Was bedeuten denn diese Fenster mit eiser- nen Gittern? Was diese gedoppelten Schlösser und Riegel, alle von außen, keine von innen!
So sank sie auf einen Stuhl nieder: und sie konnten nicht ein Wort mehr von ihr heraus- bringen. Sie zog ihr Schnupftuch wieder, wie vorher einmal, über das Gesicht; welches bald von Thränen durchnetzet war: und gluchsete hef- tig, wie sie gestehen.
Eine feine und gelinde Begegnung, Lovelace! - - Vielleicht wirst du sie eben so wohl, als diese nichtswürdigen Weibs- leute, dafür ansehen!
Sarah bestellte hierauf ein Mittagsessen, und sagte, sie würden bald wieder da seyn, und zusehen, daß sie äße und tränke, wie eine gute Christin thun müßte, sich also in ihre Um- stände schickte, und sie so gut machte, als möglich wäre.
Was hat dieß reizende Frauenzimmer nicht gelitten! Was für Schulen ist sie nicht diese letzten drey Monathe, wovon ich weiß, durchgegangen! - - Wer sollte denken, daß eine Person von so zarter Leibesbeschaffenheit das hätte ausstehen können, was sie ausgestanden hat. Wir schwa- tzen bisweilen von Herzhaftigkeit, von Muth, von Tapferkeit! - - Hier sind diese Tugenden in ihrer vollkommensten Größe! - - Solche Groß- sprecher, als du und ich, würden niemals im Stande gewesen seyn, nur unter der Hälfte derer Verfolgungen, derer fehlgeschlagenen Hoffnungen,
derer
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Was bedeuten denn dieſe Fenſter mit eiſer- nen Gittern? Was dieſe gedoppelten Schloͤſſer und Riegel, alle von außen, keine von innen!
So ſank ſie auf einen Stuhl nieder: und ſie konnten nicht ein Wort mehr von ihr heraus- bringen. Sie zog ihr Schnupftuch wieder, wie vorher einmal, uͤber das Geſicht; welches bald von Thraͤnen durchnetzet war: und gluchſete hef- tig, wie ſie geſtehen.
Eine feine und gelinde Begegnung, Lovelace! ‒ ‒ Vielleicht wirſt du ſie eben ſo wohl, als dieſe nichtswuͤrdigen Weibs- leute, dafuͤr anſehen!
Sarah beſtellte hierauf ein Mittagseſſen, und ſagte, ſie wuͤrden bald wieder da ſeyn, und zuſehen, daß ſie aͤße und traͤnke, wie eine gute Chriſtin thun muͤßte, ſich alſo in ihre Um- ſtaͤnde ſchickte, und ſie ſo gut machte, als moͤglich waͤre.
Was hat dieß reizende Frauenzimmer nicht gelitten! Was fuͤr Schulen iſt ſie nicht dieſe letzten drey Monathe, wovon ich weiß, durchgegangen! ‒ ‒ Wer ſollte denken, daß eine Perſon von ſo zarter Leibesbeſchaffenheit das haͤtte ausſtehen koͤnnen, was ſie ausgeſtanden hat. Wir ſchwa- tzen bisweilen von Herzhaftigkeit, von Muth, von Tapferkeit! ‒ ‒ Hier ſind dieſe Tugenden in ihrer vollkommenſten Groͤße! ‒ ‒ Solche Groß- ſprecher, als du und ich, wuͤrden niemals im Stande geweſen ſeyn, nur unter der Haͤlfte derer Verfolgungen, derer fehlgeſchlagenen Hoffnungen,
derer
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Was bedeuten denn dieſe Fenſter mit eiſer-
nen Gittern? Was dieſe gedoppelten Schloͤſſer
und Riegel, alle von außen, keine von innen!
So ſank ſie auf einen Stuhl nieder: und ſie
konnten nicht ein Wort mehr von ihr heraus-
bringen. Sie zog ihr Schnupftuch wieder, wie
vorher einmal, uͤber das Geſicht; welches bald
von Thraͤnen durchnetzet war: und gluchſete hef-
tig, wie ſie geſtehen.
Eine feine und gelinde Begegnung,
Lovelace! ‒ ‒ Vielleicht wirſt du ſie eben
ſo wohl, als dieſe nichtswuͤrdigen Weibs-
leute, dafuͤr anſehen!
Sarah beſtellte hierauf ein Mittagseſſen,
und ſagte, ſie wuͤrden bald wieder da ſeyn, und
zuſehen, daß ſie aͤße und traͤnke, wie eine gute
Chriſtin thun muͤßte, ſich alſo in ihre Um-
ſtaͤnde ſchickte, und ſie ſo gut machte, als moͤglich
waͤre.
Was hat dieß reizende Frauenzimmer nicht
gelitten! Was fuͤr Schulen iſt ſie nicht dieſe letzten
drey Monathe, wovon ich weiß, durchgegangen!
‒ ‒ Wer ſollte denken, daß eine Perſon von ſo
zarter Leibesbeſchaffenheit das haͤtte ausſtehen
koͤnnen, was ſie ausgeſtanden hat. Wir ſchwa-
tzen bisweilen von Herzhaftigkeit, von Muth, von
Tapferkeit! ‒ ‒ Hier ſind dieſe Tugenden in
ihrer vollkommenſten Groͤße! ‒ ‒ Solche Groß-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/297>, abgerufen am 22.11.2024.
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