derer Verschmähungen, die ihr begegnet sind, auszudauren: sondern würden, wie feige Mäm- men, auf eine niederträchtige Weise durch eine Hinterthür, das ist, durch ein Schwerdt, durch eine Pistole, durch einen Strick, oder durch ein Messer, aus der Welt geschlichen seyn - - Aber hier ist ein Frauenzimmer von fei- nen Grundsätzen, das durch den kräftigen Ein- druck dieser Betrachtung, wie ich es mir vor- stelle; denn was kann sie sonst unterstützen? Daß sie die Uebel, mit welchen sie käm- pfet, nicht verdienet hat; daß diese Welt nur zu einem vorübergehenden Stande der Prüfung bestimmet; und daß sie auf der Reise zu einer andern und bessern ist; alle harte Beschwerden der Reise verlieb nimmt, und durch die Anfälle von Dieben und Räubern, oder von anderm Schrecken und andern Schwie- rigkeiten sich nicht von ihrer Bahn abführen läs- set; weil sie einer reichlichen Belohnung am Ende derselben versichert ist.
Wo du diese Betrachtung dem Character eines deiner Mitgesellen und Freunde nicht ge- mäß achtest: so frage ich dich, ob du dir einbil- dest, daß ich von der Gesellschaft, die ich meinem Onkel auf eine so lange Zeit bey seinem tödtlichen Zustande geleistet, und von den gottseligen Be- trachtungen des frommen Geistlichen, der Tag vor Tag, auf des armen Mannes eignes Ver- langen, zu ihm gekommen und ihm vorgebetet, keinen Vortheil gezogen habe? - - Könnte ich
wohl
derer Verſchmaͤhungen, die ihr begegnet ſind, auszudauren: ſondern wuͤrden, wie feige Maͤm- men, auf eine niedertraͤchtige Weiſe durch eine Hinterthuͤr, das iſt, durch ein Schwerdt, durch eine Piſtole, durch einen Strick, oder durch ein Meſſer, aus der Welt geſchlichen ſeyn ‒ ‒ Aber hier iſt ein Frauenzimmer von fei- nen Grundſaͤtzen, das durch den kraͤftigen Ein- druck dieſer Betrachtung, wie ich es mir vor- ſtelle; denn was kann ſie ſonſt unterſtuͤtzen? Daß ſie die Uebel, mit welchen ſie kaͤm- pfet, nicht verdienet hat; daß dieſe Welt nur zu einem voruͤbergehenden Stande der Pruͤfung beſtimmet; und daß ſie auf der Reiſe zu einer andern und beſſern iſt; alle harte Beſchwerden der Reiſe verlieb nimmt, und durch die Anfaͤlle von Dieben und Raͤubern, oder von anderm Schrecken und andern Schwie- rigkeiten ſich nicht von ihrer Bahn abfuͤhren laͤſ- ſet; weil ſie einer reichlichen Belohnung am Ende derſelben verſichert iſt.
Wo du dieſe Betrachtung dem Character eines deiner Mitgeſellen und Freunde nicht ge- maͤß achteſt: ſo frage ich dich, ob du dir einbil- deſt, daß ich von der Geſellſchaft, die ich meinem Onkel auf eine ſo lange Zeit bey ſeinem toͤdtlichen Zuſtande geleiſtet, und von den gottſeligen Be- trachtungen des frommen Geiſtlichen, der Tag vor Tag, auf des armen Mannes eignes Ver- langen, zu ihm gekommen und ihm vorgebetet, keinen Vortheil gezogen habe? ‒ ‒ Koͤnnte ich
wohl
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derer Verſchmaͤhungen, die ihr begegnet ſind,
auszudauren: ſondern wuͤrden, wie feige Maͤm-
men, auf eine niedertraͤchtige Weiſe durch
eine Hinterthuͤr, das iſt, durch ein Schwerdt,
durch eine Piſtole, durch einen Strick, oder
durch ein Meſſer, aus der Welt geſchlichen ſeyn
‒ ‒ Aber hier iſt ein Frauenzimmer von fei-
nen Grundſaͤtzen, das durch den kraͤftigen Ein-
druck dieſer Betrachtung, wie ich es mir vor-
ſtelle; denn was kann ſie ſonſt unterſtuͤtzen?
Daß ſie die Uebel, mit welchen ſie kaͤm-
pfet, nicht verdienet hat; daß dieſe Welt
nur zu einem voruͤbergehenden Stande der
Pruͤfung beſtimmet; und daß ſie auf der
Reiſe zu einer andern und beſſern iſt; alle harte
Beſchwerden der Reiſe verlieb nimmt, und
durch die Anfaͤlle von Dieben und Raͤubern,
oder von anderm Schrecken und andern Schwie-
rigkeiten ſich nicht von ihrer Bahn abfuͤhren laͤſ-
ſet; weil ſie einer reichlichen Belohnung am
Ende derſelben verſichert iſt.
Wo du dieſe Betrachtung dem Character
eines deiner Mitgeſellen und Freunde nicht ge-
maͤß achteſt: ſo frage ich dich, ob du dir einbil-
deſt, daß ich von der Geſellſchaft, die ich meinem
Onkel auf eine ſo lange Zeit bey ſeinem toͤdtlichen
Zuſtande geleiſtet, und von den gottſeligen Be-
trachtungen des frommen Geiſtlichen, der Tag
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/298>, abgerufen am 22.11.2024.
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