hen, ehe sie ein Engel ward? - - Da ich den freundschaftlichen Besuch, nach welchem mein Herz sich sehnte, immer aufschob, und mich gar zu leicht ihn aufzuschieben bereden ließ: was für Kummer wird mir diese Betrachtung ma- chen! - - O meine gepriesne Freundinn! Wer weiß, wenn ich beyzeiten gekommen wäre, was meine herzlichen Tröstungen für dich ausgerichtet haben möchten.
Aber - - Hier sahe sie um sich herum, als wenn sie jemand von der Familie zu sehen fürch- tete - - Noch einmal einen Kuß, mein Engel, meine Freundinn, meine stets bedaurenswürdige verlohrne Gespielinn! Und so laß mich dieß ver- haßte Haus fliehen, das mir niemals anders, als um deinetwillen lieb gewesen ist! - - Lebe dann wohl, meine liebste Clarissa! - - Du bist glück- lich, daran zweifle ich nicht, wie du mich in mei- nem letzten Briefe versichertest! - - O daß wir uns doch wieder finden und mit einander freuen mögen, wo keine Lovelacen, keine verhärtete Verwandten jemals unsere Unschuld verletzen, oder unsere Glückseligkeit stören werden!
Hiemit schwieg sie wieder stille, und war nicht im Stande wegzugehen, ob sie es gleich willens zu seyn schien. Sie hatte mit ihrer Traurigkeit zu streiten und keuchte vor Angst. Endlich strömte zu gutem Glück eine Fluth von Thränen aus ihren Augen - - Nun! - - Nun! - sprach sie - - wird mir, - - wird mir - - leichter werden. Wäre mir nicht diese angenehme Er-
leich-
Siebenter Theil. P p
hen, ehe ſie ein Engel ward? ‒ ‒ Da ich den freundſchaftlichen Beſuch, nach welchem mein Herz ſich ſehnte, immer aufſchob, und mich gar zu leicht ihn aufzuſchieben bereden ließ: was fuͤr Kummer wird mir dieſe Betrachtung ma- chen! ‒ ‒ O meine gepriesne Freundinn! Wer weiß, wenn ich beyzeiten gekommen waͤre, was meine herzlichen Troͤſtungen fuͤr dich ausgerichtet haben moͤchten.
Aber ‒ ‒ Hier ſahe ſie um ſich herum, als wenn ſie jemand von der Familie zu ſehen fuͤrch- tete ‒ ‒ Noch einmal einen Kuß, mein Engel, meine Freundinn, meine ſtets bedaurenswuͤrdige verlohrne Geſpielinn! Und ſo laß mich dieß ver- haßte Haus fliehen, das mir niemals anders, als um deinetwillen lieb geweſen iſt! ‒ ‒ Lebe dann wohl, meine liebſte Clariſſa! ‒ ‒ Du biſt gluͤck- lich, daran zweifle ich nicht, wie du mich in mei- nem letzten Briefe verſicherteſt! ‒ ‒ O daß wir uns doch wieder finden und mit einander freuen moͤgen, wo keine Lovelacen, keine verhaͤrtete Verwandten jemals unſere Unſchuld verletzen, oder unſere Gluͤckſeligkeit ſtoͤren werden!
Hiemit ſchwieg ſie wieder ſtille, und war nicht im Stande wegzugehen, ob ſie es gleich willens zu ſeyn ſchien. Sie hatte mit ihrer Traurigkeit zu ſtreiten und keuchte vor Angſt. Endlich ſtroͤmte zu gutem Gluͤck eine Fluth von Thraͤnen aus ihren Augen ‒ ‒ Nun! ‒ ‒ Nun! ‒ ſprach ſie ‒ ‒ wird mir, ‒ ‒ wird mir ‒ ‒ leichter werden. Waͤre mir nicht dieſe angenehme Er-
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hen, ehe ſie ein Engel ward? ‒ ‒ Da ich den
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Herz ſich ſehnte, immer aufſchob, und mich gar
zu leicht ihn aufzuſchieben bereden ließ: was
fuͤr Kummer wird mir dieſe Betrachtung ma-
chen! ‒ ‒ O meine gepriesne Freundinn! Wer
weiß, wenn ich beyzeiten gekommen waͤre, was
meine herzlichen Troͤſtungen fuͤr dich ausgerichtet
haben moͤchten.
Aber ‒ ‒ Hier ſahe ſie um ſich herum, als
wenn ſie jemand von der Familie zu ſehen fuͤrch-
tete ‒ ‒ Noch einmal einen Kuß, mein Engel,
meine Freundinn, meine ſtets bedaurenswuͤrdige
verlohrne Geſpielinn! Und ſo laß mich dieß ver-
haßte Haus fliehen, das mir niemals anders, als
um deinetwillen lieb geweſen iſt! ‒ ‒ Lebe dann
wohl, meine liebſte Clariſſa! ‒ ‒ Du biſt gluͤck-
lich, daran zweifle ich nicht, wie du mich in mei-
nem letzten Briefe verſicherteſt! ‒ ‒ O daß wir
uns doch wieder finden und mit einander freuen
moͤgen, wo keine Lovelacen, keine verhaͤrtete
Verwandten jemals unſere Unſchuld verletzen,
oder unſere Gluͤckſeligkeit ſtoͤren werden!
Hiemit ſchwieg ſie wieder ſtille, und war nicht
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zu ſeyn ſchien. Sie hatte mit ihrer Traurigkeit
zu ſtreiten und keuchte vor Angſt. Endlich
ſtroͤmte zu gutem Gluͤck eine Fluth von Thraͤnen
aus ihren Augen ‒ ‒ Nun! ‒ ‒ Nun! ‒ ſprach
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 593. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/599>, abgerufen am 22.11.2024.
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