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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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A. Altorientalisches.
geschichtliche Erörterung ausdrücklich für diese Gelegenheit vorbehalten
haben. Die assyrische Palmette zeigt nämlich eine Vereinigung der
beiden in Rede stehenden Motive: der egyptischen Lotuspalmette und
des sogen. phönikischen Bouquet (oder Palmettenbaums), in der Weise,
dass dem aufwärts gerollten oberen Volutenkelch ein einfacher Pal-
mettenfächer aufgesetzt erscheint. Eine solche Vereinigung ist uns
weder in der egyptischen noch in der phönikischen Kunst vorgekommen.
Die assyrische Palmette ist trotz des aufwärts gerichteten Volutenkelches
ein vegetabilisches Einzelmotiv wie die egyptische Lotuspalmette, mit
der sie in allem Uebrigen übereinstimmt. Dagegen sind die egyptischen
und phönikischen Gebilde mit aufwärts gerolltem Volutenkelch baum-
artig emporstrebende zusammengesetzte Motive, Uebereinanderstellungen
mehrfacher Blüthenkelche mit abzweigenden Zwickelblumen. Ein
inniger Zusammenhang der assyrischen Palmette mit den beiden egyp-
tischen Palmettenmotiven scheint mir unzweifelhaft; aber die vermit-
telnde Zwischenstellung der phönikischen Palmette wird man nicht als
so ausgemacht ansehen dürfen, wie z. B. Furtwängler74) anzunehmen
geneigt ist. Man müsste dann auch den einfachen Fächer der assy-
rischen Palmette als eine Schematisirung der bekrönenden Lotusbündel
des Palmettenbaums ansehen, während alle Wahrscheinlichkeit für den
entgegengesetzten Process spricht: für eine dekorative vegetabilische
Ausgestaltung des einfachen Fächers zu Gruppen von Lotusstengeln
und Blüthen. Das Gleiche gilt doch auch von der Rosette, deren ein-
fachere Formen gewiss älter sind als diejenigen, an denen die einzelnen
Blätter etwa durch Lotusblüthen ausgedrückt sind (Goodyear Taf. XX.
No. 13). Die Erklärung, wie die Mesopotamier dazu gekommen sein
mögen, die von den Egyptern entlehnte gewöhnliche Palmette durch
einen aufwärts gerollten Kelch, den sie übrigens gleichfalls auf egyp-
tischen Kunstgegenständen vorgebildet sahen, zu erweitern, bleibt somit
erst noch zu liefern.

Im äusseren Aufbau erinnert der egyptisch-phönikische Palmetten-
baum, -- was wir schon durch die gewählte Bezeichnung angedeutet
haben -- an den "heiligen Baum" der assyrischen Kunst. Auch an
diesem begegneten wir75) einem System von Volutenkelchen, mittels
derer die den Stamm zusammensetzenden Einzelschäfte unter einander
verbunden waren. Die Bekrönung des Ganzen bildet aber wiederum

74) Samml. Sabouroff, Einl. 10.
75) S. 99 Fig. 39.

A. Altorientalisches.
geschichtliche Erörterung ausdrücklich für diese Gelegenheit vorbehalten
haben. Die assyrische Palmette zeigt nämlich eine Vereinigung der
beiden in Rede stehenden Motive: der egyptischen Lotuspalmette und
des sogen. phönikischen Bouquet (oder Palmettenbaums), in der Weise,
dass dem aufwärts gerollten oberen Volutenkelch ein einfacher Pal-
mettenfächer aufgesetzt erscheint. Eine solche Vereinigung ist uns
weder in der egyptischen noch in der phönikischen Kunst vorgekommen.
Die assyrische Palmette ist trotz des aufwärts gerichteten Volutenkelches
ein vegetabilisches Einzelmotiv wie die egyptische Lotuspalmette, mit
der sie in allem Uebrigen übereinstimmt. Dagegen sind die egyptischen
und phönikischen Gebilde mit aufwärts gerolltem Volutenkelch baum-
artig emporstrebende zusammengesetzte Motive, Uebereinanderstellungen
mehrfacher Blüthenkelche mit abzweigenden Zwickelblumen. Ein
inniger Zusammenhang der assyrischen Palmette mit den beiden egyp-
tischen Palmettenmotiven scheint mir unzweifelhaft; aber die vermit-
telnde Zwischenstellung der phönikischen Palmette wird man nicht als
so ausgemacht ansehen dürfen, wie z. B. Furtwängler74) anzunehmen
geneigt ist. Man müsste dann auch den einfachen Fächer der assy-
rischen Palmette als eine Schematisirung der bekrönenden Lotusbündel
des Palmettenbaums ansehen, während alle Wahrscheinlichkeit für den
entgegengesetzten Process spricht: für eine dekorative vegetabilische
Ausgestaltung des einfachen Fächers zu Gruppen von Lotusstengeln
und Blüthen. Das Gleiche gilt doch auch von der Rosette, deren ein-
fachere Formen gewiss älter sind als diejenigen, an denen die einzelnen
Blätter etwa durch Lotusblüthen ausgedrückt sind (Goodyear Taf. XX.
No. 13). Die Erklärung, wie die Mesopotamier dazu gekommen sein
mögen, die von den Egyptern entlehnte gewöhnliche Palmette durch
einen aufwärts gerollten Kelch, den sie übrigens gleichfalls auf egyp-
tischen Kunstgegenständen vorgebildet sahen, zu erweitern, bleibt somit
erst noch zu liefern.

Im äusseren Aufbau erinnert der egyptisch-phönikische Palmetten-
baum, — was wir schon durch die gewählte Bezeichnung angedeutet
haben — an den „heiligen Baum“ der assyrischen Kunst. Auch an
diesem begegneten wir75) einem System von Volutenkelchen, mittels
derer die den Stamm zusammensetzenden Einzelschäfte unter einander
verbunden waren. Die Bekrönung des Ganzen bildet aber wiederum

74) Samml. Sabouroff, Einl. 10.
75) S. 99 Fig. 39.
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[106/0132] A. Altorientalisches. geschichtliche Erörterung ausdrücklich für diese Gelegenheit vorbehalten haben. Die assyrische Palmette zeigt nämlich eine Vereinigung der beiden in Rede stehenden Motive: der egyptischen Lotuspalmette und des sogen. phönikischen Bouquet (oder Palmettenbaums), in der Weise, dass dem aufwärts gerollten oberen Volutenkelch ein einfacher Pal- mettenfächer aufgesetzt erscheint. Eine solche Vereinigung ist uns weder in der egyptischen noch in der phönikischen Kunst vorgekommen. Die assyrische Palmette ist trotz des aufwärts gerichteten Volutenkelches ein vegetabilisches Einzelmotiv wie die egyptische Lotuspalmette, mit der sie in allem Uebrigen übereinstimmt. Dagegen sind die egyptischen und phönikischen Gebilde mit aufwärts gerolltem Volutenkelch baum- artig emporstrebende zusammengesetzte Motive, Uebereinanderstellungen mehrfacher Blüthenkelche mit abzweigenden Zwickelblumen. Ein inniger Zusammenhang der assyrischen Palmette mit den beiden egyp- tischen Palmettenmotiven scheint mir unzweifelhaft; aber die vermit- telnde Zwischenstellung der phönikischen Palmette wird man nicht als so ausgemacht ansehen dürfen, wie z. B. Furtwängler 74) anzunehmen geneigt ist. Man müsste dann auch den einfachen Fächer der assy- rischen Palmette als eine Schematisirung der bekrönenden Lotusbündel des Palmettenbaums ansehen, während alle Wahrscheinlichkeit für den entgegengesetzten Process spricht: für eine dekorative vegetabilische Ausgestaltung des einfachen Fächers zu Gruppen von Lotusstengeln und Blüthen. Das Gleiche gilt doch auch von der Rosette, deren ein- fachere Formen gewiss älter sind als diejenigen, an denen die einzelnen Blätter etwa durch Lotusblüthen ausgedrückt sind (Goodyear Taf. XX. No. 13). Die Erklärung, wie die Mesopotamier dazu gekommen sein mögen, die von den Egyptern entlehnte gewöhnliche Palmette durch einen aufwärts gerollten Kelch, den sie übrigens gleichfalls auf egyp- tischen Kunstgegenständen vorgebildet sahen, zu erweitern, bleibt somit erst noch zu liefern. Im äusseren Aufbau erinnert der egyptisch-phönikische Palmetten- baum, — was wir schon durch die gewählte Bezeichnung angedeutet haben — an den „heiligen Baum“ der assyrischen Kunst. Auch an diesem begegneten wir 75) einem System von Volutenkelchen, mittels derer die den Stamm zusammensetzenden Einzelschäfte unter einander verbunden waren. Die Bekrönung des Ganzen bildet aber wiederum 74) Samml. Sabouroff, Einl. 10. 75) S. 99 Fig. 39.

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/132>, abgerufen am 24.11.2024.