wenn er einfach herübergenommen hätte, was auf der Bühne Jedermann sah, Zeus mit der Wage in der Mitte und zu beiden Seiten die flehenden Mütter, allein er konnte sich nicht ent- schliessen, auf den Hermes zu verzichten. Ich denke das Alles weist mit zwingender Notwendigkeit darauf hin, dass diese Rolle des Hermes schon durch die bildliche oder poetische Tra- dition übermittelt ist, und der nächstliegende Gedanke ist gewiss der, dass schon Arktinos die Psychostasie aus der Ilias und zwar aus Kh 209 herübergenommen oder richtiger herausentwickelt hat, und dass bei ihm nicht Zeus, sondern Hermes in Gegenwart des Zeus die Wägung vollzog. Aus der lakonischen Hypothesis des Pro- klos lässt sich wenigstens so viel entnehmen, dass Eos vor oder nach dem Kampfe bei Zeus war, um ihrem Sohn Unsterblichkeit zu erwirken (kai touto men Eos para Dios aitesamene atha- nasian didosi.) Allein dieser scheinbar einfachen Annahme stellt der Wortlaut der Iliasscholien und der Plutarchstelle eine sehr erhebliche Schwierigkeit entgegen. Die Einführung des Hermes ist bedingt durch die Auffassung der duo kere als psukhai, eine Auffassung, die eben Aristarch und seine Schule als gänzlich ver- fehlt rügt und dem Aischylos zum Vorwurf macht. Wenn aber unsere Annahme richtig ist, so hätte Aischylos seine Auffassung einfach von Arktinos entlehnt, und nicht den attischen Tragiker, sondern den milesischen Epiker hätte Aristarchs Tadel treffen sollen. Und wie kann Plutarch sagen, dass Aischylos aus der Iliasstelle eine ganze Tragödie gemacht habe, wenn schon Arktinos die Psychostasie auf Memnon übertragen hatte? Allein man weiss ja, dass die alexandrinischen Grammatiker sich um die Gedichte des Cyklus ebenso wenig bei ihren mythologischen wie bei ihren grammatischen Untersuchungen kümmerten, und dass sie nament- lich bei der Frage nach dem Verhältnis der Tragiker zu Homer dieses Mittelglied häufig ganz ignorierten 12). Plutarch aber ist eben von dieser alexandrinischen Anschauung abhängig; hätte er aber ausser seinem Homercommentar noch andere Quellen einzusehen Veranlassung genommen, so würde er sich schwerlich an die ver-
12) S. Wilamowitz, Philologische Untersuchungen IV Antigonos S. 165.
Philolog. Untersuchungen V. 10
wenn er einfach herübergenommen hätte, was auf der Bühne Jedermann sah, Zeus mit der Wage in der Mitte und zu beiden Seiten die flehenden Mütter, allein er konnte sich nicht ent- schlieſsen, auf den Hermes zu verzichten. Ich denke das Alles weist mit zwingender Notwendigkeit darauf hin, daſs diese Rolle des Hermes schon durch die bildliche oder poetische Tra- dition übermittelt ist, und der nächstliegende Gedanke ist gewiſs der, daſs schon Arktinos die Psychostasie aus der Ilias und zwar aus Χ 209 herübergenommen oder richtiger herausentwickelt hat, und daſs bei ihm nicht Zeus, sondern Hermes in Gegenwart des Zeus die Wägung vollzog. Aus der lakonischen Hypothesis des Pro- klos läſst sich wenigstens so viel entnehmen, daſs Eos vor oder nach dem Kampfe bei Zeus war, um ihrem Sohn Unsterblichkeit zu erwirken (καὶ τούτῳ μὲν Ἠὼς παρὰ Διὸς αἰτησαμένη ἀϑα- νασίαν δίδωσι.) Allein dieser scheinbar einfachen Annahme stellt der Wortlaut der Iliasscholien und der Plutarchstelle eine sehr erhebliche Schwierigkeit entgegen. Die Einführung des Hermes ist bedingt durch die Auffassung der δύο κῆρε als ψυχαί, eine Auffassung, die eben Aristarch und seine Schule als gänzlich ver- fehlt rügt und dem Aischylos zum Vorwurf macht. Wenn aber unsere Annahme richtig ist, so hätte Aischylos seine Auffassung einfach von Arktinos entlehnt, und nicht den attischen Tragiker, sondern den milesischen Epiker hätte Aristarchs Tadel treffen sollen. Und wie kann Plutarch sagen, daſs Aischylos aus der Iliasstelle eine ganze Tragödie gemacht habe, wenn schon Arktinos die Psychostasie auf Memnon übertragen hatte? Allein man weiſs ja, daſs die alexandrinischen Grammatiker sich um die Gedichte des Cyklus ebenso wenig bei ihren mythologischen wie bei ihren grammatischen Untersuchungen kümmerten, und daſs sie nament- lich bei der Frage nach dem Verhältnis der Tragiker zu Homer dieses Mittelglied häufig ganz ignorierten 12). Plutarch aber ist eben von dieser alexandrinischen Anschauung abhängig; hätte er aber auſser seinem Homercommentar noch andere Quellen einzusehen Veranlassung genommen, so würde er sich schwerlich an die ver-
12) S. Wilamowitz, Philologische Untersuchungen IV Antigonos S. 165.
Philolog. Untersuchungen V. 10
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wenn er einfach herübergenommen hätte, was auf der Bühne
Jedermann sah, Zeus mit der Wage in der Mitte und zu beiden
Seiten die flehenden Mütter, allein er konnte sich nicht ent-
schlieſsen, auf den Hermes zu verzichten. Ich denke das Alles
weist mit zwingender Notwendigkeit darauf hin, daſs diese
Rolle des Hermes schon durch die bildliche oder poetische Tra-
dition übermittelt ist, und der nächstliegende Gedanke ist gewiſs
der, daſs schon Arktinos die Psychostasie aus der Ilias und zwar aus
Χ 209 herübergenommen oder richtiger herausentwickelt hat, und
daſs bei ihm nicht Zeus, sondern Hermes in Gegenwart des Zeus
die Wägung vollzog. Aus der lakonischen Hypothesis des Pro-
klos läſst sich wenigstens so viel entnehmen, daſs Eos vor oder
nach dem Kampfe bei Zeus war, um ihrem Sohn Unsterblichkeit
zu erwirken (καὶ τούτῳ μὲν Ἠὼς παρὰ Διὸς αἰτησαμένη ἀϑα-
νασίαν δίδωσι.) Allein dieser scheinbar einfachen Annahme stellt
der Wortlaut der Iliasscholien und der Plutarchstelle eine sehr
erhebliche Schwierigkeit entgegen. Die Einführung des Hermes
ist bedingt durch die Auffassung der δύο κῆρε als ψυχαί, eine
Auffassung, die eben Aristarch und seine Schule als gänzlich ver-
fehlt rügt und dem Aischylos zum Vorwurf macht. Wenn aber
unsere Annahme richtig ist, so hätte Aischylos seine Auffassung
einfach von Arktinos entlehnt, und nicht den attischen Tragiker,
sondern den milesischen Epiker hätte Aristarchs Tadel treffen
sollen. Und wie kann Plutarch sagen, daſs Aischylos aus der
Iliasstelle eine ganze Tragödie gemacht habe, wenn schon Arktinos
die Psychostasie auf Memnon übertragen hatte? Allein man weiſs
ja, daſs die alexandrinischen Grammatiker sich um die Gedichte
des Cyklus ebenso wenig bei ihren mythologischen wie bei ihren
grammatischen Untersuchungen kümmerten, und daſs sie nament-
lich bei der Frage nach dem Verhältnis der Tragiker zu Homer
dieses Mittelglied häufig ganz ignorierten 12). Plutarch aber ist eben
von dieser alexandrinischen Anschauung abhängig; hätte er aber
auſser seinem Homercommentar noch andere Quellen einzusehen
Veranlassung genommen, so würde er sich schwerlich an die ver-
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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/159>, abgerufen am 17.06.2024.
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