Wie kränkt sich mein Herz, wenn ich auf das zurücksehe, was ich gewesen bin. Die Sonne und alles Vergnügen war mir versaget. Alle, die zu mir kamen, waren geringe Leute, die auf den Zehen gingen und mir aufwarteten. Selbst diese schleichende Sklaven naheten sich nicht an- ders als zu gewissen Zeiten zu mir, und waren mit Töpfen, medicinischen Bissen und hauptstärken- den Tränken versehen, bestellten bey mir, was ih- nen befohlen war, mit verhaßtem Zischeln, und antworteten andern abgeschmackten Leuten, die sich erkundigten, wie ich mich befände und wie ich ih- re verfluchte Tränke einnähme, und dieß noch da- zu alles mit Zischeln. Was für ein verfluchtes stilles Leben war das! - - Nichts war wirksam und lebendig in mir oder um mich herum, als nur der Wurm, der niemals stirbt.
Jch eile wiederum das Angedenken solcher betrübten Aufzüge, die sich bisweilen mir wider meinen Willen darstellen werden, zu unter- drücken.
Lebe wohl, Belford!
Aber schicke mir meinen letzten Brief wieder, und baue nichts auf dessen Jnhalt. Jch muß, ich will, ich habe schon dieses finstere und ver- gebliche Trauren überwunden. Meine Natur erhohlet sich und wird mir zu Gefallen immer stärker und stärker. Einen Seufzer ausgenom- men, der dann und wann dem Gedächtnisse mei- ner herzlich Geliebten als ein Zoll abzutragen ist, habe ich Hoffnung, daß ich gar bald wieder seyn
werde,
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Wie kraͤnkt ſich mein Herz, wenn ich auf das zuruͤckſehe, was ich geweſen bin. Die Sonne und alles Vergnuͤgen war mir verſaget. Alle, die zu mir kamen, waren geringe Leute, die auf den Zehen gingen und mir aufwarteten. Selbſt dieſe ſchleichende Sklaven naheten ſich nicht an- ders als zu gewiſſen Zeiten zu mir, und waren mit Toͤpfen, mediciniſchen Biſſen und hauptſtaͤrken- den Traͤnken verſehen, beſtellten bey mir, was ih- nen befohlen war, mit verhaßtem Ziſcheln, und antworteten andern abgeſchmackten Leuten, die ſich erkundigten, wie ich mich befaͤnde und wie ich ih- re verfluchte Traͤnke einnaͤhme, und dieß noch da- zu alles mit Ziſcheln. Was fuͤr ein verfluchtes ſtilles Leben war das! ‒ ‒ Nichts war wirkſam und lebendig in mir oder um mich herum, als nur der Wurm, der niemals ſtirbt.
Jch eile wiederum das Angedenken ſolcher betruͤbten Aufzuͤge, die ſich bisweilen mir wider meinen Willen darſtellen werden, zu unter- druͤcken.
Lebe wohl, Belford!
Aber ſchicke mir meinen letzten Brief wieder, und baue nichts auf deſſen Jnhalt. Jch muß, ich will, ich habe ſchon dieſes finſtere und ver- gebliche Trauren uͤberwunden. Meine Natur erhohlet ſich und wird mir zu Gefallen immer ſtaͤrker und ſtaͤrker. Einen Seufzer ausgenom- men, der dann und wann dem Gedaͤchtniſſe mei- ner herzlich Geliebten als ein Zoll abzutragen iſt, habe ich Hoffnung, daß ich gar bald wieder ſeyn
werde,
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Wie kraͤnkt ſich mein Herz, wenn ich auf das
zuruͤckſehe, was ich geweſen bin. Die Sonne
und alles Vergnuͤgen war mir verſaget. Alle,
die zu mir kamen, waren geringe Leute, die auf
den Zehen gingen und mir aufwarteten. Selbſt
dieſe ſchleichende Sklaven naheten ſich nicht an-
ders als zu gewiſſen Zeiten zu mir, und waren mit
Toͤpfen, mediciniſchen Biſſen und hauptſtaͤrken-
den Traͤnken verſehen, beſtellten bey mir, was ih-
nen befohlen war, mit verhaßtem Ziſcheln, und
antworteten andern abgeſchmackten Leuten, die ſich
erkundigten, wie ich mich befaͤnde und wie ich ih-
re verfluchte Traͤnke einnaͤhme, und dieß noch da-
zu alles mit Ziſcheln. Was fuͤr ein verfluchtes
ſtilles Leben war das! ‒ ‒ Nichts war wirkſam
und lebendig in mir oder um mich herum, als nur
der Wurm, der niemals ſtirbt.
Jch eile wiederum das Angedenken ſolcher
betruͤbten Aufzuͤge, die ſich bisweilen mir wider
meinen Willen darſtellen werden, zu unter-
druͤcken.
Lebe wohl, Belford!
Aber ſchicke mir meinen letzten Brief wieder,
und baue nichts auf deſſen Jnhalt. Jch muß,
ich will, ich habe ſchon dieſes finſtere und ver-
gebliche Trauren uͤberwunden. Meine Natur
erhohlet ſich und wird mir zu Gefallen immer
ſtaͤrker und ſtaͤrker. Einen Seufzer ausgenom-
men, der dann und wann dem Gedaͤchtniſſe mei-
ner herzlich Geliebten als ein Zoll abzutragen iſt,
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werde,
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 691. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/697>, abgerufen am 22.11.2024.
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