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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750.

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Verwandten, die nicht allein Geld von ihr, son-
dern auch reichliche Einkünfte von ihrem eignen
Gute, in Händen haben, und ihr doch beydes
vorenthalten, offenbar und nach ihrem eig-
nen Geständniß
bloß in der Absicht, sie Noth
leiden zu lassen! Aber kann sie von ihrer stolzen
und übermüthigen Freundinn, der Fräulein Ho-
we, nicht Geld bekommen, mehr als sie gebrau-
chet? - - Und, was meynst du, würde es mir nicht
eine herzliche Freude seyn, ihr zu dienen? - -
Was hat es denn mit der Veräußerung ihrer
Kleider anders auf sich, als daß es ein Eigen-
sinn ist, nach Art der Weiber? - - Ja ich
weiß billig nicht, ob ich mich nicht freuen soll,
wenn sie dieß mir zum Trotze thut. - - Man-
che betrogne Schönen haben sich hängen, andre
ersäufen wollen. Meine Geliebte rächet sich nur
an ihren Kleidern. Die Leidenschaften wirken
in verschiednen Gemüthern auf verschiedne Art:
wie es die Beschaffenheit der natürlichen Gesin-
nung und des Körpers mit sich bringet. - - Au-
ßerdem; meynst du wohl, daß ich unwillig seyn
werde, das, was sie von der Hand schlägt, drey-
mal so hoch am Werthe wieder zu ersetzen? Also
hat dieß nicht viel zu bedeuten, Bruder.

Du siehst, wie sie durch das liebreiche Zure-
den des feinen Arztes gerühret wird. Daraus
wirst du urtheilen können, wie schrecklich der
scheusliche Verhaft und der Fluch ihres finstern
Vaters ihr Gemüth gekränkt haben müsse. Jch
habe große Hoffnung, wenn sie mich nur sehen

will,



Verwandten, die nicht allein Geld von ihr, ſon-
dern auch reichliche Einkuͤnfte von ihrem eignen
Gute, in Haͤnden haben, und ihr doch beydes
vorenthalten, offenbar und nach ihrem eig-
nen Geſtaͤndniß
bloß in der Abſicht, ſie Noth
leiden zu laſſen! Aber kann ſie von ihrer ſtolzen
und uͤbermuͤthigen Freundinn, der Fraͤulein Ho-
we, nicht Geld bekommen, mehr als ſie gebrau-
chet? ‒ ‒ Und, was meynſt du, wuͤrde es mir nicht
eine herzliche Freude ſeyn, ihr zu dienen? ‒ ‒
Was hat es denn mit der Veraͤußerung ihrer
Kleider anders auf ſich, als daß es ein Eigen-
ſinn iſt, nach Art der Weiber? ‒ ‒ Ja ich
weiß billig nicht, ob ich mich nicht freuen ſoll,
wenn ſie dieß mir zum Trotze thut. ‒ ‒ Man-
che betrogne Schoͤnen haben ſich haͤngen, andre
erſaͤufen wollen. Meine Geliebte raͤchet ſich nur
an ihren Kleidern. Die Leidenſchaften wirken
in verſchiednen Gemuͤthern auf verſchiedne Art:
wie es die Beſchaffenheit der natuͤrlichen Geſin-
nung und des Koͤrpers mit ſich bringet. ‒ ‒ Au-
ßerdem; meynſt du wohl, daß ich unwillig ſeyn
werde, das, was ſie von der Hand ſchlaͤgt, drey-
mal ſo hoch am Werthe wieder zu erſetzen? Alſo
hat dieß nicht viel zu bedeuten, Bruder.

Du ſiehſt, wie ſie durch das liebreiche Zure-
den des feinen Arztes geruͤhret wird. Daraus
wirſt du urtheilen koͤnnen, wie ſchrecklich der
ſcheusliche Verhaft und der Fluch ihres finſtern
Vaters ihr Gemuͤth gekraͤnkt haben muͤſſe. Jch
habe große Hoffnung, wenn ſie mich nur ſehen

will,
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[428/0434] Verwandten, die nicht allein Geld von ihr, ſon- dern auch reichliche Einkuͤnfte von ihrem eignen Gute, in Haͤnden haben, und ihr doch beydes vorenthalten, offenbar und nach ihrem eig- nen Geſtaͤndniß bloß in der Abſicht, ſie Noth leiden zu laſſen! Aber kann ſie von ihrer ſtolzen und uͤbermuͤthigen Freundinn, der Fraͤulein Ho- we, nicht Geld bekommen, mehr als ſie gebrau- chet? ‒ ‒ Und, was meynſt du, wuͤrde es mir nicht eine herzliche Freude ſeyn, ihr zu dienen? ‒ ‒ Was hat es denn mit der Veraͤußerung ihrer Kleider anders auf ſich, als daß es ein Eigen- ſinn iſt, nach Art der Weiber? ‒ ‒ Ja ich weiß billig nicht, ob ich mich nicht freuen ſoll, wenn ſie dieß mir zum Trotze thut. ‒ ‒ Man- che betrogne Schoͤnen haben ſich haͤngen, andre erſaͤufen wollen. Meine Geliebte raͤchet ſich nur an ihren Kleidern. Die Leidenſchaften wirken in verſchiednen Gemuͤthern auf verſchiedne Art: wie es die Beſchaffenheit der natuͤrlichen Geſin- nung und des Koͤrpers mit ſich bringet. ‒ ‒ Au- ßerdem; meynſt du wohl, daß ich unwillig ſeyn werde, das, was ſie von der Hand ſchlaͤgt, drey- mal ſo hoch am Werthe wieder zu erſetzen? Alſo hat dieß nicht viel zu bedeuten, Bruder. Du ſiehſt, wie ſie durch das liebreiche Zure- den des feinen Arztes geruͤhret wird. Daraus wirſt du urtheilen koͤnnen, wie ſchrecklich der ſcheusliche Verhaft und der Fluch ihres finſtern Vaters ihr Gemuͤth gekraͤnkt haben muͤſſe. Jch habe große Hoffnung, wenn ſie mich nur ſehen will,

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/434>, abgerufen am 24.11.2024.