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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753.

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verstanden werden. So setzen sie sich hin, und
über die massen mit ihren Arbeiten zufrieden,
nennen sie solches eine männliche Schreibart.
Eine zweite Art schnappet nach dem Witze,
und lässet sich von diesem Bösewicht verführen,
allen Anspruch auf die Beurtheilungskraft
aufzugeben. Die dritte Art versinket in die
Grube der claßischen Schriftsteller,
wo
sie herumwühlen, und kratzen, ohne daß sie ih-
ren eignen Geist zu zeigen suchen. Jhr ganzes
Leben wird darauf verwand, die ausgesuchten
Stellen in ihre Fächer zu bringen. Sie sind
allein geschickt, über andrer Leute Texte, No-
ten
und Auslegungen zu schreiben. Kurz
ihr ganzer Stolz ist der, daß sie die Schönhei-
ten, welche vor zwei tausend Jahren gesagt sind,
in einer andern Sprache kennen, die sie in ih-
rer eignen nur bewundern, aber nicht nach-
ahmen
können.

Und das müssen wol warlich rechte Gelehr-
te,
und Verächter unsers abgeschmackten
Geschlechts seyn!

Jch habe nicht einmal nöthig, zu erwehnen,
daß meine geliebte Freundinn allezeit (so wie
ich auch thue) bei Männern von gesunder Ge-
lehrsamkeit, von gutem Geschmack, und erwei-
terten Fähigkeiten eine Ausnahme machte; be-
sonders, daß sie vor den Geistlichen eine Ach-
tung bezeugte, die bis zur Ehrerbiethung gieng;
wie man gewiß aus jeder Stelle ihrer Briefe
sehen wird, wo sie der Geistlichkeit Meldung

thut.



verſtanden werden. So ſetzen ſie ſich hin, und
uͤber die maſſen mit ihren Arbeiten zufrieden,
nennen ſie ſolches eine maͤnnliche Schreibart.
Eine zweite Art ſchnappet nach dem Witze,
und laͤſſet ſich von dieſem Boͤſewicht verfuͤhren,
allen Anſpruch auf die Beurtheilungskraft
aufzugeben. Die dritte Art verſinket in die
Grube der claßiſchen Schriftſteller,
wo
ſie herumwuͤhlen, und kratzen, ohne daß ſie ih-
ren eignen Geiſt zu zeigen ſuchen. Jhr ganzes
Leben wird darauf verwand, die ausgeſuchten
Stellen in ihre Faͤcher zu bringen. Sie ſind
allein geſchickt, uͤber andrer Leute Texte, No-
ten
und Auslegungen zu ſchreiben. Kurz
ihr ganzer Stolz iſt der, daß ſie die Schoͤnhei-
ten, welche vor zwei tauſend Jahren geſagt ſind,
in einer andern Sprache kennen, die ſie in ih-
rer eignen nur bewundern, aber nicht nach-
ahmen
koͤnnen.

Und das muͤſſen wol warlich rechte Gelehr-
te,
und Veraͤchter unſers abgeſchmackten
Geſchlechts ſeyn!

Jch habe nicht einmal noͤthig, zu erwehnen,
daß meine geliebte Freundinn allezeit (ſo wie
ich auch thue) bei Maͤnnern von geſunder Ge-
lehrſamkeit, von gutem Geſchmack, und erwei-
terten Faͤhigkeiten eine Ausnahme machte; be-
ſonders, daß ſie vor den Geiſtlichen eine Ach-
tung bezeugte, die bis zur Ehrerbiethung gieng;
wie man gewiß aus jeder Stelle ihrer Briefe
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[278/0286] verſtanden werden. So ſetzen ſie ſich hin, und uͤber die maſſen mit ihren Arbeiten zufrieden, nennen ſie ſolches eine maͤnnliche Schreibart. Eine zweite Art ſchnappet nach dem Witze, und laͤſſet ſich von dieſem Boͤſewicht verfuͤhren, allen Anſpruch auf die Beurtheilungskraft aufzugeben. Die dritte Art verſinket in die Grube der claßiſchen Schriftſteller, wo ſie herumwuͤhlen, und kratzen, ohne daß ſie ih- ren eignen Geiſt zu zeigen ſuchen. Jhr ganzes Leben wird darauf verwand, die ausgeſuchten Stellen in ihre Faͤcher zu bringen. Sie ſind allein geſchickt, uͤber andrer Leute Texte, No- ten und Auslegungen zu ſchreiben. Kurz ihr ganzer Stolz iſt der, daß ſie die Schoͤnhei- ten, welche vor zwei tauſend Jahren geſagt ſind, in einer andern Sprache kennen, die ſie in ih- rer eignen nur bewundern, aber nicht nach- ahmen koͤnnen. Und das muͤſſen wol warlich rechte Gelehr- te, und Veraͤchter unſers abgeſchmackten Geſchlechts ſeyn! Jch habe nicht einmal noͤthig, zu erwehnen, daß meine geliebte Freundinn allezeit (ſo wie ich auch thue) bei Maͤnnern von geſunder Ge- lehrſamkeit, von gutem Geſchmack, und erwei- terten Faͤhigkeiten eine Ausnahme machte; be- ſonders, daß ſie vor den Geiſtlichen eine Ach- tung bezeugte, die bis zur Ehrerbiethung gieng; wie man gewiß aus jeder Stelle ihrer Briefe ſehen wird, wo ſie der Geiſtlichkeit Meldung thut.

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753/286>, abgerufen am 22.11.2024.