daß meine Reue nicht so wohl von wahrer Ueberzeugung, als von einem Misvergnügen über meine fehlgeschlagene Hoffnung herkomme: so erlauben Sie mir, gnädige Frau, darauf zu beste- hen, daß ich wirklich ein Recht habe auf den Segen, um welchen ich flehe, einen Anspruch zu machen; weil meine demüthige Bitte sich auf eine wahre und ungeheuchelte Reue gründet. Dieß werden Sie desto eher glauben: wofern diejenige, welche niemals, nach ihrem besten Wis- sen, ihrer Mutter vorsetzlich eine Unwahrheit ge- saget hat, Glauben finden kann; wenn sie auf die feyerlichste Weise, wie sie thut, versichert, daß sie zu dem Verführer, mit dem festen Vorsatz, nicht mit ihm abzugehen, gekommen sey; daß der un- besonnene Schritt, den sie gethan hat, mehr aus Zwang, als aus Bethörung, geschehen; und daß ihr Herz so wenig dazu geneigt gewesen, daß sie von dem Augenblick an, da sie sich in seiner Ge- walt befunden, und alle Augenblicke hernach, ver- schiedne Wochen vorher, ehe sie die geringste Ursache gehabt, die ihr widerfahrne Begegnung von ihm zu befürchten, Reue und Kummer dar- über empfunden habe.
Daher bitte ich Sie, meine beständig geehrte Fr. Mutter, in der größten Demuth auf meinen Knieen um Jhren Segen: denn auf meinen Knieen schreibe ich diesen Brief. Jch verlange nicht, daß Sie mich Jhre Tochter nennen: sagen Sie nur in so vielen Worten: Verlohrnes, unglückliches, elendes Geschöpfe, ich ver-
gebe
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daß meine Reue nicht ſo wohl von wahrer Ueberzeugung, als von einem Misvergnuͤgen uͤber meine fehlgeſchlagene Hoffnung herkomme: ſo erlauben Sie mir, gnaͤdige Frau, darauf zu beſte- hen, daß ich wirklich ein Recht habe auf den Segen, um welchen ich flehe, einen Anſpruch zu machen; weil meine demuͤthige Bitte ſich auf eine wahre und ungeheuchelte Reue gruͤndet. Dieß werden Sie deſto eher glauben: wofern diejenige, welche niemals, nach ihrem beſten Wiſ- ſen, ihrer Mutter vorſetzlich eine Unwahrheit ge- ſaget hat, Glauben finden kann; wenn ſie auf die feyerlichſte Weiſe, wie ſie thut, verſichert, daß ſie zu dem Verfuͤhrer, mit dem feſten Vorſatz, nicht mit ihm abzugehen, gekommen ſey; daß der un- beſonnene Schritt, den ſie gethan hat, mehr aus Zwang, als aus Bethoͤrung, geſchehen; und daß ihr Herz ſo wenig dazu geneigt geweſen, daß ſie von dem Augenblick an, da ſie ſich in ſeiner Ge- walt befunden, und alle Augenblicke hernach, ver- ſchiedne Wochen vorher, ehe ſie die geringſte Urſache gehabt, die ihr widerfahrne Begegnung von ihm zu befuͤrchten, Reue und Kummer dar- uͤber empfunden habe.
Daher bitte ich Sie, meine beſtaͤndig geehrte Fr. Mutter, in der groͤßten Demuth auf meinen Knieen um Jhren Segen: denn auf meinen Knieen ſchreibe ich dieſen Brief. Jch verlange nicht, daß Sie mich Jhre Tochter nennen: ſagen Sie nur in ſo vielen Worten: Verlohrnes, ungluͤckliches, elendes Geſchoͤpfe, ich ver-
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daß meine Reue nicht ſo wohl von wahrer
Ueberzeugung, als von einem Misvergnuͤgen uͤber
meine fehlgeſchlagene Hoffnung herkomme: ſo
erlauben Sie mir, gnaͤdige Frau, darauf zu beſte-
hen, daß ich wirklich ein Recht habe auf den
Segen, um welchen ich flehe, einen Anſpruch
zu machen; weil meine demuͤthige Bitte ſich
auf eine wahre und ungeheuchelte Reue gruͤndet.
Dieß werden Sie deſto eher glauben: wofern
diejenige, welche niemals, nach ihrem beſten Wiſ-
ſen, ihrer Mutter vorſetzlich eine Unwahrheit ge-
ſaget hat, Glauben finden kann; wenn ſie auf die
feyerlichſte Weiſe, wie ſie thut, verſichert, daß ſie
zu dem Verfuͤhrer, mit dem feſten Vorſatz, nicht
mit ihm abzugehen, gekommen ſey; daß der un-
beſonnene Schritt, den ſie gethan hat, mehr aus
Zwang, als aus Bethoͤrung, geſchehen; und daß
ihr Herz ſo wenig dazu geneigt geweſen, daß ſie
von dem Augenblick an, da ſie ſich in ſeiner Ge-
walt befunden, und alle Augenblicke hernach, ver-
ſchiedne Wochen vorher, ehe ſie die geringſte
Urſache gehabt, die ihr widerfahrne Begegnung
von ihm zu befuͤrchten, Reue und Kummer dar-
uͤber empfunden habe.
Daher bitte ich Sie, meine beſtaͤndig geehrte
Fr. Mutter, in der groͤßten Demuth auf meinen
Knieen um Jhren Segen: denn auf meinen
Knieen ſchreibe ich dieſen Brief. Jch verlange
nicht, daß Sie mich Jhre Tochter nennen: ſagen
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 697. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/703>, abgerufen am 22.11.2024.
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