364;ths-<lb/>
&#x201E;art</hi> vermietheten und keinen An&#x017F;pruch auf <hi rendition="#fr">gu-<lb/>
&#x201E;te Grund&#x017F;a&#x0364;tze</hi> machen durften, nicht getreue<lb/>
&#x201E;Dien&#x017F;te haben ko&#x0364;nnte! &#x2012; &#x2012; Jch wollte, daß <hi rendition="#fr">&#x017F;ie</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x201E;ver-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[872/0878] „zehn Perſonen, die Mutter und ihre Mitgenoſ- „ſen eingeſchloſſen, vorzeigte. „Wilhelm erzaͤhlte ihnen ſeine Geſchichte: „und darauf lief er aus, wie vormals bey eben „der Gelegenheit, Erkundigung einzuziehen, ob „jemand von den Kutſchern, Saͤnftentraͤgern oder „andern Traͤgern, die ſich in der Nachbarſchaft „gemeiniglich aufhielten, die Fraͤulein geſehen „haͤtte. Dorcas rechtfertigte ſich unterdeſſen al- „ſobald, und zwar auf Koſten der armen Ma- „belle, die eben ſo ſchuldig und ſtrafwuͤrdig, als „ſeltſam ausſahe, indem ſie noch den verdaͤchti- „gen Lohn ihrer Verraͤtherey anhatte, welchen ihr „Dorcas aus Neid gern vom Leibe geriſſen „haͤtte. „Hierauf bellete die ganze Kuppel das arme „Menſch an, und die Mutter bloͤckete, mit rau- „chendem Maule, ihren Befehl aus, die verdaͤch- „tige Miſſethaͤterinn zu ergreifen: welche dage- „gen bey ihrer eignen Vertheidigung weder ge- „hoͤrt werden konnte, noch, wenn ſie auch gehoͤret „waͤre, Glauben gefunden haͤtte. „Sollte ſolch eine treuloſe Katze ihr Haus „ſchaͤnden! rief die Mutter ‒ ‒ Fromme und „rechtſchaffene Leute moͤchten wohl verfuͤhret „werden: aber das waͤr eine feine Sache, wenn „ſolch ein Haus, als das ihrige, von verfluchten „Creaturen, die ſich ſelbſt nach ihrer Gemuͤths- „art vermietheten und keinen Anſpruch auf gu- „te Grundſaͤtze machen durften, nicht getreue „Dienſte haben koͤnnte! ‒ ‒ Jch wollte, daß ſie „ver-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/878
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 872. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/878>, abgerufen am 24.11.2024.