gemacht worden, auf sein Erbieten seine Hand anzunehmen, und sich also genöthiget sahe, den Tag aufzuschieben, den sie nicht länger aufzu- schieben gedachte, bis sie wieder hergestellet wäre.
Sie sahen, mit gleichem Abscheu vor dem Lovelace, und ihrer eignen Grausamkeit, und mit der grössesten Bewundrung ihres Betra- gens: Daß ihre majestätische Tugend den ver- wegensten Geist in einer solchen Ehrfurcht ge- halten, daß er sich nicht unterstand, sein böses Vorhaben auszuführen, bis er vorher, durch gottlose Tränke, ihre Sinnen aufgeopfert hatte.
Aber wie beteten sie gewisser massen ihr Ge- dächtniß an! Wie überhäuften sie sich einer den andern mit Vorwürfen! da sie sahen, daß sie sich nicht allein gegen eine zweite Entehrung durch das ruhmwürdigste und unerschrockenste Bezeigen, zum Trotz und zur äussersten Beschä- mung seiner freigeisterischen Begriffe, geschützet, sondern auch den Muth besessen hatte, ihn be- ständig mit einer edlen Verachtung zu verwer- fen. - - Und wen? - - Und wie? - - So, daß der Mann, den sie ehedem hätte lieben können, auf seinen Knien um Vergebung flehete, und bat, daß sie ihm erlauben möchte, ihr die beste Erstattung zu leisten, die in seinem Vermögen stand, nemlich sie zu heirathen. Sein Ver- mögen war groß, und nicht verschwendet! Sie eine Zeitlang seine Gefangne in einem schändli- chen Hause! Von ihren Verwandten verwor- fen! nach einer wiederholten Bitte um Gnade
und
gemacht worden, auf ſein Erbieten ſeine Hand anzunehmen, und ſich alſo genoͤthiget ſahe, den Tag aufzuſchieben, den ſie nicht laͤnger aufzu- ſchieben gedachte, bis ſie wieder hergeſtellet waͤre.
Sie ſahen, mit gleichem Abſcheu vor dem Lovelace, und ihrer eignen Grauſamkeit, und mit der groͤſſeſten Bewundrung ihres Betra- gens: Daß ihre majeſtaͤtiſche Tugend den ver- wegenſten Geiſt in einer ſolchen Ehrfurcht ge- halten, daß er ſich nicht unterſtand, ſein boͤſes Vorhaben auszufuͤhren, bis er vorher, durch gottloſe Traͤnke, ihre Sinnen aufgeopfert hatte.
Aber wie beteten ſie gewiſſer maſſen ihr Ge- daͤchtniß an! Wie uͤberhaͤuften ſie ſich einer den andern mit Vorwuͤrfen! da ſie ſahen, daß ſie ſich nicht allein gegen eine zweite Entehrung durch das ruhmwuͤrdigſte und unerſchrockenſte Bezeigen, zum Trotz und zur aͤuſſerſten Beſchaͤ- mung ſeiner freigeiſteriſchen Begriffe, geſchuͤtzet, ſondern auch den Muth beſeſſen hatte, ihn be- ſtaͤndig mit einer edlen Verachtung zu verwer- fen. ‒ ‒ Und wen? ‒ ‒ Und wie? ‒ ‒ So, daß der Mann, den ſie ehedem haͤtte lieben koͤnnen, auf ſeinen Knien um Vergebung flehete, und bat, daß ſie ihm erlauben moͤchte, ihr die beſte Erſtattung zu leiſten, die in ſeinem Vermoͤgen ſtand, nemlich ſie zu heirathen. Sein Ver- moͤgen war groß, und nicht verſchwendet! Sie eine Zeitlang ſeine Gefangne in einem ſchaͤndli- chen Hauſe! Von ihren Verwandten verwor- fen! nach einer wiederholten Bitte um Gnade
und
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gemacht worden, auf ſein Erbieten ſeine Hand
anzunehmen, und ſich alſo genoͤthiget ſahe, den
Tag aufzuſchieben, den ſie nicht laͤnger aufzu-
ſchieben gedachte, bis ſie wieder hergeſtellet waͤre.
Sie ſahen, mit gleichem Abſcheu vor dem
Lovelace, und ihrer eignen Grauſamkeit, und
mit der groͤſſeſten Bewundrung ihres Betra-
gens: Daß ihre majeſtaͤtiſche Tugend den ver-
wegenſten Geiſt in einer ſolchen Ehrfurcht ge-
halten, daß er ſich nicht unterſtand, ſein boͤſes
Vorhaben auszufuͤhren, bis er vorher, durch
gottloſe Traͤnke, ihre Sinnen aufgeopfert hatte.
Aber wie beteten ſie gewiſſer maſſen ihr Ge-
daͤchtniß an! Wie uͤberhaͤuften ſie ſich einer den
andern mit Vorwuͤrfen! da ſie ſahen, daß ſie
ſich nicht allein gegen eine zweite Entehrung
durch das ruhmwuͤrdigſte und unerſchrockenſte
Bezeigen, zum Trotz und zur aͤuſſerſten Beſchaͤ-
mung ſeiner freigeiſteriſchen Begriffe, geſchuͤtzet,
ſondern auch den Muth beſeſſen hatte, ihn be-
ſtaͤndig mit einer edlen Verachtung zu verwer-
fen. ‒ ‒ Und wen? ‒ ‒ Und wie? ‒ ‒ So, daß
der Mann, den ſie ehedem haͤtte lieben koͤnnen,
auf ſeinen Knien um Vergebung flehete, und
bat, daß ſie ihm erlauben moͤchte, ihr die beſte
Erſtattung zu leiſten, die in ſeinem Vermoͤgen
ſtand, nemlich ſie zu heirathen. Sein Ver-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753/314>, abgerufen am 17.06.2024.
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