diesen Augenblick als die unstreitigste Wahrheit fühle, daß in den Gedanken vom Tode; und den gehoffeten glücklichen Folgen desselben ein so unge- meines Uebergewicht und eine so viel größere Wich- tigkeit liege, daß dadurch gewissermaßen alle ande- re Betrachtungen und Angelegenheiten zernichtet werden. Glauben sie mir, meine liebe Freundin- nen, dieß thut, was sonst nichts thun kann: es lehret mich, indem es die Kraft des göttlichsten Beyspieles verstärket, die Beleidigungen, welche mir widerfahren sind, zu vergeben, und schließet die Erinnerung vergangener Uebel aus meiner Seele aus.
Nun laß mich dich fragen, Lovelace: Denkst du, daß wenn die Zeit kommen wird, da du genö- thigt seyn wirst, in das unendliche Meer der Ewig- keit abzusegeln, du irgend mehr, als der arme Belton, im Stande seyn werdest, das, was dir oblieget, mit einem so wahren Heldenmuth, als diese angenehme und zarte Blume von einem Frauenzimmer gezeiget hat, und noch beständig zeiget, zu vollbringen?
O nein! Es kann nicht seyn - - Und war- um nicht? - - - Der Grund ist offenbar. Sie hat keine vorsetzliche Fehler, auf die sie mit Vor- würfen wider sich selbst zurücksehen müßte - - und ihre Seele wird durch die Tröstungen gestär- ket, welche von der gottseligen Richtigkeit fließen, die ihr in allen ihren Handlungen zur Führerinn gedienet, und sie gelehret hat, viel lieber zu leiden als zu beleidigen.
Dieß
S 3
dieſen Augenblick als die unſtreitigſte Wahrheit fuͤhle, daß in den Gedanken vom Tode; und den gehoffeten gluͤcklichen Folgen deſſelben ein ſo unge- meines Uebergewicht und eine ſo viel groͤßere Wich- tigkeit liege, daß dadurch gewiſſermaßen alle ande- re Betrachtungen und Angelegenheiten zernichtet werden. Glauben ſie mir, meine liebe Freundin- nen, dieß thut, was ſonſt nichts thun kann: es lehret mich, indem es die Kraft des goͤttlichſten Beyſpieles verſtaͤrket, die Beleidigungen, welche mir widerfahren ſind, zu vergeben, und ſchließet die Erinnerung vergangener Uebel aus meiner Seele aus.
Nun laß mich dich fragen, Lovelace: Denkſt du, daß wenn die Zeit kommen wird, da du genoͤ- thigt ſeyn wirſt, in das unendliche Meer der Ewig- keit abzuſegeln, du irgend mehr, als der arme Belton, im Stande ſeyn werdeſt, das, was dir oblieget, mit einem ſo wahren Heldenmuth, als dieſe angenehme und zarte Blume von einem Frauenzimmer gezeiget hat, und noch beſtaͤndig zeiget, zu vollbringen?
O nein! Es kann nicht ſeyn ‒ ‒ Und war- um nicht? ‒ ‒ ‒ Der Grund iſt offenbar. Sie hat keine vorſetzliche Fehler, auf die ſie mit Vor- wuͤrfen wider ſich ſelbſt zuruͤckſehen muͤßte ‒ ‒ und ihre Seele wird durch die Troͤſtungen geſtaͤr- ket, welche von der gottſeligen Richtigkeit fließen, die ihr in allen ihren Handlungen zur Fuͤhrerinn gedienet, und ſie gelehret hat, viel lieber zu leiden als zu beleidigen.
Dieß
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dieſen Augenblick als die unſtreitigſte Wahrheit
fuͤhle, daß in den Gedanken vom Tode; und den
gehoffeten gluͤcklichen Folgen deſſelben ein ſo unge-
meines Uebergewicht und eine ſo viel groͤßere Wich-
tigkeit liege, daß dadurch gewiſſermaßen alle ande-
re Betrachtungen und Angelegenheiten zernichtet
werden. Glauben ſie mir, meine liebe Freundin-
nen, dieß thut, was ſonſt nichts thun kann: es
lehret mich, indem es die Kraft des goͤttlichſten
Beyſpieles verſtaͤrket, die Beleidigungen, welche
mir widerfahren ſind, zu vergeben, und ſchließet
die Erinnerung vergangener Uebel aus meiner
Seele aus.
Nun laß mich dich fragen, Lovelace: Denkſt
du, daß wenn die Zeit kommen wird, da du genoͤ-
thigt ſeyn wirſt, in das unendliche Meer der Ewig-
keit abzuſegeln, du irgend mehr, als der arme
Belton, im Stande ſeyn werdeſt, das, was dir
oblieget, mit einem ſo wahren Heldenmuth, als
dieſe angenehme und zarte Blume von einem
Frauenzimmer gezeiget hat, und noch beſtaͤndig
zeiget, zu vollbringen?
O nein! Es kann nicht ſeyn ‒ ‒ Und war-
um nicht? ‒ ‒ ‒ Der Grund iſt offenbar. Sie
hat keine vorſetzliche Fehler, auf die ſie mit Vor-
wuͤrfen wider ſich ſelbſt zuruͤckſehen muͤßte ‒ ‒
und ihre Seele wird durch die Troͤſtungen geſtaͤr-
ket, welche von der gottſeligen Richtigkeit fließen,
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gedienet, und ſie gelehret hat, viel lieber zu leiden
als zu beleidigen.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/283>, abgerufen am 22.11.2024.
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