Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Schöpfer dieses Typus wollte nichts Anderes darstellen,
als die Scene der Ilias; freilich fehlt dort Diomedes. Aber der
Maler mochte sich erinnern, dass kurz vorher und kurz nachher
Diomedes im Rate der Achäer eine grosse Rolle spielt und ihn
aus diesem Grunde oder auch aus ungenauer Reminiscenz der
Gesandtschaft beigesellen.

Es bliebe nun noch eine entfernte Möglichkeit, dass zwar
nicht die ganze Scene, aber wenigstens die Hauptfigur der Dar-
stellung aus Aischylos entnommen wäre. Denn denkbar wäre es
doch, dass der verhüllt dasitzende Achilleus in den Phrygern des
Aischylos der gleichzeitigen Kunst den Anlass geboten hätte, den
Helden nun auch bei andern Gelegenheiten in ähnlicher Weise
darzustellen. Ja, wenn nur die Analogie wirklich schlagend wäre;
aber gerade das eigentlich Charakteristische, die Verhüllung des
Gesichts, ist nirgends dargestellt; er legt nur die Hand traurig
an den Kopf; für diesen gewöhnlichen Gestus tiefer Trauer be-
durften aber die Künstler wahrlich nicht des Vorgangs der Bühne.
Doch wollte man in dieser einen Figur auch die Einwirkung der
Bühne zugeben, so bliebe doch dabei die Behauptung, dass die
dargestellte Sagenform die alte des Epos und nicht eine neue,
vom Drama geschaffene ist, in voller Kraft bestehen.

Genau so steht es mit dem zweiten Stück der Trilogie, den
Nereiden. Hier kommt namentlich die aus Kameiros stammende
Pelike des britischen Museums in Betracht, die Engelmann
M. d. I. XI tav. VIII publiziert hat. Das Monument ist aus
stilistischen und paläographischen Gründen dem fünften Jahr-
hundert zuzuweisen. Thetis umarmt ihren verhüllt und traurig
dasitzenden Sohn, während zwei Nereiden die Waffen halten und
Athena und Phoinix als Zuschauer gegenwärtig sind. Die Dar-
stellung enthält nichts, das uns zu der Annahme einer anderen
poetischen Quelle als der Ilias zwänge; denn dass auch in den
Nereiden zuerst Achill stumm und verhüllt auf der Bühne ge-
sessen hätte, wie Brunn auf ähnliche oder spätere Darstellungen
gestützt annahm, ist weder erweislich noch wahrscheinlich. Die
Verhüllung des Hauptes aber ist hier durch die Trauer um Pa-
troklos auch ohne Vorgang des Aischylos hinreichend motiviert.


Der Schöpfer dieses Typus wollte nichts Anderes darstellen,
als die Scene der Ilias; freilich fehlt dort Diomedes. Aber der
Maler mochte sich erinnern, daſs kurz vorher und kurz nachher
Diomedes im Rate der Achäer eine groſse Rolle spielt und ihn
aus diesem Grunde oder auch aus ungenauer Reminiscenz der
Gesandtschaft beigesellen.

Es bliebe nun noch eine entfernte Möglichkeit, daſs zwar
nicht die ganze Scene, aber wenigstens die Hauptfigur der Dar-
stellung aus Aischylos entnommen wäre. Denn denkbar wäre es
doch, daſs der verhüllt dasitzende Achilleus in den Phrygern des
Aischylos der gleichzeitigen Kunst den Anlaſs geboten hätte, den
Helden nun auch bei andern Gelegenheiten in ähnlicher Weise
darzustellen. Ja, wenn nur die Analogie wirklich schlagend wäre;
aber gerade das eigentlich Charakteristische, die Verhüllung des
Gesichts, ist nirgends dargestellt; er legt nur die Hand traurig
an den Kopf; für diesen gewöhnlichen Gestus tiefer Trauer be-
durften aber die Künstler wahrlich nicht des Vorgangs der Bühne.
Doch wollte man in dieser einen Figur auch die Einwirkung der
Bühne zugeben, so bliebe doch dabei die Behauptung, daſs die
dargestellte Sagenform die alte des Epos und nicht eine neue,
vom Drama geschaffene ist, in voller Kraft bestehen.

Genau so steht es mit dem zweiten Stück der Trilogie, den
Nereiden. Hier kommt namentlich die aus Kameiros stammende
Pelike des britischen Museums in Betracht, die Engelmann
M. d. I. XI tav. VIII publiziert hat. Das Monument ist aus
stilistischen und paläographischen Gründen dem fünften Jahr-
hundert zuzuweisen. Thetis umarmt ihren verhüllt und traurig
dasitzenden Sohn, während zwei Nereiden die Waffen halten und
Athena und Phoinix als Zuschauer gegenwärtig sind. Die Dar-
stellung enthält nichts, das uns zu der Annahme einer anderen
poetischen Quelle als der Ilias zwänge; denn daſs auch in den
Nereiden zuerst Achill stumm und verhüllt auf der Bühne ge-
sessen hätte, wie Brunn auf ähnliche oder spätere Darstellungen
gestützt annahm, ist weder erweislich noch wahrscheinlich. Die
Verhüllung des Hauptes aber ist hier durch die Trauer um Pa-
troklos auch ohne Vorgang des Aischylos hinreichend motiviert.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0155" n="141"/>
Der Schöpfer dieses Typus wollte nichts Anderes darstellen,<lb/>
als die Scene der Ilias; freilich fehlt dort Diomedes. Aber der<lb/>
Maler mochte sich erinnern, da&#x017F;s kurz vorher und kurz nachher<lb/>
Diomedes im Rate der Achäer eine gro&#x017F;se Rolle spielt und ihn<lb/>
aus diesem Grunde oder auch aus ungenauer Reminiscenz der<lb/>
Gesandtschaft beigesellen.</p><lb/>
          <p>Es bliebe nun noch eine entfernte Möglichkeit, da&#x017F;s zwar<lb/>
nicht die ganze Scene, aber wenigstens die Hauptfigur der Dar-<lb/>
stellung aus Aischylos entnommen wäre. Denn denkbar wäre es<lb/>
doch, da&#x017F;s der verhüllt dasitzende Achilleus in den Phrygern des<lb/>
Aischylos der gleichzeitigen Kunst den Anla&#x017F;s geboten hätte, den<lb/>
Helden nun auch bei andern Gelegenheiten in ähnlicher Weise<lb/>
darzustellen. Ja, wenn nur die Analogie wirklich schlagend wäre;<lb/>
aber gerade das eigentlich Charakteristische, die Verhüllung des<lb/>
Gesichts, ist nirgends dargestellt; er legt nur die Hand traurig<lb/>
an den Kopf; für diesen gewöhnlichen Gestus tiefer Trauer be-<lb/>
durften aber die Künstler wahrlich nicht des Vorgangs der Bühne.<lb/>
Doch wollte man in dieser einen Figur auch die Einwirkung der<lb/>
Bühne zugeben, so bliebe doch dabei die Behauptung, da&#x017F;s die<lb/>
dargestellte Sagenform die alte des Epos und nicht eine neue,<lb/>
vom Drama geschaffene ist, in voller Kraft bestehen.</p><lb/>
          <p>Genau so steht es mit dem zweiten Stück der Trilogie, den<lb/>
Nereiden. Hier kommt namentlich die aus Kameiros stammende<lb/>
Pelike des britischen Museums in Betracht, die Engelmann<lb/>
M. d. I. XI tav. VIII publiziert hat. Das Monument ist aus<lb/>
stilistischen und paläographischen Gründen dem fünften Jahr-<lb/>
hundert zuzuweisen. Thetis umarmt ihren verhüllt und traurig<lb/>
dasitzenden Sohn, während zwei Nereiden die Waffen halten und<lb/>
Athena und Phoinix als Zuschauer gegenwärtig sind. Die Dar-<lb/>
stellung enthält nichts, das uns zu der Annahme einer anderen<lb/>
poetischen Quelle als der Ilias zwänge; denn da&#x017F;s auch in den<lb/>
Nereiden zuerst Achill stumm und verhüllt auf der Bühne ge-<lb/>
sessen hätte, wie Brunn auf ähnliche oder spätere Darstellungen<lb/>
gestützt annahm, ist weder erweislich noch wahrscheinlich. Die<lb/>
Verhüllung des Hauptes aber ist hier durch die Trauer um Pa-<lb/>
troklos auch ohne Vorgang des Aischylos hinreichend motiviert.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[141/0155] Der Schöpfer dieses Typus wollte nichts Anderes darstellen, als die Scene der Ilias; freilich fehlt dort Diomedes. Aber der Maler mochte sich erinnern, daſs kurz vorher und kurz nachher Diomedes im Rate der Achäer eine groſse Rolle spielt und ihn aus diesem Grunde oder auch aus ungenauer Reminiscenz der Gesandtschaft beigesellen. Es bliebe nun noch eine entfernte Möglichkeit, daſs zwar nicht die ganze Scene, aber wenigstens die Hauptfigur der Dar- stellung aus Aischylos entnommen wäre. Denn denkbar wäre es doch, daſs der verhüllt dasitzende Achilleus in den Phrygern des Aischylos der gleichzeitigen Kunst den Anlaſs geboten hätte, den Helden nun auch bei andern Gelegenheiten in ähnlicher Weise darzustellen. Ja, wenn nur die Analogie wirklich schlagend wäre; aber gerade das eigentlich Charakteristische, die Verhüllung des Gesichts, ist nirgends dargestellt; er legt nur die Hand traurig an den Kopf; für diesen gewöhnlichen Gestus tiefer Trauer be- durften aber die Künstler wahrlich nicht des Vorgangs der Bühne. Doch wollte man in dieser einen Figur auch die Einwirkung der Bühne zugeben, so bliebe doch dabei die Behauptung, daſs die dargestellte Sagenform die alte des Epos und nicht eine neue, vom Drama geschaffene ist, in voller Kraft bestehen. Genau so steht es mit dem zweiten Stück der Trilogie, den Nereiden. Hier kommt namentlich die aus Kameiros stammende Pelike des britischen Museums in Betracht, die Engelmann M. d. I. XI tav. VIII publiziert hat. Das Monument ist aus stilistischen und paläographischen Gründen dem fünften Jahr- hundert zuzuweisen. Thetis umarmt ihren verhüllt und traurig dasitzenden Sohn, während zwei Nereiden die Waffen halten und Athena und Phoinix als Zuschauer gegenwärtig sind. Die Dar- stellung enthält nichts, das uns zu der Annahme einer anderen poetischen Quelle als der Ilias zwänge; denn daſs auch in den Nereiden zuerst Achill stumm und verhüllt auf der Bühne ge- sessen hätte, wie Brunn auf ähnliche oder spätere Darstellungen gestützt annahm, ist weder erweislich noch wahrscheinlich. Die Verhüllung des Hauptes aber ist hier durch die Trauer um Pa- troklos auch ohne Vorgang des Aischylos hinreichend motiviert.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/155
Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/155>, abgerufen am 24.11.2024.