Jn Wahrheit, Bruder, ich bin der abscheu- lichste Bösewicht gewesen: und wenn ich alle mei- ne Handlungen gegen diesen Engel von einem Frauenzimmer, und an ihr die Frömmigkeit, das liebreiche Herz, den Verstand, die Schönheit, wel- che ich verstören geholfen, und das Gute, dessen ich die Welt, als ein Werzeug, eben dadurch be- raubet habe, wohl überlege; so kann ich das Ver- dammungsurtheil über mich selbst sprechen. Wie kann ich denn sonst irgendwo Gnade erwarten!
Jch glaube, ich werde keine Gedult mit Euch haben, wenn ich Euch sehe. Eure verdammte Stiche und Anmerkungen haben mir beynahe den Kopf verrückt.
Allein hier, sagt man mir, ist der Lord M. gekommen! - - Der Henker hohle ihn, und die, welche nach ihm geschickt haben!
Jch weiß nicht, was ich geschrieben habe! Aber ihr liebes Herz, und eine Locke von ihren Haaren will ich haben: es widerspreche auch, wer da wolle. Denn ist sie nicht die meinige? Wessen kann sie sonst seyn? Sie hat keinen Va- ter noch Mutter, keine Schwester, keinen Bruder, keine Anverwandten außer mir. Und meine Ge- liebte ist die meinige; und ich der ihrige: und das ist genug - - Aber ach!
Es ist sehon aus mit ihr! des Todes Dampf und Nacht Hat sie ganz ausgelöscht! Die Lippen sind vermacht; Die von dem Ambraduft so anmuthreiche Thüren; Die wird kein Lebenshauch durch Aufthun wieder rühren.
Wie
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Jn Wahrheit, Bruder, ich bin der abſcheu- lichſte Boͤſewicht geweſen: und wenn ich alle mei- ne Handlungen gegen dieſen Engel von einem Frauenzimmer, und an ihr die Froͤmmigkeit, das liebreiche Herz, den Verſtand, die Schoͤnheit, wel- che ich verſtoͤren geholfen, und das Gute, deſſen ich die Welt, als ein Werzeug, eben dadurch be- raubet habe, wohl uͤberlege; ſo kann ich das Ver- dammungsurtheil uͤber mich ſelbſt ſprechen. Wie kann ich denn ſonſt irgendwo Gnade erwarten!
Jch glaube, ich werde keine Gedult mit Euch haben, wenn ich Euch ſehe. Eure verdammte Stiche und Anmerkungen haben mir beynahe den Kopf verruͤckt.
Allein hier, ſagt man mir, iſt der Lord M. gekommen! ‒ ‒ Der Henker hohle ihn, und die, welche nach ihm geſchickt haben!
Jch weiß nicht, was ich geſchrieben habe! Aber ihr liebes Herz, und eine Locke von ihren Haaren will ich haben: es widerſpreche auch, wer da wolle. Denn iſt ſie nicht die meinige? Weſſen kann ſie ſonſt ſeyn? Sie hat keinen Va- ter noch Mutter, keine Schweſter, keinen Bruder, keine Anverwandten außer mir. Und meine Ge- liebte iſt die meinige; und ich der ihrige: und das iſt genug ‒ ‒ Aber ach!
Es iſt ſehon aus mit ihr! des Todes Dampf und Nacht Hat ſie ganz ausgeloͤſcht! Die Lippen ſind vermacht; Die von dem Ambraduft ſo anmuthreiche Thuͤren; Die wird kein Lebenshauch durch Aufthun wieder ruͤhren.
Wie
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Jn Wahrheit, Bruder, ich bin der abſcheu-
lichſte Boͤſewicht geweſen: und wenn ich alle mei-
ne Handlungen gegen dieſen Engel von einem
Frauenzimmer, und an ihr die Froͤmmigkeit, das
liebreiche Herz, den Verſtand, die Schoͤnheit, wel-
che ich verſtoͤren geholfen, und das Gute, deſſen
ich die Welt, als ein Werzeug, eben dadurch be-
raubet habe, wohl uͤberlege; ſo kann ich das Ver-
dammungsurtheil uͤber mich ſelbſt ſprechen. Wie
kann ich denn ſonſt irgendwo Gnade erwarten!
Jch glaube, ich werde keine Gedult mit Euch
haben, wenn ich Euch ſehe. Eure verdammte
Stiche und Anmerkungen haben mir beynahe den
Kopf verruͤckt.
Allein hier, ſagt man mir, iſt der Lord M.
gekommen! ‒ ‒ Der Henker hohle ihn, und die,
welche nach ihm geſchickt haben!
Jch weiß nicht, was ich geſchrieben habe!
Aber ihr liebes Herz, und eine Locke von ihren
Haaren will ich haben: es widerſpreche auch,
wer da wolle. Denn iſt ſie nicht die meinige?
Weſſen kann ſie ſonſt ſeyn? Sie hat keinen Va-
ter noch Mutter, keine Schweſter, keinen Bruder,
keine Anverwandten außer mir. Und meine Ge-
liebte iſt die meinige; und ich der ihrige: und
das iſt genug ‒ ‒ Aber ach!
Es iſt ſehon aus mit ihr! des Todes Dampf und Nacht
Hat ſie ganz ausgeloͤſcht! Die Lippen ſind vermacht;
Die von dem Ambraduft ſo anmuthreiche Thuͤren;
Die wird kein Lebenshauch durch Aufthun wieder
ruͤhren.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 535. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/541>, abgerufen am 22.11.2024.
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