Ob ich gleich nicht glaubte, daß sie mir sol- ches zugestehen würde; (und wie wenig dachte sie wol, daß ich darin ohnedem so glücklich ge- wesen wäre!) so dachte ich doch, es könnte nicht schaden, darauf zu dringen; und zwar aus ver- schiedenen Ursachen. Unter andern, damit sie begreifen möchte, warum ich immer sitze und schreibe. Denn so wird sie ihren Argwohn fah- ren lassen, als wenn unser Briefwechsel über sie geführet würde; und wenn sie ihre Briefe geheim hält, so kann ich es rechtfertigen, daß ich ihr die meinigen auch nicht zeige.
Jch fuhr also fort. - - Jch liebte Briefe un- ter vertrauten Freunden, wie ich ihr schon oft gesagt hätte, mehr als alle andre Arten Schrif- ten. Das hiesse, aus dem Herzen schreiben, ohne die Fessel, welche Kunst und Regeln den Gedanken anlegen. Ja nicht das Herz al- lein, die ganze Seele zeigte sich in den Brie- fen. Nichts vom Körper, wenn ein Freund dem andern schreibt, weil die Seele den Fin- gern, als ihren Vasallen unumschränkt gebie- tet. Das hiessen Documente der Freundschaft; Versicherungen der Freundschaft unter Hand und Siegel; Beweise, daß beide Theile nicht fürchteten, sich durch die Länge der Zeit, oder durch irgend ein Schicksal zu verändern, weil sie so häufige Zeugnisse von sich stellten, die im Fall einer Untreue, oder Verletzung der Freund- schaft, allezeit gegen sie gebraucht werden könn- ten. Für mich wäre es in ihrer Abwesen-
heit
Ob ich gleich nicht glaubte, daß ſie mir ſol- ches zugeſtehen wuͤrde; (und wie wenig dachte ſie wol, daß ich darin ohnedem ſo gluͤcklich ge- weſen waͤre!) ſo dachte ich doch, es koͤnnte nicht ſchaden, darauf zu dringen; und zwar aus ver- ſchiedenen Urſachen. Unter andern, damit ſie begreifen moͤchte, warum ich immer ſitze und ſchreibe. Denn ſo wird ſie ihren Argwohn fah- ren laſſen, als wenn unſer Briefwechſel uͤber ſie gefuͤhret wuͤrde; und wenn ſie ihre Briefe geheim haͤlt, ſo kann ich es rechtfertigen, daß ich ihr die meinigen auch nicht zeige.
Jch fuhr alſo fort. ‒ ‒ Jch liebte Briefe un- ter vertrauten Freunden, wie ich ihr ſchon oft geſagt haͤtte, mehr als alle andre Arten Schrif- ten. Das hieſſe, aus dem Herzen ſchreiben, ohne die Feſſel, welche Kunſt und Regeln den Gedanken anlegen. Ja nicht das Herz al- lein, die ganze Seele zeigte ſich in den Brie- fen. Nichts vom Koͤrper, wenn ein Freund dem andern ſchreibt, weil die Seele den Fin- gern, als ihren Vaſallen unumſchraͤnkt gebie- tet. Das hieſſen Documente der Freundſchaft; Verſicherungen der Freundſchaft unter Hand und Siegel; Beweiſe, daß beide Theile nicht fuͤrchteten, ſich durch die Laͤnge der Zeit, oder durch irgend ein Schickſal zu veraͤndern, weil ſie ſo haͤufige Zeugniſſe von ſich ſtellten, die im Fall einer Untreue, oder Verletzung der Freund- ſchaft, allezeit gegen ſie gebraucht werden koͤnn- ten. Fuͤr mich waͤre es in ihrer Abweſen-
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Ob ich gleich nicht glaubte, daß ſie mir ſol-
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ſie wol, daß ich darin ohnedem ſo gluͤcklich ge-
weſen waͤre!) ſo dachte ich doch, es koͤnnte nicht
ſchaden, darauf zu dringen; und zwar aus ver-
ſchiedenen Urſachen. Unter andern, damit ſie
begreifen moͤchte, warum ich immer ſitze und
ſchreibe. Denn ſo wird ſie ihren Argwohn fah-
ren laſſen, als wenn unſer Briefwechſel uͤber
ſie gefuͤhret wuͤrde; und wenn ſie ihre Briefe
geheim haͤlt, ſo kann ich es rechtfertigen, daß
ich ihr die meinigen auch nicht zeige.
Jch fuhr alſo fort. ‒ ‒ Jch liebte Briefe un-
ter vertrauten Freunden, wie ich ihr ſchon oft
geſagt haͤtte, mehr als alle andre Arten Schrif-
ten. Das hieſſe, aus dem Herzen ſchreiben,
ohne die Feſſel, welche Kunſt und Regeln den
Gedanken anlegen. Ja nicht das Herz al-
lein, die ganze Seele zeigte ſich in den Brie-
fen. Nichts vom Koͤrper, wenn ein Freund
dem andern ſchreibt, weil die Seele den Fin-
gern, als ihren Vaſallen unumſchraͤnkt gebie-
tet. Das hieſſen Documente der Freundſchaft;
Verſicherungen der Freundſchaft unter Hand
und Siegel; Beweiſe, daß beide Theile nicht
fuͤrchteten, ſich durch die Laͤnge der Zeit, oder
durch irgend ein Schickſal zu veraͤndern, weil
ſie ſo haͤufige Zeugniſſe von ſich ſtellten, die im
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753/192>, abgerufen am 24.11.2024.
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