nach Verlauf einiger Zeit bereuen, daß sie uns beyde so unnöthiger Weise widrigen Urtheilen bloßgestellet hat.
Krankheit benimmt einer jeden Neigung ih- re Kraft, und macht, daß wir das hassen, was wir vorher liebeten. Aber so bald die Gesund- heit wieder von neuem hergestellt ist, verändert sich das Spiel. Alsdenn sind wir geneigt, mit uns selbst vergnügt zu seyn, und auf die Art im Stande, auch an einem jeden andern Vergnügen zu finden. Eine jede Hoffnung nimmt uns alsdenn ein: eine jede Stunde stellt sich uns zur Freude dar. Was Herr Addison von der Freyheit sagt, das kann noch eigentlicher von der Gesundheit gesagt werden. Denn was ist Freyheit selbst ohne Gesundheit?
Sie ziehet die Natur aus ihrer Dunkelheit: Ertheilt der Sonne Glanz, dem Tage Fröhlichkeit.
Und ich freue mich, daß sie schon so viel besser ist, daß sie mit fremden Leuten eine so lange und ihr nicht gleichgültige Unterredung halten kann.
Es ist wunderlich und eben so verkehrt, das ist, eben so weibermäßig, als wunderlich, daß sie meine Hand ausschlagen und lieber wählen sollte, zu sterben - - O das garstige Wort! und wie frey handelt gleichwohl deine Feder damit ge- gen mich! - - als mich zu nehmen, der ich sie beleidigte, indem ich meinem Character gemäß handelte, da hingegen ihre Eltern zu ihrer eignen Schaam und Schande wider ihren Character
han-
nach Verlauf einiger Zeit bereuen, daß ſie uns beyde ſo unnoͤthiger Weiſe widrigen Urtheilen bloßgeſtellet hat.
Krankheit benimmt einer jeden Neigung ih- re Kraft, und macht, daß wir das haſſen, was wir vorher liebeten. Aber ſo bald die Geſund- heit wieder von neuem hergeſtellt iſt, veraͤndert ſich das Spiel. Alsdenn ſind wir geneigt, mit uns ſelbſt vergnuͤgt zu ſeyn, und auf die Art im Stande, auch an einem jeden andern Vergnuͤgen zu finden. Eine jede Hoffnung nimmt uns alsdenn ein: eine jede Stunde ſtellt ſich uns zur Freude dar. Was Herr Addiſon von der Freyheit ſagt, das kann noch eigentlicher von der Geſundheit geſagt werden. Denn was iſt Freyheit ſelbſt ohne Geſundheit?
Sie ziehet die Natur aus ihrer Dunkelheit: Ertheilt der Sonne Glanz, dem Tage Froͤhlichkeit.
Und ich freue mich, daß ſie ſchon ſo viel beſſer iſt, daß ſie mit fremden Leuten eine ſo lange und ihr nicht gleichguͤltige Unterredung halten kann.
Es iſt wunderlich und eben ſo verkehrt, das iſt, eben ſo weibermaͤßig, als wunderlich, daß ſie meine Hand ausſchlagen und lieber waͤhlen ſollte, zu ſterben ‒ ‒ O das garſtige Wort! und wie frey handelt gleichwohl deine Feder damit ge- gen mich! ‒ ‒ als mich zu nehmen, der ich ſie beleidigte, indem ich meinem Character gemaͤß handelte, da hingegen ihre Eltern zu ihrer eignen Schaam und Schande wider ihren Character
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nach Verlauf einiger Zeit bereuen, daß ſie uns
beyde ſo unnoͤthiger Weiſe widrigen Urtheilen
bloßgeſtellet hat.
Krankheit benimmt einer jeden Neigung ih-
re Kraft, und macht, daß wir das haſſen, was
wir vorher liebeten. Aber ſo bald die Geſund-
heit wieder von neuem hergeſtellt iſt, veraͤndert
ſich das Spiel. Alsdenn ſind wir geneigt, mit
uns ſelbſt vergnuͤgt zu ſeyn, und auf die Art im
Stande, auch an einem jeden andern Vergnuͤgen
zu finden. Eine jede Hoffnung nimmt uns alsdenn
ein: eine jede Stunde ſtellt ſich uns zur Freude
dar. Was Herr Addiſon von der Freyheit ſagt,
das kann noch eigentlicher von der Geſundheit
geſagt werden. Denn was iſt Freyheit ſelbſt
ohne Geſundheit?
Sie ziehet die Natur aus ihrer Dunkelheit:
Ertheilt der Sonne Glanz, dem Tage Froͤhlichkeit.
Und ich freue mich, daß ſie ſchon ſo viel beſſer iſt,
daß ſie mit fremden Leuten eine ſo lange und ihr
nicht gleichguͤltige Unterredung halten kann.
Es iſt wunderlich und eben ſo verkehrt, das
iſt, eben ſo weibermaͤßig, als wunderlich, daß
ſie meine Hand ausſchlagen und lieber waͤhlen
ſollte, zu ſterben ‒ ‒ O das garſtige Wort! und
wie frey handelt gleichwohl deine Feder damit ge-
gen mich! ‒ ‒ als mich zu nehmen, der ich ſie
beleidigte, indem ich meinem Character gemaͤß
handelte, da hingegen ihre Eltern zu ihrer eignen
Schaam und Schande wider ihren Character
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 456. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/462>, abgerufen am 22.11.2024.
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