Sie suchte mich durch glatte Worte einzu- nehmen: aber ich entsagte ihr, und schickte sie nach Aufhebung der Klage fort; mit Heulen und Schreien, oder mit dem Schein davon, über mein Bezeigen gegen sie.
Jhr werdet bemerken, daß ich gegen die Fräulein nicht ein Wort von euch erwähnte. Jch scheuete mich davor. Denn es war augen- scheinlich, daß sie euren Namen nicht leiten konn- te. Jhr Freund und die Gesellschaft, worinn sie mich gesehen haben, das waren allein die Worte, die sie sprechen konnte, euch auf das nä- heste zu nennen. Und doch hätte ich eure Ge- sinnung gern so weit gerechtfertiget, daß sie von dieser groben, dieser filzicht aussehenden Schand- that, freygesprochen wäre.
Jch schickte, durch Rowlands Weib, wieder hinauf, als ich hörte, daß die Fräulein wieder zu sich gekommen wäre, und bat sie, den teufelischen Ort zu verlassen. Das Weib versicherte sie, sie hätte völlige Freyheit, es zu thun, weil die Klage aufgehoben wäre.
Allein sie gab nicht so viel darauf, ihr ein- mal zu antworten, und war so schwach und nie- dergeschlagen, daß es beynahe eben so wenig in ihrer Macht, als nach ihrer Neigung war, zu re- den; wie mir das Weib erzählte.
Jch würde zu meinem Freunde, Doct. H- geeilet haben: aber das Haus ist eine solche Höhle, und das Gemach, worinn sie war, ein sol- ches Loch, daß ich mich schämte, mich von einem
so
Sie ſuchte mich durch glatte Worte einzu- nehmen: aber ich entſagte ihr, und ſchickte ſie nach Aufhebung der Klage fort; mit Heulen und Schreien, oder mit dem Schein davon, uͤber mein Bezeigen gegen ſie.
Jhr werdet bemerken, daß ich gegen die Fraͤulein nicht ein Wort von euch erwaͤhnte. Jch ſcheuete mich davor. Denn es war augen- ſcheinlich, daß ſie euren Namen nicht leiten konn- te. Jhr Freund und die Geſellſchaft, worinn ſie mich geſehen haben, das waren allein die Worte, die ſie ſprechen konnte, euch auf das naͤ- heſte zu nennen. Und doch haͤtte ich eure Ge- ſinnung gern ſo weit gerechtfertiget, daß ſie von dieſer groben, dieſer filzicht ausſehenden Schand- that, freygeſprochen waͤre.
Jch ſchickte, durch Rowlands Weib, wieder hinauf, als ich hoͤrte, daß die Fraͤulein wieder zu ſich gekommen waͤre, und bat ſie, den teufeliſchen Ort zu verlaſſen. Das Weib verſicherte ſie, ſie haͤtte voͤllige Freyheit, es zu thun, weil die Klage aufgehoben waͤre.
Allein ſie gab nicht ſo viel darauf, ihr ein- mal zu antworten, und war ſo ſchwach und nie- dergeſchlagen, daß es beynahe eben ſo wenig in ihrer Macht, als nach ihrer Neigung war, zu re- den; wie mir das Weib erzaͤhlte.
Jch wuͤrde zu meinem Freunde, Doct. H- geeilet haben: aber das Haus iſt eine ſolche Hoͤhle, und das Gemach, worinn ſie war, ein ſol- ches Loch, daß ich mich ſchaͤmte, mich von einem
ſo
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Sie ſuchte mich durch glatte Worte einzu-
nehmen: aber ich entſagte ihr, und ſchickte ſie
nach Aufhebung der Klage fort; mit Heulen
und Schreien, oder mit dem Schein davon, uͤber
mein Bezeigen gegen ſie.
Jhr werdet bemerken, daß ich gegen die
Fraͤulein nicht ein Wort von euch erwaͤhnte.
Jch ſcheuete mich davor. Denn es war augen-
ſcheinlich, daß ſie euren Namen nicht leiten konn-
te. Jhr Freund und die Geſellſchaft, worinn
ſie mich geſehen haben, das waren allein die
Worte, die ſie ſprechen konnte, euch auf das naͤ-
heſte zu nennen. Und doch haͤtte ich eure Ge-
ſinnung gern ſo weit gerechtfertiget, daß ſie von
dieſer groben, dieſer filzicht ausſehenden Schand-
that, freygeſprochen waͤre.
Jch ſchickte, durch Rowlands Weib, wieder
hinauf, als ich hoͤrte, daß die Fraͤulein wieder zu
ſich gekommen waͤre, und bat ſie, den teufeliſchen
Ort zu verlaſſen. Das Weib verſicherte ſie, ſie
haͤtte voͤllige Freyheit, es zu thun, weil die Klage
aufgehoben waͤre.
Allein ſie gab nicht ſo viel darauf, ihr ein-
mal zu antworten, und war ſo ſchwach und nie-
dergeſchlagen, daß es beynahe eben ſo wenig in
ihrer Macht, als nach ihrer Neigung war, zu re-
den; wie mir das Weib erzaͤhlte.
Jch wuͤrde zu meinem Freunde, Doct. H-
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Hoͤhle, und das Gemach, worinn ſie war, ein ſol-
ches Loch, daß ich mich ſchaͤmte, mich von einem
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/330>, abgerufen am 22.11.2024.
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