Da ich unter diesen Umständen bin, mein Herr: so erwägen Sie, wie schwer es für mich sey an das Heyrathen zu gedenken. So oft uns etwas gefällt; können wir hundert gute Gründe finden, unsern Geschmack daran zu rechtfertigen: so oft uns aber etwas misfällt, können wir wohl tausend Gründe finden, unser Misfallen zu recht- fertigen. Alles und jedes ist in dem letzten Falle ein Hinderniß: ein jeder Schatten ist ein Schreck- bild - - Auf die Art kann ich vielleicht bloß eingebildete Beschwerden erzählen und vergrö- ßern. "Jch müßte gehen, wohin er haben woll- "te: ich müßte besuchen, wen er haben wollte. "So gern ich schreibe; wiewohl itzo leider! meine "große Reizung zum Schreiben vorbey ist: so "müßte es an niemand geschehen, als an wem es "ihm beliebte." Und Herr Hickmann, der, wie Fräulein Howe, nichts böses thun kann, würde schwerlich jemals im Stande seyn, gutes zu thun. So kehret sich dann das Blatt wider mich um, und ich werde meines angelobten Gehorsams, den ich gebrochen, erinnert: ich werde vielleicht zu der ehelichen Vollkommenheit trotzig ermahnet; und vielleicht wird aller Krieg, der im Ehestande vor- zufallen pflegte, auf eine tröstliche Art zwischen uns beyden geführet; denn ich werde mich unter einer ungestümen Begegnung nicht leidend ver- halten: bis wir uns einander zum Fluch, unsern Nachbarn zu einem Sprichwort und unsern eige- nen Bedienten zu einem Spotte werden.
Allein
Da ich unter dieſen Umſtaͤnden bin, mein Herr: ſo erwaͤgen Sie, wie ſchwer es fuͤr mich ſey an das Heyrathen zu gedenken. So oft uns etwas gefaͤllt; koͤnnen wir hundert gute Gruͤnde finden, unſern Geſchmack daran zu rechtfertigen: ſo oft uns aber etwas misfaͤllt, koͤnnen wir wohl tauſend Gruͤnde finden, unſer Misfallen zu recht- fertigen. Alles und jedes iſt in dem letzten Falle ein Hinderniß: ein jeder Schatten iſt ein Schreck- bild ‒ ‒ Auf die Art kann ich vielleicht bloß eingebildete Beſchwerden erzaͤhlen und vergroͤ- ßern. „Jch muͤßte gehen, wohin er haben woll- „te: ich muͤßte beſuchen, wen er haben wollte. „So gern ich ſchreibe; wiewohl itzo leider! meine „große Reizung zum Schreiben vorbey iſt: ſo „muͤßte es an niemand geſchehen, als an wem es „ihm beliebte.“ Und Herr Hickmann, der, wie Fraͤulein Howe, nichts boͤſes thun kann, wuͤrde ſchwerlich jemals im Stande ſeyn, gutes zu thun. So kehret ſich dann das Blatt wider mich um, und ich werde meines angelobten Gehorſams, den ich gebrochen, erinnert: ich werde vielleicht zu der ehelichen Vollkommenheit trotzig ermahnet; und vielleicht wird aller Krieg, der im Eheſtande vor- zufallen pflegte, auf eine troͤſtliche Art zwiſchen uns beyden gefuͤhret; denn ich werde mich unter einer ungeſtuͤmen Begegnung nicht leidend ver- halten: bis wir uns einander zum Fluch, unſern Nachbarn zu einem Sprichwort und unſern eige- nen Bedienten zu einem Spotte werden.
Allein
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Da ich unter dieſen Umſtaͤnden bin, mein
Herr: ſo erwaͤgen Sie, wie ſchwer es fuͤr mich
ſey an das Heyrathen zu gedenken. So oft uns
etwas gefaͤllt; koͤnnen wir hundert gute Gruͤnde
finden, unſern Geſchmack daran zu rechtfertigen:
ſo oft uns aber etwas misfaͤllt, koͤnnen wir wohl
tauſend Gruͤnde finden, unſer Misfallen zu recht-
fertigen. Alles und jedes iſt in dem letzten Falle
ein Hinderniß: ein jeder Schatten iſt ein Schreck-
bild ‒ ‒ Auf die Art kann ich vielleicht bloß
eingebildete Beſchwerden erzaͤhlen und vergroͤ-
ßern. „Jch muͤßte gehen, wohin er haben woll-
„te: ich muͤßte beſuchen, wen er haben wollte.
„So gern ich ſchreibe; wiewohl itzo leider! meine
„große Reizung zum Schreiben vorbey iſt: ſo
„muͤßte es an niemand geſchehen, als an wem es
„ihm beliebte.“ Und Herr Hickmann, der, wie
Fraͤulein Howe, nichts boͤſes thun kann, wuͤrde
ſchwerlich jemals im Stande ſeyn, gutes zu thun.
So kehret ſich dann das Blatt wider mich um,
und ich werde meines angelobten Gehorſams, den
ich gebrochen, erinnert: ich werde vielleicht zu der
ehelichen Vollkommenheit trotzig ermahnet; und
vielleicht wird aller Krieg, der im Eheſtande vor-
zufallen pflegte, auf eine troͤſtliche Art zwiſchen
uns beyden gefuͤhret; denn ich werde mich unter
einer ungeſtuͤmen Begegnung nicht leidend ver-
halten: bis wir uns einander zum Fluch, unſern
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 776. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/782>, abgerufen am 29.11.2024.
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