Nun muß bald alles mit ihm vorüber seyn. Der arme! arme Kerl! Er hat mir einen und den andern Wink von dem, was er sagen wollte, gegeben: aber alles war ohne Zusammenhang, und ward durch Schlucken und Zuckungen, wie bey einem Sterbenden, unterbrochen.
Arg genug muß es seyn, das weiß der Him- mel, nach dem, was ich herausbringen kann. Ach! Lovelace, ich fürchte, ich fürchte, er ist zu frühe zu seines Onkels Gut gekommen.
Wenn ein Mensch beständig leben sollte: so möchte er noch einige Versuchung haben, schänd- liche Dinge zu verüben, damit er sich, wie es als- denn seyn würde, eine immerwährende Ge- mächlichkeit, einen immerwährenden Vorrath oder Ueberfluß verschaffete. Allein um zehn, zwanzig, dreyßig Jahre willen, die er in einem elenden Leben zubringt, ein Bösewicht zu seyn - - kann sich das wohl der Mühe verlohnen? Und noch dazu mit einem beständig nagenden Gewis- sen, und, wenn er zur Ueberlegung kömmt, mit so ängstlich quälenden Gedanken über seine begangne Sünde! Wenn alsdenn alles, wie nichts, scheinet; alles, was er am höchsten schätzte, ihm am mei- sten zuwider ist; und er sich nicht das geringste zu erinnern hat, wie der arme Kerl wohl zwanzig und abermal zwanzig mal sagt, als was mit Angst und harten Vorwürfen verbunden ist.
Wenn man den armen Menschen wünschen höret, daß er niemals gebohren wäre; wenn man
ihn
Um ein Uhr, fruͤhe.
Nun muß bald alles mit ihm voruͤber ſeyn. Der arme! arme Kerl! Er hat mir einen und den andern Wink von dem, was er ſagen wollte, gegeben: aber alles war ohne Zuſammenhang, und ward durch Schlucken und Zuckungen, wie bey einem Sterbenden, unterbrochen.
Arg genug muß es ſeyn, das weiß der Him- mel, nach dem, was ich herausbringen kann. Ach! Lovelace, ich fuͤrchte, ich fuͤrchte, er iſt zu fruͤhe zu ſeines Onkels Gut gekommen.
Wenn ein Menſch beſtaͤndig leben ſollte: ſo moͤchte er noch einige Verſuchung haben, ſchaͤnd- liche Dinge zu veruͤben, damit er ſich, wie es als- denn ſeyn wuͤrde, eine immerwaͤhrende Ge- maͤchlichkeit, einen immerwaͤhrenden Vorrath oder Ueberfluß verſchaffete. Allein um zehn, zwanzig, dreyßig Jahre willen, die er in einem elenden Leben zubringt, ein Boͤſewicht zu ſeyn ‒ ‒ kann ſich das wohl der Muͤhe verlohnen? Und noch dazu mit einem beſtaͤndig nagenden Gewiſ- ſen, und, wenn er zur Ueberlegung koͤmmt, mit ſo aͤngſtlich quaͤlenden Gedanken uͤber ſeine begangne Suͤnde! Wenn alsdenn alles, wie nichts, ſcheinet; alles, was er am hoͤchſten ſchaͤtzte, ihm am mei- ſten zuwider iſt; und er ſich nicht das geringſte zu erinnern hat, wie der arme Kerl wohl zwanzig und abermal zwanzig mal ſagt, als was mit Angſt und harten Vorwuͤrfen verbunden iſt.
Wenn man den armen Menſchen wuͤnſchen hoͤret, daß er niemals gebohren waͤre; wenn man
ihn
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Um ein Uhr, fruͤhe.
Nun muß bald alles mit ihm voruͤber ſeyn. Der
arme! arme Kerl! Er hat mir einen und
den andern Wink von dem, was er ſagen wollte,
gegeben: aber alles war ohne Zuſammenhang,
und ward durch Schlucken und Zuckungen, wie
bey einem Sterbenden, unterbrochen.
Arg genug muß es ſeyn, das weiß der Him-
mel, nach dem, was ich herausbringen kann.
Ach! Lovelace, ich fuͤrchte, ich fuͤrchte, er iſt zu
fruͤhe zu ſeines Onkels Gut gekommen.
Wenn ein Menſch beſtaͤndig leben ſollte: ſo
moͤchte er noch einige Verſuchung haben, ſchaͤnd-
liche Dinge zu veruͤben, damit er ſich, wie es als-
denn ſeyn wuͤrde, eine immerwaͤhrende Ge-
maͤchlichkeit, einen immerwaͤhrenden Vorrath
oder Ueberfluß verſchaffete. Allein um zehn,
zwanzig, dreyßig Jahre willen, die er in einem
elenden Leben zubringt, ein Boͤſewicht zu ſeyn ‒ ‒
kann ſich das wohl der Muͤhe verlohnen? Und
noch dazu mit einem beſtaͤndig nagenden Gewiſ-
ſen, und, wenn er zur Ueberlegung koͤmmt, mit ſo
aͤngſtlich quaͤlenden Gedanken uͤber ſeine begangne
Suͤnde! Wenn alsdenn alles, wie nichts, ſcheinet;
alles, was er am hoͤchſten ſchaͤtzte, ihm am mei-
ſten zuwider iſt; und er ſich nicht das geringſte
zu erinnern hat, wie der arme Kerl wohl zwanzig
und abermal zwanzig mal ſagt, als was mit Angſt
und harten Vorwuͤrfen verbunden iſt.
Wenn man den armen Menſchen wuͤnſchen
hoͤret, daß er niemals gebohren waͤre; wenn man
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/70>, abgerufen am 21.11.2024.
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