Unsere Augen und Hände drückten für uns beyde das aus, was unsere Lippen nicht äußern konnten.
Sagen sie also nicht, fuhr sie fort, und lassen sie es nicht sagen, daß mein Unwillen noch nicht überwältiget sey! - - Aber dennoch sollen diese Augen, die ich gen Himmel hebe, als zu dem Zeu- gen der Wahrheit dessen, was ich gesagt habe, ihn niemals mehr sehen: wo ich es ändern kann! - - Denn bedenken sie nicht, meine Herren, wie kurz meine Zeit ist; auf wie viele wichtigere Dinge ich sie zu wenden habe; und wie wenig ich, so schwach, als ich bin, im Stande seyn würde, selbst mit der bezeugten Reue einer Person von dauerhafter Ge- sundheit, die sich durch ungebändigte und allezeit heftige Leidenschaften regieren lässet, zu kämpfen? - - Nun, hoffe ich, werden sie dieser Sache we- gen niemals mehr in mich dringen.
Der Geistliche sagte, es würde unverantwort- lich seyn, jemals auf diese Vorstellung wieder zu dringen.
Jhr sehet, Lovelace, daß ich die Pflicht eines Freundes nicht vergessen habe, indem ich mich be- mühet, sie zu gewinnen, daß sie euch ihre letzte Vergebung in Person ertheilen möchte. Jch hoffe also, da sie ihrem Ende so nahe ist, daß ihr euch in ihren letzten Stunden nicht zu ihr drän- gen werdet: denn sie müßte bey einem solchen An- blick sehr aus ihrer Fassung gesetzt werden, und es möchte sie desto eher aus der Welt bringen.
Dieß
Unſere Augen und Haͤnde druͤckten fuͤr uns beyde das aus, was unſere Lippen nicht aͤußern konnten.
Sagen ſie alſo nicht, fuhr ſie fort, und laſſen ſie es nicht ſagen, daß mein Unwillen noch nicht uͤberwaͤltiget ſey! ‒ ‒ Aber dennoch ſollen dieſe Augen, die ich gen Himmel hebe, als zu dem Zeu- gen der Wahrheit deſſen, was ich geſagt habe, ihn niemals mehr ſehen: wo ich es aͤndern kann! ‒ ‒ Denn bedenken ſie nicht, meine Herren, wie kurz meine Zeit iſt; auf wie viele wichtigere Dinge ich ſie zu wenden habe; und wie wenig ich, ſo ſchwach, als ich bin, im Stande ſeyn wuͤrde, ſelbſt mit der bezeugten Reue einer Perſon von dauerhafter Ge- ſundheit, die ſich durch ungebaͤndigte und allezeit heftige Leidenſchaften regieren laͤſſet, zu kaͤmpfen? ‒ ‒ Nun, hoffe ich, werden ſie dieſer Sache we- gen niemals mehr in mich dringen.
Der Geiſtliche ſagte, es wuͤrde unverantwort- lich ſeyn, jemals auf dieſe Vorſtellung wieder zu dringen.
Jhr ſehet, Lovelace, daß ich die Pflicht eines Freundes nicht vergeſſen habe, indem ich mich be- muͤhet, ſie zu gewinnen, daß ſie euch ihre letzte Vergebung in Perſon ertheilen moͤchte. Jch hoffe alſo, da ſie ihrem Ende ſo nahe iſt, daß ihr euch in ihren letzten Stunden nicht zu ihr draͤn- gen werdet: denn ſie muͤßte bey einem ſolchen An- blick ſehr aus ihrer Faſſung geſetzt werden, und es moͤchte ſie deſto eher aus der Welt bringen.
Dieß
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Unſere Augen und Haͤnde druͤckten fuͤr uns
beyde das aus, was unſere Lippen nicht aͤußern
konnten.
Sagen ſie alſo nicht, fuhr ſie fort, und laſſen
ſie es nicht ſagen, daß mein Unwillen noch nicht
uͤberwaͤltiget ſey! ‒ ‒ Aber dennoch ſollen dieſe
Augen, die ich gen Himmel hebe, als zu dem Zeu-
gen der Wahrheit deſſen, was ich geſagt habe, ihn
niemals mehr ſehen: wo ich es aͤndern kann! ‒ ‒
Denn bedenken ſie nicht, meine Herren, wie kurz
meine Zeit iſt; auf wie viele wichtigere Dinge ich
ſie zu wenden habe; und wie wenig ich, ſo ſchwach,
als ich bin, im Stande ſeyn wuͤrde, ſelbſt mit der
bezeugten Reue einer Perſon von dauerhafter Ge-
ſundheit, die ſich durch ungebaͤndigte und allezeit
heftige Leidenſchaften regieren laͤſſet, zu kaͤmpfen?
‒ ‒ Nun, hoffe ich, werden ſie dieſer Sache we-
gen niemals mehr in mich dringen.
Der Geiſtliche ſagte, es wuͤrde unverantwort-
lich ſeyn, jemals auf dieſe Vorſtellung wieder zu
dringen.
Jhr ſehet, Lovelace, daß ich die Pflicht eines
Freundes nicht vergeſſen habe, indem ich mich be-
muͤhet, ſie zu gewinnen, daß ſie euch ihre letzte
Vergebung in Perſon ertheilen moͤchte. Jch
hoffe alſo, da ſie ihrem Ende ſo nahe iſt, daß ihr
euch in ihren letzten Stunden nicht zu ihr draͤn-
gen werdet: denn ſie muͤßte bey einem ſolchen An-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/403>, abgerufen am 22.11.2024.
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