Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite




Der neun und vierzigste Brief
von
Fräulein Howe an Fräulein Clarissa Har-
lowe.

Was, liebste Freundinn, haben Sie ausge-
standen! - - Wie groß muß Jhre Angst
bey einer so schändlichen Beschimpfung auf freyer
Gassen und am hellen Tage gewesen seyn!

Kein Ende, denke ich, mit den unverdienten
Drangsalen einer theuren Seele, die so unglück-
lich einem schändlichen Freydenker in die Hände
getrieben und verrätherischer weise übergeben ist!
- - Wie erschrack ich bey dem Empfang Jhres
Briefes, der von einer andern Hand geschrieben
und nur von Jhnen in die Feder gegeben war!
- - Sie müssen sich sehr übel befinden. Und es
ist auch nicht zu verwundern. Allein ich hoffe,
daß es vielmehr von Bestürzung, Schrecken und
Niedergeschlagenheit herrühre, die sich über-
winden lassen, als von einem eingerissenen Kum-
mer, der solche Folgen haben möchte, woran es
mir unerträglich wird, nur einmal zu gedenken.

Aber vor allen Dingen, meine Allerliebste,
müssen sie den Muth nicht sinken lassen! Jn der
That sie müssen den Muth nicht sinken lassen!
Bisher haben sie nichts versehen: allein Ver-

zwei-




Der neun und vierzigſte Brief
von
Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clariſſa Har-
lowe.

Was, liebſte Freundinn, haben Sie ausge-
ſtanden! ‒ ‒ Wie groß muß Jhre Angſt
bey einer ſo ſchaͤndlichen Beſchimpfung auf freyer
Gaſſen und am hellen Tage geweſen ſeyn!

Kein Ende, denke ich, mit den unverdienten
Drangſalen einer theuren Seele, die ſo ungluͤck-
lich einem ſchaͤndlichen Freydenker in die Haͤnde
getrieben und verraͤtheriſcher weiſe uͤbergeben iſt!
‒ ‒ Wie erſchrack ich bey dem Empfang Jhres
Briefes, der von einer andern Hand geſchrieben
und nur von Jhnen in die Feder gegeben war!
‒ ‒ Sie muͤſſen ſich ſehr uͤbel befinden. Und es
iſt auch nicht zu verwundern. Allein ich hoffe,
daß es vielmehr von Beſtuͤrzung, Schrecken und
Niedergeſchlagenheit herruͤhre, die ſich uͤber-
winden laſſen, als von einem eingeriſſenen Kum-
mer, der ſolche Folgen haben moͤchte, woran es
mir unertraͤglich wird, nur einmal zu gedenken.

Aber vor allen Dingen, meine Allerliebſte,
muͤſſen ſie den Muth nicht ſinken laſſen! Jn der
That ſie muͤſſen den Muth nicht ſinken laſſen!
Bisher haben ſie nichts verſehen: allein Ver-

zwei-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0392" n="386"/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#fr">Der neun und vierzig&#x017F;te Brief</hi><lb/>
von<lb/><hi rendition="#fr">Fra&#x0364;ulein Howe an Fra&#x0364;ulein Clari&#x017F;&#x017F;a Har-<lb/>
lowe.</hi></head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Donner&#x017F;tags fru&#x0364;he, den 20ten Jul.</hi> </dateline><lb/>
          <p><hi rendition="#in">W</hi>as, lieb&#x017F;te Freundinn, haben Sie ausge-<lb/>
&#x017F;tanden! &#x2012; &#x2012; Wie groß muß Jhre Ang&#x017F;t<lb/>
bey einer &#x017F;o &#x017F;cha&#x0364;ndlichen Be&#x017F;chimpfung auf freyer<lb/>
Ga&#x017F;&#x017F;en und am hellen Tage gewe&#x017F;en &#x017F;eyn!</p><lb/>
          <p>Kein Ende, denke ich, mit den unverdienten<lb/>
Drang&#x017F;alen einer theuren Seele, die &#x017F;o unglu&#x0364;ck-<lb/>
lich einem &#x017F;cha&#x0364;ndlichen Freydenker in die Ha&#x0364;nde<lb/>
getrieben und verra&#x0364;theri&#x017F;cher wei&#x017F;e u&#x0364;bergeben i&#x017F;t!<lb/>
&#x2012; &#x2012; Wie er&#x017F;chrack ich bey dem Empfang Jhres<lb/>
Briefes, der von einer andern Hand ge&#x017F;chrieben<lb/>
und nur von Jhnen in die Feder gegeben war!<lb/>
&#x2012; &#x2012; Sie mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich &#x017F;ehr u&#x0364;bel befinden. Und es<lb/>
i&#x017F;t auch nicht zu verwundern. Allein ich hoffe,<lb/>
daß es vielmehr von Be&#x017F;tu&#x0364;rzung, Schrecken und<lb/>
Niederge&#x017F;chlagenheit herru&#x0364;hre, die &#x017F;ich u&#x0364;ber-<lb/>
winden <hi rendition="#fr">la&#x017F;&#x017F;en,</hi> als von einem eingeri&#x017F;&#x017F;enen Kum-<lb/>
mer, der &#x017F;olche Folgen haben mo&#x0364;chte, woran es<lb/>
mir unertra&#x0364;glich wird, nur einmal zu gedenken.</p><lb/>
          <p>Aber vor allen Dingen, meine Allerlieb&#x017F;te,<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie den Muth nicht &#x017F;inken la&#x017F;&#x017F;en! Jn der<lb/>
That &#x017F;ie mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en den Muth nicht &#x017F;inken la&#x017F;&#x017F;en!<lb/>
Bisher haben &#x017F;ie nichts ver&#x017F;ehen: allein Ver-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">zwei-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[386/0392] Der neun und vierzigſte Brief von Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clariſſa Har- lowe. Donnerſtags fruͤhe, den 20ten Jul. Was, liebſte Freundinn, haben Sie ausge- ſtanden! ‒ ‒ Wie groß muß Jhre Angſt bey einer ſo ſchaͤndlichen Beſchimpfung auf freyer Gaſſen und am hellen Tage geweſen ſeyn! Kein Ende, denke ich, mit den unverdienten Drangſalen einer theuren Seele, die ſo ungluͤck- lich einem ſchaͤndlichen Freydenker in die Haͤnde getrieben und verraͤtheriſcher weiſe uͤbergeben iſt! ‒ ‒ Wie erſchrack ich bey dem Empfang Jhres Briefes, der von einer andern Hand geſchrieben und nur von Jhnen in die Feder gegeben war! ‒ ‒ Sie muͤſſen ſich ſehr uͤbel befinden. Und es iſt auch nicht zu verwundern. Allein ich hoffe, daß es vielmehr von Beſtuͤrzung, Schrecken und Niedergeſchlagenheit herruͤhre, die ſich uͤber- winden laſſen, als von einem eingeriſſenen Kum- mer, der ſolche Folgen haben moͤchte, woran es mir unertraͤglich wird, nur einmal zu gedenken. Aber vor allen Dingen, meine Allerliebſte, muͤſſen ſie den Muth nicht ſinken laſſen! Jn der That ſie muͤſſen den Muth nicht ſinken laſſen! Bisher haben ſie nichts verſehen: allein Ver- zwei-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/392
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/392>, abgerufen am 24.11.2024.