men, und angefangen hatte, als der grausame Verhaft mich so wohl der Freyheit als der Kräf- te beraubte, ist diese. Wenn ich zu einer gelin- den Bewegung aufgelegt war: so nahm ich eine Sänfte nach St. Dunstans Kirche in Fleet- Street, wo des Morgens um sieben Bethstunde ist. Jch war willens, wenn das Wetter gut wäre, zu Fuße nach der Kapelle in Lincolns-Jnn zu gehen; wo nicht, eine Sänfte zu nehmen: weil daselbst frühe um eilfe, und Nachmittags um fünfe, eben die erwünschte Gelegenheit ist. Zu andern Zeiten gedachte ich nicht weiter, als zur Kirche beym Covent-Garden, zu gehen, wo ebenfalls des Morgens frühe Bethstunde gehal- ten wird.
Wenn ich dieser Weise folge: so zweifle ich nicht, daß es sehr viel helfen wird, wie es schon gethan hat, meine unruhige Gedanken zu einer Stille, und mich zu derjenigen vollkommenen Ergebung in den göttlichen Willen, wornach ich trachte, zu bringen. Denn ich muß gestehen, wertheste Freundinn, daß noch bisweilen mein Kummer und Nachdenken mir zu schwer ist, und alle Hülfe, die ich von den Pflichten der Re- ligion nehmen kann, kaum hinreichet, meine wankende Vernunft zu stützen. Jch bin sehr jung, das wissen Sie, meine Wertheste, meiner eignen Leitung in solchen Umständen, worunter ich bin, überlassen zu seyn.
Eine andere Ursache, warum ich mich nicht gern in Jhre Nachbarschaft begeben will, ist das
Misver-
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men, und angefangen hatte, als der grauſame Verhaft mich ſo wohl der Freyheit als der Kraͤf- te beraubte, iſt dieſe. Wenn ich zu einer gelin- den Bewegung aufgelegt war: ſo nahm ich eine Saͤnfte nach St. Dunſtans Kirche in Fleet- Street, wo des Morgens um ſieben Bethſtunde iſt. Jch war willens, wenn das Wetter gut waͤre, zu Fuße nach der Kapelle in Lincolns-Jnn zu gehen; wo nicht, eine Saͤnfte zu nehmen: weil daſelbſt fruͤhe um eilfe, und Nachmittags um fuͤnfe, eben die erwuͤnſchte Gelegenheit iſt. Zu andern Zeiten gedachte ich nicht weiter, als zur Kirche beym Covent-Garden, zu gehen, wo ebenfalls des Morgens fruͤhe Bethſtunde gehal- ten wird.
Wenn ich dieſer Weiſe folge: ſo zweifle ich nicht, daß es ſehr viel helfen wird, wie es ſchon gethan hat, meine unruhige Gedanken zu einer Stille, und mich zu derjenigen vollkommenen Ergebung in den goͤttlichen Willen, wornach ich trachte, zu bringen. Denn ich muß geſtehen, wertheſte Freundinn, daß noch bisweilen mein Kummer und Nachdenken mir zu ſchwer iſt, und alle Huͤlfe, die ich von den Pflichten der Re- ligion nehmen kann, kaum hinreichet, meine wankende Vernunft zu ſtuͤtzen. Jch bin ſehr jung, das wiſſen Sie, meine Wertheſte, meiner eignen Leitung in ſolchen Umſtaͤnden, worunter ich bin, uͤberlaſſen zu ſeyn.
Eine andere Urſache, warum ich mich nicht gern in Jhre Nachbarſchaft begeben will, iſt das
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men, und angefangen hatte, als der grauſame
Verhaft mich ſo wohl der Freyheit als der Kraͤf-
te beraubte, iſt dieſe. Wenn ich zu einer gelin-
den Bewegung aufgelegt war: ſo nahm ich eine
Saͤnfte nach St. Dunſtans Kirche in Fleet-
Street, wo des Morgens um ſieben Bethſtunde
iſt. Jch war willens, wenn das Wetter gut
waͤre, zu Fuße nach der Kapelle in Lincolns-Jnn
zu gehen; wo nicht, eine Saͤnfte zu nehmen:
weil daſelbſt fruͤhe um eilfe, und Nachmittags
um fuͤnfe, eben die erwuͤnſchte Gelegenheit iſt.
Zu andern Zeiten gedachte ich nicht weiter, als
zur Kirche beym Covent-Garden, zu gehen, wo
ebenfalls des Morgens fruͤhe Bethſtunde gehal-
ten wird.
Wenn ich dieſer Weiſe folge: ſo zweifle ich
nicht, daß es ſehr viel helfen wird, wie es ſchon
gethan hat, meine unruhige Gedanken zu einer
Stille, und mich zu derjenigen vollkommenen
Ergebung in den goͤttlichen Willen, wornach ich
trachte, zu bringen. Denn ich muß geſtehen,
wertheſte Freundinn, daß noch bisweilen mein
Kummer und Nachdenken mir zu ſchwer iſt, und
alle Huͤlfe, die ich von den Pflichten der Re-
ligion nehmen kann, kaum hinreichet, meine
wankende Vernunft zu ſtuͤtzen. Jch bin ſehr
jung, das wiſſen Sie, meine Wertheſte, meiner
eignen Leitung in ſolchen Umſtaͤnden, worunter
ich bin, uͤberlaſſen zu ſeyn.
Eine andere Urſache, warum ich mich nicht
gern in Jhre Nachbarſchaft begeben will, iſt das
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 565. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/571>, abgerufen am 22.11.2024.
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