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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753.

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mit er nichts zu schaffen hätte, und die vorhin
nie in ein weibliches Herz gekommen sei.

Jch fragte ihn, was er davon dächte, daß
sie von mir zu einer Zeit entflohen wäre, da
mich seine rechte Art von Liebe schon halb
bezwungen hatte? - - Dann zeigte ich ihm den
Brief, welchen sie schrieb, und für mich zurück
ließ, gewiß in der Absicht, mir das Herz durch-
aus zu brechen, oder mich zu reizen, daß ich
mich hängen, ersaufen, oder erschiessen sollte.
Nicht zu gedenken der Menge ihrer Erklärun-
gen, worin sie seiner Macht trotzete; und al-
les, was in ihrem Betragen gegen mich der
Liebe ähnlich sähe, der Verfolgung und Ver-
werfung ihrer Vewandten zuschriebe; wobei
sie mich nur als die letzte Triebfeder betrachtete.

Der Gott der Liebe gab sie also auf.
Der Brief, sagte er, verdiente weder Verzei-
hung noch Entschuldigung. Er hätte nicht
geglaubt, daß er sich eines so offenbaren Re-
bellen angenommen. Jm übrigen würde er an
den Rechten seiner Herrschaft zum Verräther
werden, wenn das, was ich angeführet, wahr
wäre, und er doch noch für sie sprechen wollte.

Jch schwur, es sei alles die lautere War-
heit. Und diesmal schwur ich die Warheit,
welches ich sonst vielleicht nicht allezeit thue.

Was denkest du nun, wird aus der Fräu-
lein werden, da der Gott der Liebe sie selbst
aufgiebt, und das Gewissen nicht für sie spre-
chen kann?

Th. V.
N 5



mit er nichts zu ſchaffen haͤtte, und die vorhin
nie in ein weibliches Herz gekommen ſei.

Jch fragte ihn, was er davon daͤchte, daß
ſie von mir zu einer Zeit entflohen waͤre, da
mich ſeine rechte Art von Liebe ſchon halb
bezwungen hatte? ‒ ‒ Dann zeigte ich ihm den
Brief, welchen ſie ſchrieb, und fuͤr mich zuruͤck
ließ, gewiß in der Abſicht, mir das Herz durch-
aus zu brechen, oder mich zu reizen, daß ich
mich haͤngen, erſaufen, oder erſchieſſen ſollte.
Nicht zu gedenken der Menge ihrer Erklaͤrun-
gen, worin ſie ſeiner Macht trotzete; und al-
les, was in ihrem Betragen gegen mich der
Liebe aͤhnlich ſaͤhe, der Verfolgung und Ver-
werfung ihrer Vewandten zuſchriebe; wobei
ſie mich nur als die letzte Triebfeder betrachtete.

Der Gott der Liebe gab ſie alſo auf.
Der Brief, ſagte er, verdiente weder Verzei-
hung noch Entſchuldigung. Er haͤtte nicht
geglaubt, daß er ſich eines ſo offenbaren Re-
bellen angenommen. Jm uͤbrigen wuͤrde er an
den Rechten ſeiner Herrſchaft zum Verraͤther
werden, wenn das, was ich angefuͤhret, wahr
waͤre, und er doch noch fuͤr ſie ſprechen wollte.

Jch ſchwur, es ſei alles die lautere War-
heit. Und diesmal ſchwur ich die Warheit,
welches ich ſonſt vielleicht nicht allezeit thue.

Was denkeſt du nun, wird aus der Fraͤu-
lein werden, da der Gott der Liebe ſie ſelbſt
aufgiebt, und das Gewiſſen nicht fuͤr ſie ſpre-
chen kann?

Th. V.
N 5
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[201/0209] mit er nichts zu ſchaffen haͤtte, und die vorhin nie in ein weibliches Herz gekommen ſei. Jch fragte ihn, was er davon daͤchte, daß ſie von mir zu einer Zeit entflohen waͤre, da mich ſeine rechte Art von Liebe ſchon halb bezwungen hatte? ‒ ‒ Dann zeigte ich ihm den Brief, welchen ſie ſchrieb, und fuͤr mich zuruͤck ließ, gewiß in der Abſicht, mir das Herz durch- aus zu brechen, oder mich zu reizen, daß ich mich haͤngen, erſaufen, oder erſchieſſen ſollte. Nicht zu gedenken der Menge ihrer Erklaͤrun- gen, worin ſie ſeiner Macht trotzete; und al- les, was in ihrem Betragen gegen mich der Liebe aͤhnlich ſaͤhe, der Verfolgung und Ver- werfung ihrer Vewandten zuſchriebe; wobei ſie mich nur als die letzte Triebfeder betrachtete. Der Gott der Liebe gab ſie alſo auf. Der Brief, ſagte er, verdiente weder Verzei- hung noch Entſchuldigung. Er haͤtte nicht geglaubt, daß er ſich eines ſo offenbaren Re- bellen angenommen. Jm uͤbrigen wuͤrde er an den Rechten ſeiner Herrſchaft zum Verraͤther werden, wenn das, was ich angefuͤhret, wahr waͤre, und er doch noch fuͤr ſie ſprechen wollte. Jch ſchwur, es ſei alles die lautere War- heit. Und diesmal ſchwur ich die Warheit, welches ich ſonſt vielleicht nicht allezeit thue. Was denkeſt du nun, wird aus der Fraͤu- lein werden, da der Gott der Liebe ſie ſelbſt aufgiebt, und das Gewiſſen nicht fuͤr ſie ſpre- chen kann? Th. V. N 5

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753/209>, abgerufen am 26.11.2024.