Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753.

Bild:
<< vorherige Seite



"genug Elend in der Welt, ohne daß wir nö-
"thig hätten, das Traurige mit in unsre Ver-
"gnügungen zu mengen, und fremdes Elend zu
"dem unsrigen zu machen."

Und wie hätte dieser glückliche Ausgang kön-
nen veranstaltet werden? Nichts ist leichter zu
erfinden, da es schon von andern Schriftstel-
lern dieser Art genug gebraucht worden. Lo-
velace
hätte sich nur bekehren, und die Clarissa
heirathen dürfen. - - Man dürfte deswegen,
und zwar zum Vergnügen der zärtlichgesinn-
ten Leserinnen, keine von ihren Versuchungen
oder von ihren Leiden weglassen, die letzte Ent-
ehrung ausgenommen. Denn damit hätte
man sie, theils den Lovelace nicht gar zu ab-
scheulich vorzustellen, theils weil die Delicateße
dadurch beleidigt würde, gerne verschonet.

Allein dies Werk mag für ein Schicksal er-
leben, was es will, so war der Verfasser doch
entschlossen, einen andern Weg zu gehen. Er
hat immer dafür gehalten, daß plötzliche Be-
kehrungen,
vornemlich solche, wo man es der
Aufrichtigkeit des Lesers überläßt, ob er sie
glauben und rechtfertigen will, weder Kunst,
noch Natur, noch Warscheinlichkeit hät-
ten, und überdem ein böses Veispiel gäben. Er
konnte sich mit dem Gedanken nicht vertragen,
daß ein Lovelace eine Reihe von Jahren in
seiner Bosheit triumphiren, und denken sollte,
er hätte weiter nichts zu thun, als, gleichsam
aus Gnaden und Gutheit, seine Hand hinzuhal-

ten,



„genug Elend in der Welt, ohne daß wir noͤ-
„thig haͤtten, das Traurige mit in unſre Ver-
„gnuͤgungen zu mengen, und fremdes Elend zu
„dem unſrigen zu machen.”

Und wie haͤtte dieſer gluͤckliche Ausgang koͤn-
nen veranſtaltet werden? Nichts iſt leichter zu
erfinden, da es ſchon von andern Schriftſtel-
lern dieſer Art genug gebraucht worden. Lo-
velace
haͤtte ſich nur bekehren, und die Clariſſa
heirathen duͤrfen. ‒ ‒ Man duͤrfte deswegen,
und zwar zum Vergnuͤgen der zaͤrtlichgeſinn-
ten Leſerinnen, keine von ihren Verſuchungen
oder von ihren Leiden weglaſſen, die letzte Ent-
ehrung ausgenommen. Denn damit haͤtte
man ſie, theils den Lovelace nicht gar zu ab-
ſcheulich vorzuſtellen, theils weil die Delicateße
dadurch beleidigt wuͤrde, gerne verſchonet.

Allein dies Werk mag fuͤr ein Schickſal er-
leben, was es will, ſo war der Verfaſſer doch
entſchloſſen, einen andern Weg zu gehen. Er
hat immer dafuͤr gehalten, daß ploͤtzliche Be-
kehrungen,
vornemlich ſolche, wo man es der
Aufrichtigkeit des Leſers uͤberlaͤßt, ob er ſie
glauben und rechtfertigen will, weder Kunſt,
noch Natur, noch Warſcheinlichkeit haͤt-
ten, und uͤberdem ein boͤſes Veiſpiel gaͤben. Er
konnte ſich mit dem Gedanken nicht vertragen,
daß ein Lovelace eine Reihe von Jahren in
ſeiner Bosheit triumphiren, und denken ſollte,
er haͤtte weiter nichts zu thun, als, gleichſam
aus Gnaden und Gutheit, ſeine Hand hinzuhal-

ten,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0343" n="335"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
&#x201E;genug Elend in der Welt, ohne daß wir no&#x0364;-<lb/>
&#x201E;thig ha&#x0364;tten, das Traurige mit in un&#x017F;re Ver-<lb/>
&#x201E;gnu&#x0364;gungen zu mengen, und fremdes Elend zu<lb/>
&#x201E;dem un&#x017F;rigen zu machen.&#x201D;</p><lb/>
          <p>Und wie ha&#x0364;tte die&#x017F;er glu&#x0364;ckliche Ausgang ko&#x0364;n-<lb/>
nen veran&#x017F;taltet werden? Nichts i&#x017F;t leichter zu<lb/>
erfinden, da es &#x017F;chon von andern Schrift&#x017F;tel-<lb/>
lern die&#x017F;er Art genug gebraucht worden. <hi rendition="#fr">Lo-<lb/>
velace</hi> ha&#x0364;tte &#x017F;ich nur bekehren, und die <hi rendition="#fr">Clari&#x017F;&#x017F;a</hi><lb/>
heirathen du&#x0364;rfen. &#x2012; &#x2012; Man du&#x0364;rfte deswegen,<lb/>
und zwar zum Vergnu&#x0364;gen der za&#x0364;rtlichge&#x017F;inn-<lb/>
ten Le&#x017F;erinnen, keine von ihren Ver&#x017F;uchungen<lb/>
oder von ihren Leiden wegla&#x017F;&#x017F;en, die letzte Ent-<lb/>
ehrung ausgenommen. Denn damit ha&#x0364;tte<lb/>
man &#x017F;ie, theils den <hi rendition="#fr">Lovelace</hi> nicht gar zu ab-<lb/>
&#x017F;cheulich vorzu&#x017F;tellen, theils weil die Delicateße<lb/>
dadurch beleidigt wu&#x0364;rde, gerne ver&#x017F;chonet.</p><lb/>
          <p>Allein dies Werk mag fu&#x0364;r ein Schick&#x017F;al er-<lb/>
leben, was es will, &#x017F;o war der Verfa&#x017F;&#x017F;er doch<lb/>
ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, <hi rendition="#fr">einen andern Weg</hi> zu gehen. Er<lb/>
hat immer dafu&#x0364;r gehalten, daß <hi rendition="#fr">plo&#x0364;tzliche Be-<lb/>
kehrungen,</hi> vornemlich &#x017F;olche, wo man es der<lb/>
Aufrichtigkeit des Le&#x017F;ers u&#x0364;berla&#x0364;ßt, ob er &#x017F;ie<lb/>
glauben und rechtfertigen will, weder <hi rendition="#fr">Kun&#x017F;t,</hi><lb/>
noch <hi rendition="#fr">Natur,</hi> noch <hi rendition="#fr">War&#x017F;cheinlichkeit</hi> ha&#x0364;t-<lb/>
ten, und u&#x0364;berdem ein <hi rendition="#fr">bo&#x0364;&#x017F;es</hi> Vei&#x017F;piel ga&#x0364;ben. Er<lb/>
konnte &#x017F;ich mit dem Gedanken nicht vertragen,<lb/>
daß ein <hi rendition="#fr">Lovelace</hi> eine Reihe von Jahren in<lb/>
&#x017F;einer Bosheit triumphiren, und denken &#x017F;ollte,<lb/>
er ha&#x0364;tte weiter nichts zu thun, als, gleich&#x017F;am<lb/>
aus Gnaden und Gutheit, &#x017F;eine Hand hinzuhal-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ten,</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[335/0343] „genug Elend in der Welt, ohne daß wir noͤ- „thig haͤtten, das Traurige mit in unſre Ver- „gnuͤgungen zu mengen, und fremdes Elend zu „dem unſrigen zu machen.” Und wie haͤtte dieſer gluͤckliche Ausgang koͤn- nen veranſtaltet werden? Nichts iſt leichter zu erfinden, da es ſchon von andern Schriftſtel- lern dieſer Art genug gebraucht worden. Lo- velace haͤtte ſich nur bekehren, und die Clariſſa heirathen duͤrfen. ‒ ‒ Man duͤrfte deswegen, und zwar zum Vergnuͤgen der zaͤrtlichgeſinn- ten Leſerinnen, keine von ihren Verſuchungen oder von ihren Leiden weglaſſen, die letzte Ent- ehrung ausgenommen. Denn damit haͤtte man ſie, theils den Lovelace nicht gar zu ab- ſcheulich vorzuſtellen, theils weil die Delicateße dadurch beleidigt wuͤrde, gerne verſchonet. Allein dies Werk mag fuͤr ein Schickſal er- leben, was es will, ſo war der Verfaſſer doch entſchloſſen, einen andern Weg zu gehen. Er hat immer dafuͤr gehalten, daß ploͤtzliche Be- kehrungen, vornemlich ſolche, wo man es der Aufrichtigkeit des Leſers uͤberlaͤßt, ob er ſie glauben und rechtfertigen will, weder Kunſt, noch Natur, noch Warſcheinlichkeit haͤt- ten, und uͤberdem ein boͤſes Veiſpiel gaͤben. Er konnte ſich mit dem Gedanken nicht vertragen, daß ein Lovelace eine Reihe von Jahren in ſeiner Bosheit triumphiren, und denken ſollte, er haͤtte weiter nichts zu thun, als, gleichſam aus Gnaden und Gutheit, ſeine Hand hinzuhal- ten,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753/343
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753/343>, abgerufen am 24.11.2024.