Riehl, Wilhelm Heinrich: Jörg Muckenbuber. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 67–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.daß der Bursche zwar äußerst roh und verwahrlost sei, allein von sehr klarem Verstande, und daß er bei seinem Geständniß beharre. Inzwischen durchlief die Neuigkeit natürlich rasch die Stadt, und die guten Bürger stritten heftig darüber, ob man auch Einen auf sein bloßes Geständniß und dringendes Begehren hängen könne, selbst wenn sich die That, deren er sich anklage, weiter gar nicht erweisen lasse. Denn nirgends war eine Spur von dem angeblich an dem reisenden Krämer verübten Morde aufzufinden. Auch als man den Muckenhuber unter starker Wache und großem Zulauf hinausführte, daß er den Ort bezeichne, wo er den Krämer erschlagen und die Leiche verscharrt, wußte er zwar durch die feinsten Gründe und Ausreden seine Richter zu verwirren und stutzig zu machen, allein eine thatsächliche Urkunde des Frevels entdeckte man nicht. Der Gefangene aber blieb steif und fest bei seinem Satz, daß er den fremden Krämer auf Nördlinger Boden umgebracht habe und also am Nördlinger Galgen gehenkt werden müsse. Obgleich die deutschen Reichs-Kleinstädter zu jener Zeit an hochgewürzte kriminalistische Dramen gewöhnt waren wie ans tägliche Brod, so wuchs doch die Spannung über diesen unerhörten Fall von Tag zu Tag; namentlich konnte man die Antwort des Augsburger und Kaufbeuerner Magistrates kaum erwarten, denen das Nördlinger Gericht die Acten zugesandt hatte daß der Bursche zwar äußerst roh und verwahrlost sei, allein von sehr klarem Verstande, und daß er bei seinem Geständniß beharre. Inzwischen durchlief die Neuigkeit natürlich rasch die Stadt, und die guten Bürger stritten heftig darüber, ob man auch Einen auf sein bloßes Geständniß und dringendes Begehren hängen könne, selbst wenn sich die That, deren er sich anklage, weiter gar nicht erweisen lasse. Denn nirgends war eine Spur von dem angeblich an dem reisenden Krämer verübten Morde aufzufinden. Auch als man den Muckenhuber unter starker Wache und großem Zulauf hinausführte, daß er den Ort bezeichne, wo er den Krämer erschlagen und die Leiche verscharrt, wußte er zwar durch die feinsten Gründe und Ausreden seine Richter zu verwirren und stutzig zu machen, allein eine thatsächliche Urkunde des Frevels entdeckte man nicht. Der Gefangene aber blieb steif und fest bei seinem Satz, daß er den fremden Krämer auf Nördlinger Boden umgebracht habe und also am Nördlinger Galgen gehenkt werden müsse. Obgleich die deutschen Reichs-Kleinstädter zu jener Zeit an hochgewürzte kriminalistische Dramen gewöhnt waren wie ans tägliche Brod, so wuchs doch die Spannung über diesen unerhörten Fall von Tag zu Tag; namentlich konnte man die Antwort des Augsburger und Kaufbeuerner Magistrates kaum erwarten, denen das Nördlinger Gericht die Acten zugesandt hatte <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0009"/> daß der Bursche zwar äußerst roh und verwahrlost sei, allein von sehr klarem Verstande, und daß er bei seinem Geständniß beharre.</p><lb/> <p>Inzwischen durchlief die Neuigkeit natürlich rasch die Stadt, und die guten Bürger stritten heftig darüber, ob man auch Einen auf sein bloßes Geständniß und dringendes Begehren hängen könne, selbst wenn sich die That, deren er sich anklage, weiter gar nicht erweisen lasse. Denn nirgends war eine Spur von dem angeblich an dem reisenden Krämer verübten Morde aufzufinden.</p><lb/> <p>Auch als man den Muckenhuber unter starker Wache und großem Zulauf hinausführte, daß er den Ort bezeichne, wo er den Krämer erschlagen und die Leiche verscharrt, wußte er zwar durch die feinsten Gründe und Ausreden seine Richter zu verwirren und stutzig zu machen, allein eine thatsächliche Urkunde des Frevels entdeckte man nicht. Der Gefangene aber blieb steif und fest bei seinem Satz, daß er den fremden Krämer auf Nördlinger Boden umgebracht habe und also am Nördlinger Galgen gehenkt werden müsse.</p><lb/> <p>Obgleich die deutschen Reichs-Kleinstädter zu jener Zeit an hochgewürzte kriminalistische Dramen gewöhnt waren wie ans tägliche Brod, so wuchs doch die Spannung über diesen unerhörten Fall von Tag zu Tag; namentlich konnte man die Antwort des Augsburger und Kaufbeuerner Magistrates kaum erwarten, denen das Nördlinger Gericht die Acten zugesandt hatte<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0009]
daß der Bursche zwar äußerst roh und verwahrlost sei, allein von sehr klarem Verstande, und daß er bei seinem Geständniß beharre.
Inzwischen durchlief die Neuigkeit natürlich rasch die Stadt, und die guten Bürger stritten heftig darüber, ob man auch Einen auf sein bloßes Geständniß und dringendes Begehren hängen könne, selbst wenn sich die That, deren er sich anklage, weiter gar nicht erweisen lasse. Denn nirgends war eine Spur von dem angeblich an dem reisenden Krämer verübten Morde aufzufinden.
Auch als man den Muckenhuber unter starker Wache und großem Zulauf hinausführte, daß er den Ort bezeichne, wo er den Krämer erschlagen und die Leiche verscharrt, wußte er zwar durch die feinsten Gründe und Ausreden seine Richter zu verwirren und stutzig zu machen, allein eine thatsächliche Urkunde des Frevels entdeckte man nicht. Der Gefangene aber blieb steif und fest bei seinem Satz, daß er den fremden Krämer auf Nördlinger Boden umgebracht habe und also am Nördlinger Galgen gehenkt werden müsse.
Obgleich die deutschen Reichs-Kleinstädter zu jener Zeit an hochgewürzte kriminalistische Dramen gewöhnt waren wie ans tägliche Brod, so wuchs doch die Spannung über diesen unerhörten Fall von Tag zu Tag; namentlich konnte man die Antwort des Augsburger und Kaufbeuerner Magistrates kaum erwarten, denen das Nördlinger Gericht die Acten zugesandt hatte
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-16T10:09:41Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-16T10:09:41Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |