Jch erinnere mich, was Sie einmal zu mir sagten, eine schöne Lehre! Laßen Sie uns, lieb- ste Freundin, (waren Jhre Worte) Lassen Sie uns, die wir von den Fehlern der Leute frei sind, welche wir tadeln, gegen andere und grössere Fehler auf unsrer Hut seyn, die uns selbst eigen seyn mögen. Dem ungeachtet muß ich Jhnen sagen, daß mich meine Mut- ter noch ganz kurzens durch einige Proben ih- res behutsamen Eigennutzes ein wenig gequä- let hat. Jch will ihnen eine davon zum besten geben, ob ich es gleich anfangs verschweigen wollte. Sie wollte dreißig Guineen von mir leihen, bis sie sich eine Bank-Note auszahlen ließe. Jch sagte, ich könnte ihr nur acht bis zehen vorstrecken. Acht bis zehen wären nicht genug; sie hätte gedacht, daß ich viel reicher wäre. Jch hätte ihr sagen können, daß ich zu klug wäre, als daß ich ihr mein Capitälgen entdecken sollte. Jetzt da ich mein Geld über- zähle, finde ich noch fünf und neunzig Gui- neen, die alle von ganzen Herzen zu Jhren Diensten bereit sind.
Jch glaube, Jhr Oncle Anton hatte ihr die weise Erfindung angegeben. Denn sie war gleich eine Stunde nachher, da er weggegan- gen war, gar nicht in Casse. Sollte es von ihm herkommen, so sehen Sie, man sucht Sie durch Geld-Mangel in Verlegenheit zu setzen; und ich wünschte, daß sie es thäten, wenn es Sie reizen könnte, Jhr Eigenthum den Weg
Rech-
Jch erinnere mich, was Sie einmal zu mir ſagten, eine ſchoͤne Lehre! Laßen Sie uns, lieb- ſte Freundin, (waren Jhre Worte) Laſſen Sie uns, die wir von den Fehlern der Leute frei ſind, welche wir tadeln, gegen andere und groͤſſere Fehler auf unſrer Hut ſeyn, die uns ſelbſt eigen ſeyn moͤgen. Dem ungeachtet muß ich Jhnen ſagen, daß mich meine Mut- ter noch ganz kurzens durch einige Proben ih- res behutſamen Eigennutzes ein wenig gequaͤ- let hat. Jch will ihnen eine davon zum beſten geben, ob ich es gleich anfangs verſchweigen wollte. Sie wollte dreißig Guineen von mir leihen, bis ſie ſich eine Bank-Note auszahlen ließe. Jch ſagte, ich koͤnnte ihr nur acht bis zehen vorſtrecken. Acht bis zehen waͤren nicht genug; ſie haͤtte gedacht, daß ich viel reicher waͤre. Jch haͤtte ihr ſagen koͤnnen, daß ich zu klug waͤre, als daß ich ihr mein Capitaͤlgen entdecken ſollte. Jetzt da ich mein Geld uͤber- zaͤhle, finde ich noch fuͤnf und neunzig Gui- neen, die alle von ganzen Herzen zu Jhren Dienſten bereit ſind.
Jch glaube, Jhr Oncle Anton hatte ihr die weiſe Erfindung angegeben. Denn ſie war gleich eine Stunde nachher, da er weggegan- gen war, gar nicht in Caſſe. Sollte es von ihm herkommen, ſo ſehen Sie, man ſucht Sie durch Geld-Mangel in Verlegenheit zu ſetzen; und ich wuͤnſchte, daß ſie es thaͤten, wenn es Sie reizen koͤnnte, Jhr Eigenthum den Weg
Rech-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0082"n="74"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Jch erinnere mich, was Sie einmal zu mir<lb/>ſagten, eine ſchoͤne Lehre! Laßen Sie uns, lieb-<lb/>ſte Freundin, (waren Jhre Worte) Laſſen Sie<lb/>
uns, die wir von den Fehlern der Leute frei<lb/>ſind, welche wir tadeln, gegen <hirendition="#fr">andere</hi> und<lb/><hirendition="#fr">groͤſſere</hi> Fehler auf unſrer Hut ſeyn, die uns<lb/>ſelbſt eigen ſeyn moͤgen. Dem ungeachtet<lb/>
muß ich Jhnen ſagen, daß mich meine Mut-<lb/>
ter noch ganz kurzens durch einige Proben ih-<lb/>
res behutſamen Eigennutzes ein wenig gequaͤ-<lb/>
let hat. Jch will ihnen eine davon zum beſten<lb/>
geben, ob ich es gleich anfangs verſchweigen<lb/>
wollte. Sie wollte dreißig Guineen von mir<lb/>
leihen, bis ſie ſich eine Bank-Note auszahlen<lb/>
ließe. Jch ſagte, ich koͤnnte ihr nur acht bis<lb/>
zehen vorſtrecken. Acht bis zehen waͤren nicht<lb/>
genug; ſie haͤtte gedacht, daß ich viel reicher<lb/>
waͤre. Jch haͤtte ihr ſagen koͤnnen, daß ich zu<lb/>
klug waͤre, als daß ich ihr mein Capitaͤlgen<lb/>
entdecken ſollte. Jetzt da ich mein Geld uͤber-<lb/>
zaͤhle, finde ich noch fuͤnf und neunzig Gui-<lb/>
neen, die alle von ganzen Herzen zu Jhren<lb/>
Dienſten bereit ſind.</p><lb/><p>Jch glaube, Jhr Oncle <hirendition="#fr">Anton</hi> hatte ihr die<lb/>
weiſe Erfindung angegeben. Denn ſie war<lb/>
gleich eine Stunde nachher, da er weggegan-<lb/>
gen war, gar nicht in Caſſe. Sollte es von<lb/>
ihm herkommen, ſo ſehen Sie, man ſucht Sie<lb/>
durch Geld-Mangel in Verlegenheit zu ſetzen;<lb/>
und ich wuͤnſchte, daß ſie es thaͤten, wenn es<lb/>
Sie reizen koͤnnte, Jhr Eigenthum den Weg<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Rech-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[74/0082]
Jch erinnere mich, was Sie einmal zu mir
ſagten, eine ſchoͤne Lehre! Laßen Sie uns, lieb-
ſte Freundin, (waren Jhre Worte) Laſſen Sie
uns, die wir von den Fehlern der Leute frei
ſind, welche wir tadeln, gegen andere und
groͤſſere Fehler auf unſrer Hut ſeyn, die uns
ſelbſt eigen ſeyn moͤgen. Dem ungeachtet
muß ich Jhnen ſagen, daß mich meine Mut-
ter noch ganz kurzens durch einige Proben ih-
res behutſamen Eigennutzes ein wenig gequaͤ-
let hat. Jch will ihnen eine davon zum beſten
geben, ob ich es gleich anfangs verſchweigen
wollte. Sie wollte dreißig Guineen von mir
leihen, bis ſie ſich eine Bank-Note auszahlen
ließe. Jch ſagte, ich koͤnnte ihr nur acht bis
zehen vorſtrecken. Acht bis zehen waͤren nicht
genug; ſie haͤtte gedacht, daß ich viel reicher
waͤre. Jch haͤtte ihr ſagen koͤnnen, daß ich zu
klug waͤre, als daß ich ihr mein Capitaͤlgen
entdecken ſollte. Jetzt da ich mein Geld uͤber-
zaͤhle, finde ich noch fuͤnf und neunzig Gui-
neen, die alle von ganzen Herzen zu Jhren
Dienſten bereit ſind.
Jch glaube, Jhr Oncle Anton hatte ihr die
weiſe Erfindung angegeben. Denn ſie war
gleich eine Stunde nachher, da er weggegan-
gen war, gar nicht in Caſſe. Sollte es von
ihm herkommen, ſo ſehen Sie, man ſucht Sie
durch Geld-Mangel in Verlegenheit zu ſetzen;
und ich wuͤnſchte, daß ſie es thaͤten, wenn es
Sie reizen koͤnnte, Jhr Eigenthum den Weg
Rech-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753/82>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.