daß eine jede Sache eine weisse und eine schwarze Seite habe. Allein was muß einem parteyischen Menschen, der seine eigne Sache weiß oder ei- nes andern Sache schwarz machet, sein Ge- wissen sagen: wenn er seinen Richtern einen blauen Dunst vor die Augen stellet, und sich alle die Zeit über seiner Schuld bewußt ist?
Der Obrist, sehe ich, ist gar nicht von allen Fehlern frey. Allein weil er nicht durch Treu- losigkeit seinen Zweck bey Frauenzimmern zu er- halten gesucht: hat er eine Entschuldigung, die du nicht hast. Jch kann aber itzo in Absicht auf ihn, und uns alle, mit Verabscheuung einiger von meinen eignen Handlungen, erkennen, daß es die niederträchtigste Bosheit sey, die begangen wer- den kann, wenn man die gute Meynung, welche eine andere Person von uns heget, sich zu Nutze machet, eben diese andere Person zu beleidigen und vielleicht gar unglücklich zu machen.
Handelte eine Mannsperson so gegen eine andere Mannsperson: so würde es uns keine Schwierigkeit machen, solchen Handlungen einen Namen zu geben. Jst es aber nicht zwey und dreymal ärger, wenn man sich eines solchen Vor- theils über ein unerfahrnes und unschuldiges jun- ges Frauenzimmer bedienet, das wir mehr als irgend eine Frauensperson in der Welt zu lieben vorgeben, und wenn wir unser Vorgeben durch die feyerlichsten Gelübde und Betheurungen un- verbrüchlicher Ehre, die wir nur erfinden können, verfiegeln?
Jch
daß eine jede Sache eine weiſſe und eine ſchwarze Seite habe. Allein was muß einem parteyiſchen Menſchen, der ſeine eigne Sache weiß oder ei- nes andern Sache ſchwarz machet, ſein Ge- wiſſen ſagen: wenn er ſeinen Richtern einen blauen Dunſt vor die Augen ſtellet, und ſich alle die Zeit uͤber ſeiner Schuld bewußt iſt?
Der Obriſt, ſehe ich, iſt gar nicht von allen Fehlern frey. Allein weil er nicht durch Treu- loſigkeit ſeinen Zweck bey Frauenzimmern zu er- halten geſucht: hat er eine Entſchuldigung, die du nicht haſt. Jch kann aber itzo in Abſicht auf ihn, und uns alle, mit Verabſcheuung einiger von meinen eignen Handlungen, erkennen, daß es die niedertraͤchtigſte Bosheit ſey, die begangen wer- den kann, wenn man die gute Meynung, welche eine andere Perſon von uns heget, ſich zu Nutze machet, eben dieſe andere Perſon zu beleidigen und vielleicht gar ungluͤcklich zu machen.
Handelte eine Mannsperſon ſo gegen eine andere Mannsperſon: ſo wuͤrde es uns keine Schwierigkeit machen, ſolchen Handlungen einen Namen zu geben. Jſt es aber nicht zwey und dreymal aͤrger, wenn man ſich eines ſolchen Vor- theils uͤber ein unerfahrnes und unſchuldiges jun- ges Frauenzimmer bedienet, das wir mehr als irgend eine Frauensperſon in der Welt zu lieben vorgeben, und wenn wir unſer Vorgeben durch die feyerlichſten Geluͤbde und Betheurungen un- verbruͤchlicher Ehre, die wir nur erfinden koͤnnen, verfiegeln?
Jch
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daß eine jede Sache eine weiſſe und eine ſchwarze
Seite habe. Allein was muß einem parteyiſchen
Menſchen, der ſeine eigne Sache weiß oder ei-
nes andern Sache ſchwarz machet, ſein Ge-
wiſſen ſagen: wenn er ſeinen Richtern einen blauen
Dunſt vor die Augen ſtellet, und ſich alle die Zeit
uͤber ſeiner Schuld bewußt iſt?
Der Obriſt, ſehe ich, iſt gar nicht von allen
Fehlern frey. Allein weil er nicht durch Treu-
loſigkeit ſeinen Zweck bey Frauenzimmern zu er-
halten geſucht: hat er eine Entſchuldigung, die du
nicht haſt. Jch kann aber itzo in Abſicht auf ihn,
und uns alle, mit Verabſcheuung einiger von
meinen eignen Handlungen, erkennen, daß es die
niedertraͤchtigſte Bosheit ſey, die begangen wer-
den kann, wenn man die gute Meynung, welche
eine andere Perſon von uns heget, ſich zu Nutze
machet, eben dieſe andere Perſon zu beleidigen und
vielleicht gar ungluͤcklich zu machen.
Handelte eine Mannsperſon ſo gegen eine
andere Mannsperſon: ſo wuͤrde es uns keine
Schwierigkeit machen, ſolchen Handlungen einen
Namen zu geben. Jſt es aber nicht zwey und
dreymal aͤrger, wenn man ſich eines ſolchen Vor-
theils uͤber ein unerfahrnes und unſchuldiges jun-
ges Frauenzimmer bedienet, das wir mehr als
irgend eine Frauensperſon in der Welt zu lieben
vorgeben, und wenn wir unſer Vorgeben durch
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/245>, abgerufen am 23.11.2024.
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