Schwester hat, die ihre unvergleichlichen Vorzü- ge nicht einzusehen vermögend sind. Aber so muthig mich auch die im höchsten Grade muthi- ge Person ansehen mag: so hielte ich mich doch nicht deswegen für weiser, weil ich äter war; noch aus einem so elenden Grunde für berechti- get, einer so außerordentlich erhabenen Seele Gesetze vorzuschreiben, viel weniger ihr übel zu begegnen.
Jch wiederhole es mit Dankbarkeit, daß der Rath dieser liebenswürdigen Person mir sehr gro- ße Dienste gethan hat - - und zwar ehe meiner Mutter Wachsamkeit nöthig ward. Aber das kann ich nicht sagen, wie es mit mir gegangen seyn würde, wenn ich einen Bruder oder eine Schwester gehabt hätte, die es so wohl für ihren Vortheil, als für eine Befriedigung ihres pö- belhaften Neides angesehen hätten, mich anzu- schwärzen.
Jhre unvergleichliche Schwester hat, in der That, Sie, Fräulein, eben so wohl, als mich ge- rettet - - nur mit diesem Unterschiede - - Sie wider Jhren Willen - - Mich mit meinem Willen: und hätte es Jhr eigner Bruder und seine eigne Schwester nicht gemacht; so würde sie selbst nicht verlohren gewesen seyn.
Jch möchte nichts mehr wünschen, als daß beyden Schwestern nur ihr eigner Wille gelassen wäre! - - Die bewundernswürdigste Person un- ter ihrem Geschlechte würde alsdenn niemals aus ihres Vaters Hause gekommen seyn! - - Sie,
Fräu-
Schweſter hat, die ihre unvergleichlichen Vorzuͤ- ge nicht einzuſehen vermoͤgend ſind. Aber ſo muthig mich auch die im hoͤchſten Grade muthi- ge Perſon anſehen mag: ſo hielte ich mich doch nicht deswegen fuͤr weiſer, weil ich aͤter war; noch aus einem ſo elenden Grunde fuͤr berechti- get, einer ſo außerordentlich erhabenen Seele Geſetze vorzuſchreiben, viel weniger ihr uͤbel zu begegnen.
Jch wiederhole es mit Dankbarkeit, daß der Rath dieſer liebenswuͤrdigen Perſon mir ſehr gro- ße Dienſte gethan hat ‒ ‒ und zwar ehe meiner Mutter Wachſamkeit noͤthig ward. Aber das kann ich nicht ſagen, wie es mit mir gegangen ſeyn wuͤrde, wenn ich einen Bruder oder eine Schweſter gehabt haͤtte, die es ſo wohl fuͤr ihren Vortheil, als fuͤr eine Befriedigung ihres poͤ- belhaften Neides angeſehen haͤtten, mich anzu- ſchwaͤrzen.
Jhre unvergleichliche Schweſter hat, in der That, Sie, Fraͤulein, eben ſo wohl, als mich ge- rettet ‒ ‒ nur mit dieſem Unterſchiede ‒ ‒ Sie wider Jhren Willen ‒ ‒ Mich mit meinem Willen: und haͤtte es Jhr eigner Bruder und ſeine eigne Schweſter nicht gemacht; ſo wuͤrde ſie ſelbſt nicht verlohren geweſen ſeyn.
Jch moͤchte nichts mehr wuͤnſchen, als daß beyden Schweſtern nur ihr eigner Wille gelaſſen waͤre! ‒ ‒ Die bewundernswuͤrdigſte Perſon un- ter ihrem Geſchlechte wuͤrde alsdenn niemals aus ihres Vaters Hauſe gekommen ſeyn! ‒ ‒ Sie,
Fraͤu-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0474"n="468"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
Schweſter hat, die ihre unvergleichlichen Vorzuͤ-<lb/>
ge nicht einzuſehen vermoͤgend ſind. Aber ſo<lb/>
muthig mich auch die im hoͤchſten Grade muthi-<lb/>
ge Perſon anſehen mag: ſo hielte ich mich doch<lb/>
nicht deswegen fuͤr <hirendition="#fr">weiſer,</hi> weil ich <hirendition="#fr">aͤter</hi> war;<lb/>
noch aus einem ſo <hirendition="#fr">elenden</hi> Grunde fuͤr berechti-<lb/>
get, einer ſo außerordentlich erhabenen Seele<lb/>
Geſetze vorzuſchreiben, viel weniger ihr uͤbel zu<lb/>
begegnen.</p><lb/><p>Jch wiederhole es mit Dankbarkeit, daß der<lb/>
Rath dieſer liebenswuͤrdigen Perſon mir ſehr gro-<lb/>
ße Dienſte gethan hat ‒‒ und zwar ehe meiner<lb/>
Mutter <hirendition="#fr">Wachſamkeit</hi> noͤthig ward. Aber das<lb/>
kann ich nicht ſagen, wie es mit mir gegangen<lb/>ſeyn wuͤrde, wenn ich einen Bruder oder eine<lb/>
Schweſter gehabt haͤtte, die es ſo wohl fuͤr ihren<lb/><hirendition="#fr">Vortheil,</hi> als fuͤr eine Befriedigung ihres <hirendition="#fr">poͤ-<lb/>
belhaften Neides</hi> angeſehen haͤtten, mich anzu-<lb/>ſchwaͤrzen.</p><lb/><p>Jhre unvergleichliche Schweſter hat, in der<lb/>
That, Sie, Fraͤulein, eben ſo wohl, als <hirendition="#fr">mich</hi> ge-<lb/>
rettet ‒‒ nur mit dieſem Unterſchiede ‒‒ Sie<lb/><hirendition="#fr">wider</hi> Jhren Willen ‒‒ Mich <hirendition="#fr">mit</hi> meinem<lb/>
Willen: und haͤtte es <hirendition="#fr">Jhr</hi> eigner Bruder und<lb/>ſeine eigne Schweſter nicht gemacht; ſo wuͤrde<lb/>ſie ſelbſt nicht verlohren geweſen ſeyn.</p><lb/><p>Jch moͤchte nichts mehr wuͤnſchen, als daß<lb/>
beyden Schweſtern nur ihr eigner Wille gelaſſen<lb/>
waͤre! ‒‒ Die bewundernswuͤrdigſte Perſon un-<lb/>
ter ihrem Geſchlechte wuͤrde alsdenn niemals aus<lb/>
ihres Vaters Hauſe gekommen ſeyn! ‒‒ Sie,<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Fraͤu-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[468/0474]
Schweſter hat, die ihre unvergleichlichen Vorzuͤ-
ge nicht einzuſehen vermoͤgend ſind. Aber ſo
muthig mich auch die im hoͤchſten Grade muthi-
ge Perſon anſehen mag: ſo hielte ich mich doch
nicht deswegen fuͤr weiſer, weil ich aͤter war;
noch aus einem ſo elenden Grunde fuͤr berechti-
get, einer ſo außerordentlich erhabenen Seele
Geſetze vorzuſchreiben, viel weniger ihr uͤbel zu
begegnen.
Jch wiederhole es mit Dankbarkeit, daß der
Rath dieſer liebenswuͤrdigen Perſon mir ſehr gro-
ße Dienſte gethan hat ‒ ‒ und zwar ehe meiner
Mutter Wachſamkeit noͤthig ward. Aber das
kann ich nicht ſagen, wie es mit mir gegangen
ſeyn wuͤrde, wenn ich einen Bruder oder eine
Schweſter gehabt haͤtte, die es ſo wohl fuͤr ihren
Vortheil, als fuͤr eine Befriedigung ihres poͤ-
belhaften Neides angeſehen haͤtten, mich anzu-
ſchwaͤrzen.
Jhre unvergleichliche Schweſter hat, in der
That, Sie, Fraͤulein, eben ſo wohl, als mich ge-
rettet ‒ ‒ nur mit dieſem Unterſchiede ‒ ‒ Sie
wider Jhren Willen ‒ ‒ Mich mit meinem
Willen: und haͤtte es Jhr eigner Bruder und
ſeine eigne Schweſter nicht gemacht; ſo wuͤrde
ſie ſelbſt nicht verlohren geweſen ſeyn.
Jch moͤchte nichts mehr wuͤnſchen, als daß
beyden Schweſtern nur ihr eigner Wille gelaſſen
waͤre! ‒ ‒ Die bewundernswuͤrdigſte Perſon un-
ter ihrem Geſchlechte wuͤrde alsdenn niemals aus
ihres Vaters Hauſe gekommen ſeyn! ‒ ‒ Sie,
Fraͤu-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 468. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/474>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.