Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



Hand es wolle, anzunehmen. Sollte ich also mei-
nem mitleidigen Seufzen nach ihr so weit Genüge
thun, daß ich in geheim den Brief, wovon Sie
melden, annähme: was würde es anders seyn,
als mich zu quälen, ohne daß ich im Stande wäre,
ihr zu helfen? Und sollte man es erfahren - -
Hr. Harlowe ist so zornig - - Sollte es sein Po-
dagra in den Magen treiben, wie bey ihrer unbe-
sonnenen Flucht geschahe - - Jn Wahrheit, in
Wahrheit, ich bin sehr unglücklich daran! - -
Denn, o meine liebe Fr. Norton, sie ist doch be-
ständig noch mein Kind! - - Aber, wofern es
nicht mehr in meiner Gewalt stünde - - Jedoch
verlangt mich, ihren Brief zu sehen. - - Sie be-
richten, daß er von ihrem gegenwärtigen Zustande
und von ihren Umständen Nachricht gebe. - -
Das arme Kind, welches Tausende im Besitz
haben sollte! - - Und haben wird! - - Denn
ihr Vater wird ein getreuer Haushälter für sie
seyn - - Allein es muß auf ihm beliebige Art,
und zu ihm beliebiger Zeit, erst geschehen.

Befindet sie sich wirklich übel? - - so sehr
übel? - - Sie muß billig Kummer haben - -
Sie hat gedoppelt so viel verursachet.

Aber glaubt sie wirklich, daß sie uns nicht
lange beschwerlich seyn werde? - - O! Fr. Nor-
ton, sie muß, sie wird uns lange beschwerlich
seyn. - - Denn kann sie gedenken, daß ihr Tod,
wenn wir ihrer beraubt seyn sollten, unserm Lei-
den ein Ende machen werde? - - Kann man sich
vorstellen, daß der Fall eines solchen Kindes nicht

bis



Hand es wolle, anzunehmen. Sollte ich alſo mei-
nem mitleidigen Seufzen nach ihr ſo weit Genuͤge
thun, daß ich in geheim den Brief, wovon Sie
melden, annaͤhme: was wuͤrde es anders ſeyn,
als mich zu quaͤlen, ohne daß ich im Stande waͤre,
ihr zu helfen? Und ſollte man es erfahren ‒ ‒
Hr. Harlowe iſt ſo zornig ‒ ‒ Sollte es ſein Po-
dagra in den Magen treiben, wie bey ihrer unbe-
ſonnenen Flucht geſchahe ‒ ‒ Jn Wahrheit, in
Wahrheit, ich bin ſehr ungluͤcklich daran! ‒ ‒
Denn, o meine liebe Fr. Norton, ſie iſt doch be-
ſtaͤndig noch mein Kind! ‒ ‒ Aber, wofern es
nicht mehr in meiner Gewalt ſtuͤnde ‒ ‒ Jedoch
verlangt mich, ihren Brief zu ſehen. ‒ ‒ Sie be-
richten, daß er von ihrem gegenwaͤrtigen Zuſtande
und von ihren Umſtaͤnden Nachricht gebe. ‒ ‒
Das arme Kind, welches Tauſende im Beſitz
haben ſollte! ‒ ‒ Und haben wird! ‒ ‒ Denn
ihr Vater wird ein getreuer Haushaͤlter fuͤr ſie
ſeyn ‒ ‒ Allein es muß auf ihm beliebige Art,
und zu ihm beliebiger Zeit, erſt geſchehen.

Befindet ſie ſich wirklich uͤbel? ‒ ‒ ſo ſehr
uͤbel? ‒ ‒ Sie muß billig Kummer haben ‒ ‒
Sie hat gedoppelt ſo viel verurſachet.

Aber glaubt ſie wirklich, daß ſie uns nicht
lange beſchwerlich ſeyn werde? ‒ ‒ O! Fr. Nor-
ton, ſie muß, ſie wird uns lange beſchwerlich
ſeyn. ‒ ‒ Denn kann ſie gedenken, daß ihr Tod,
wenn wir ihrer beraubt ſeyn ſollten, unſerm Lei-
den ein Ende machen werde? ‒ ‒ Kann man ſich
vorſtellen, daß der Fall eines ſolchen Kindes nicht

bis
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0629" n="623"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
Hand es wolle, anzunehmen. Sollte ich al&#x017F;o mei-<lb/>
nem mitleidigen Seufzen nach ihr &#x017F;o weit Genu&#x0364;ge<lb/>
thun, daß ich in geheim den Brief, wovon Sie<lb/>
melden, anna&#x0364;hme: was wu&#x0364;rde es anders &#x017F;eyn,<lb/>
als mich zu qua&#x0364;len, ohne daß ich im Stande wa&#x0364;re,<lb/>
ihr zu helfen? Und &#x017F;ollte man es erfahren &#x2012; &#x2012;<lb/>
Hr. Harlowe i&#x017F;t <hi rendition="#fr">&#x017F;o</hi> zornig &#x2012; &#x2012; Sollte es &#x017F;ein Po-<lb/>
dagra in den Magen treiben, wie bey ihrer unbe-<lb/>
&#x017F;onnenen Flucht ge&#x017F;chahe &#x2012; &#x2012; Jn Wahrheit, in<lb/>
Wahrheit, ich bin &#x017F;ehr unglu&#x0364;cklich daran! &#x2012; &#x2012;<lb/>
Denn, o meine liebe Fr. Norton, &#x017F;ie i&#x017F;t doch be-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;ndig noch mein Kind! &#x2012; &#x2012; Aber, wofern es<lb/>
nicht mehr in meiner Gewalt &#x017F;tu&#x0364;nde &#x2012; &#x2012; Jedoch<lb/>
verlangt mich, ihren Brief zu &#x017F;ehen. &#x2012; &#x2012; Sie be-<lb/>
richten, daß er von ihrem gegenwa&#x0364;rtigen Zu&#x017F;tande<lb/>
und von ihren Um&#x017F;ta&#x0364;nden Nachricht gebe. &#x2012; &#x2012;<lb/>
Das arme Kind, welches Tau&#x017F;ende im Be&#x017F;itz<lb/>
haben &#x017F;ollte! &#x2012; &#x2012; Und haben <hi rendition="#fr">wird!</hi> &#x2012; &#x2012; Denn<lb/>
ihr Vater wird ein getreuer Hausha&#x0364;lter fu&#x0364;r &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;eyn &#x2012; &#x2012; Allein es muß auf ihm beliebige Art,<lb/>
und zu ihm beliebiger Zeit, er&#x017F;t ge&#x017F;chehen.</p><lb/>
          <p>Befindet &#x017F;ie &#x017F;ich <hi rendition="#fr">wirklich</hi> u&#x0364;bel? &#x2012; &#x2012; &#x017F;o <hi rendition="#fr">&#x017F;ehr</hi><lb/>
u&#x0364;bel? &#x2012; &#x2012; Sie <hi rendition="#fr">muß billig</hi> Kummer haben &#x2012; &#x2012;<lb/>
Sie hat gedoppelt &#x017F;o viel verur&#x017F;achet.</p><lb/>
          <p>Aber glaubt &#x017F;ie <hi rendition="#fr">wirklich,</hi> daß &#x017F;ie uns nicht<lb/>
lange be&#x017F;chwerlich &#x017F;eyn werde? &#x2012; &#x2012; O! Fr. Nor-<lb/>
ton, &#x017F;ie muß, &#x017F;ie <hi rendition="#fr">wird</hi> uns lange be&#x017F;chwerlich<lb/>
&#x017F;eyn. &#x2012; &#x2012; Denn kann &#x017F;ie gedenken, daß ihr Tod,<lb/>
wenn wir ihrer beraubt &#x017F;eyn &#x017F;ollten, un&#x017F;erm Lei-<lb/>
den ein Ende machen werde? &#x2012; &#x2012; Kann man &#x017F;ich<lb/>
vor&#x017F;tellen, daß der Fall eines &#x017F;olchen Kindes nicht<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">bis</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[623/0629] Hand es wolle, anzunehmen. Sollte ich alſo mei- nem mitleidigen Seufzen nach ihr ſo weit Genuͤge thun, daß ich in geheim den Brief, wovon Sie melden, annaͤhme: was wuͤrde es anders ſeyn, als mich zu quaͤlen, ohne daß ich im Stande waͤre, ihr zu helfen? Und ſollte man es erfahren ‒ ‒ Hr. Harlowe iſt ſo zornig ‒ ‒ Sollte es ſein Po- dagra in den Magen treiben, wie bey ihrer unbe- ſonnenen Flucht geſchahe ‒ ‒ Jn Wahrheit, in Wahrheit, ich bin ſehr ungluͤcklich daran! ‒ ‒ Denn, o meine liebe Fr. Norton, ſie iſt doch be- ſtaͤndig noch mein Kind! ‒ ‒ Aber, wofern es nicht mehr in meiner Gewalt ſtuͤnde ‒ ‒ Jedoch verlangt mich, ihren Brief zu ſehen. ‒ ‒ Sie be- richten, daß er von ihrem gegenwaͤrtigen Zuſtande und von ihren Umſtaͤnden Nachricht gebe. ‒ ‒ Das arme Kind, welches Tauſende im Beſitz haben ſollte! ‒ ‒ Und haben wird! ‒ ‒ Denn ihr Vater wird ein getreuer Haushaͤlter fuͤr ſie ſeyn ‒ ‒ Allein es muß auf ihm beliebige Art, und zu ihm beliebiger Zeit, erſt geſchehen. Befindet ſie ſich wirklich uͤbel? ‒ ‒ ſo ſehr uͤbel? ‒ ‒ Sie muß billig Kummer haben ‒ ‒ Sie hat gedoppelt ſo viel verurſachet. Aber glaubt ſie wirklich, daß ſie uns nicht lange beſchwerlich ſeyn werde? ‒ ‒ O! Fr. Nor- ton, ſie muß, ſie wird uns lange beſchwerlich ſeyn. ‒ ‒ Denn kann ſie gedenken, daß ihr Tod, wenn wir ihrer beraubt ſeyn ſollten, unſerm Lei- den ein Ende machen werde? ‒ ‒ Kann man ſich vorſtellen, daß der Fall eines ſolchen Kindes nicht bis

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/629
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 623. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/629>, abgerufen am 22.11.2024.