Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



"von meinen Vergehungen gewesen sind: so
"werden sie urtheilen, daß sie keine so gute Grund-
"sätze haben könnte, die sie einer Verbindung mit
"Personen von ihrer und ihrer edlen Schwester
"vortrefflichen Gemüthsart würdig machen wür-
"den, wenn sie sich nicht von ganzem Herzen er-
"klären könnte, daß eine solche Verbindung nun-
"mehr niemals statt haben könne.

Gewiß, meine liebe Frauenzimmer, dieß ist
parteyisch und hitzig, nicht vernünftig. Wenn
unsere Familie sich durch meine Vermählung mit
einer Person, der ich so begegnet habe, nicht ent-
ehret achten will, sondern sich im Gegentheil
freuen würde, daß ich ihr diese Gerechtigkeit wi-
derfahren ließe; und wenn sie nach der Probe als
reines Gold befunden ist, und sich selbst nichts
vorzuwerfen hat: warum sollte es denn wider ih-
re gute Grundsätze streiten, ihren Willen dazu zu
geben, daß eine solche Verbindung Platz finden
möchte?

Sie kann sich selbst um desjenigen willen,
was wider ihren Willen geschehen ist, nicht für
schlechter halten, mit Recht kann sie es nicht.

Jtzt droheten ihre Blicke einen allgemeinen
Aufstand - aber ich fuhr fort.

Mein Lord hat uns vorgelesen, sie habe sich
eine Hoffnung gemacht, wobey sie sich zu viel
herausgenommen, ja auf eine strafbare
Weise zu viel herausgenommen,
wie sie sich
ausdrückt, "daß sie ein Werkzeug in den Händen
"der Vorsicht seyn möchte, mich auf bessere We-

"ge



„von meinen Vergehungen geweſen ſind: ſo
„werden ſie urtheilen, daß ſie keine ſo gute Grund-
„ſaͤtze haben koͤnnte, die ſie einer Verbindung mit
„Perſonen von ihrer und ihrer edlen Schweſter
„vortrefflichen Gemuͤthsart wuͤrdig machen wuͤr-
„den, wenn ſie ſich nicht von ganzem Herzen er-
„klaͤren koͤnnte, daß eine ſolche Verbindung nun-
„mehr niemals ſtatt haben koͤnne.

Gewiß, meine liebe Frauenzimmer, dieß iſt
parteyiſch und hitzig, nicht vernuͤnftig. Wenn
unſere Familie ſich durch meine Vermaͤhlung mit
einer Perſon, der ich ſo begegnet habe, nicht ent-
ehret achten will, ſondern ſich im Gegentheil
freuen wuͤrde, daß ich ihr dieſe Gerechtigkeit wi-
derfahren ließe; und wenn ſie nach der Probe als
reines Gold befunden iſt, und ſich ſelbſt nichts
vorzuwerfen hat: warum ſollte es denn wider ih-
re gute Grundſaͤtze ſtreiten, ihren Willen dazu zu
geben, daß eine ſolche Verbindung Platz finden
moͤchte?

Sie kann ſich ſelbſt um desjenigen willen,
was wider ihren Willen geſchehen iſt, nicht fuͤr
ſchlechter halten, mit Recht kann ſie es nicht.

Jtzt droheten ihre Blicke einen allgemeinen
Aufſtand ‒ aber ich fuhr fort.

Mein Lord hat uns vorgeleſen, ſie habe ſich
eine Hoffnung gemacht, wobey ſie ſich zu viel
herausgenommen, ja auf eine ſtrafbare
Weiſe zu viel herausgenommen,
wie ſie ſich
ausdruͤckt, „daß ſie ein Werkzeug in den Haͤnden
„der Vorſicht ſeyn moͤchte, mich auf beſſere We-

„ge
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0209" n="203"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
&#x201E;von meinen Vergehungen gewe&#x017F;en &#x017F;ind: &#x017F;o<lb/>
&#x201E;werden &#x017F;ie urtheilen, daß &#x017F;ie keine &#x017F;o gute Grund-<lb/>
&#x201E;&#x017F;a&#x0364;tze haben ko&#x0364;nnte, die &#x017F;ie einer Verbindung mit<lb/>
&#x201E;Per&#x017F;onen von ihrer und ihrer edlen Schwe&#x017F;ter<lb/>
&#x201E;vortrefflichen Gemu&#x0364;thsart wu&#x0364;rdig machen wu&#x0364;r-<lb/>
&#x201E;den, wenn &#x017F;ie &#x017F;ich nicht von ganzem Herzen er-<lb/>
&#x201E;kla&#x0364;ren ko&#x0364;nnte, daß eine &#x017F;olche Verbindung nun-<lb/>
&#x201E;mehr niemals &#x017F;tatt haben ko&#x0364;nne.</p><lb/>
          <p>Gewiß, meine liebe Frauenzimmer, dieß i&#x017F;t<lb/>
parteyi&#x017F;ch und hitzig, nicht vernu&#x0364;nftig. Wenn<lb/>
un&#x017F;ere Familie &#x017F;ich durch meine Verma&#x0364;hlung mit<lb/>
einer Per&#x017F;on, der ich &#x017F;o begegnet habe, nicht ent-<lb/>
ehret achten will, &#x017F;ondern &#x017F;ich im Gegentheil<lb/>
freuen wu&#x0364;rde, daß ich ihr die&#x017F;e Gerechtigkeit wi-<lb/>
derfahren ließe; und wenn &#x017F;ie nach der Probe als<lb/>
reines Gold befunden i&#x017F;t, und &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t nichts<lb/>
vorzuwerfen hat: warum &#x017F;ollte es denn wider ih-<lb/>
re gute Grund&#x017F;a&#x0364;tze &#x017F;treiten, ihren Willen dazu zu<lb/>
geben, daß eine &#x017F;olche Verbindung Platz finden<lb/>
mo&#x0364;chte?</p><lb/>
          <p>Sie kann &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t um desjenigen willen,<lb/>
was wider ihren Willen ge&#x017F;chehen i&#x017F;t, nicht fu&#x0364;r<lb/>
&#x017F;chlechter halten, <hi rendition="#fr">mit Recht</hi> kann &#x017F;ie es nicht.</p><lb/>
          <p>Jtzt droheten ihre Blicke einen allgemeinen<lb/>
Auf&#x017F;tand &#x2012; aber ich fuhr fort.</p><lb/>
          <p>Mein Lord hat uns vorgele&#x017F;en, &#x017F;ie habe &#x017F;ich<lb/>
eine <hi rendition="#fr">Hoffnung</hi> gemacht, wobey &#x017F;ie <hi rendition="#fr">&#x017F;ich zu viel<lb/>
herausgenommen, ja auf eine &#x017F;trafbare<lb/>
Wei&#x017F;e zu viel herausgenommen,</hi> wie &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
ausdru&#x0364;ckt, &#x201E;daß &#x017F;ie ein Werkzeug in den Ha&#x0364;nden<lb/>
&#x201E;der Vor&#x017F;icht &#x017F;eyn mo&#x0364;chte, mich auf be&#x017F;&#x017F;ere We-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x201E;ge</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[203/0209] „von meinen Vergehungen geweſen ſind: ſo „werden ſie urtheilen, daß ſie keine ſo gute Grund- „ſaͤtze haben koͤnnte, die ſie einer Verbindung mit „Perſonen von ihrer und ihrer edlen Schweſter „vortrefflichen Gemuͤthsart wuͤrdig machen wuͤr- „den, wenn ſie ſich nicht von ganzem Herzen er- „klaͤren koͤnnte, daß eine ſolche Verbindung nun- „mehr niemals ſtatt haben koͤnne. Gewiß, meine liebe Frauenzimmer, dieß iſt parteyiſch und hitzig, nicht vernuͤnftig. Wenn unſere Familie ſich durch meine Vermaͤhlung mit einer Perſon, der ich ſo begegnet habe, nicht ent- ehret achten will, ſondern ſich im Gegentheil freuen wuͤrde, daß ich ihr dieſe Gerechtigkeit wi- derfahren ließe; und wenn ſie nach der Probe als reines Gold befunden iſt, und ſich ſelbſt nichts vorzuwerfen hat: warum ſollte es denn wider ih- re gute Grundſaͤtze ſtreiten, ihren Willen dazu zu geben, daß eine ſolche Verbindung Platz finden moͤchte? Sie kann ſich ſelbſt um desjenigen willen, was wider ihren Willen geſchehen iſt, nicht fuͤr ſchlechter halten, mit Recht kann ſie es nicht. Jtzt droheten ihre Blicke einen allgemeinen Aufſtand ‒ aber ich fuhr fort. Mein Lord hat uns vorgeleſen, ſie habe ſich eine Hoffnung gemacht, wobey ſie ſich zu viel herausgenommen, ja auf eine ſtrafbare Weiſe zu viel herausgenommen, wie ſie ſich ausdruͤckt, „daß ſie ein Werkzeug in den Haͤnden „der Vorſicht ſeyn moͤchte, mich auf beſſere We- „ge

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/209
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/209>, abgerufen am 10.06.2024.