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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

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Gemälde zu denken, wie man wohl gethan hat, ist nach dem
Gesagten schlechterdings unmöglich.

In der erhaltenen Litteratur begegnet uns die Spur einer
ähnlichen Version zuerst im Orestes des Euripides; in dem Gespräch
zwischen Menelaos und Orestes entgegnet dieser auf die Frage
V. 431

tines politon examillontai se ges;

mit den Worten

Oiax, to Troias misos anapheron patri,

und Menelaos versteht sofort den Beweggrund seines Handelns

xuneka ;Palamedous se timorei phonou.

Hier erscheint also Oiax als der eigentliche Gegner des Orestes,
der die Rache für Klytaimnestra übernimmt und auf Ver-
bannung des Orestes dringt, und so, meine ich, könnte sehr
wohl Stesichoros gedichtet haben und die Erwähnung des Pala-
medes im zweiten Buch, also offenbar einer späteren Partie,
fände ihre Erklärung. Wenn es feststände, dass die citierte Stelle
wirklich von Euripides herrührte, so hätten wir abermals eine
Anlehnung an Stesichoros, wie sie in demselben Stück für V.
268 bezeugt und von uns für V. 1645 vermutet worden ist
(s. Anm. 31). Doch kann ich nicht verhehlen, dass die offenbaren
Widersprüche, welche die Verse 431--438 nicht bloss gegen das
übrige Stück, sondern gegen die unmittelbar vorhergehenden und
folgenden Fragen und Antworten enthalten, mir so stark erscheinen,
dass sie selbst durch die vorausgesetzte Beziehung auf die Oresteia
des Stesichoros nicht entschuldigt werden und dass an dem Ver-
dacht nicht-euripideischen Ursprungs festgehalten werden muss 32);
natürlich haben wir es mit einer ursprünglich an den Rand ge-
schriebenen Parallelstelle aus einem anderen Stück zu thun;
denn ein Interpolator, der die Verse erst dichtete, würde sich
wohl genauer an den Inhalt des ächten Gespräches angeschlossen

32) S. den Excurs: Euripides Orestes 431--438.

Gemälde zu denken, wie man wohl gethan hat, ist nach dem
Gesagten schlechterdings unmöglich.

In der erhaltenen Litteratur begegnet uns die Spur einer
ähnlichen Version zuerst im Orestes des Euripides; in dem Gespräch
zwischen Menelaos und Orestes entgegnet dieser auf die Frage
V. 431

τίνες πολιτῶν ἐξαμιλλῶνταί σε γῆς;

mit den Worten

Οἴαξ, τὸ Τροίας μῖσος ἀναφέρων πατρί,

und Menelaos versteht sofort den Beweggrund seines Handelns

ξυνῆκα ·Παλαμήδους σε τιμωρεῖ φόνου.

Hier erscheint also Oiax als der eigentliche Gegner des Orestes,
der die Rache für Klytaimnestra übernimmt und auf Ver-
bannung des Orestes dringt, und so, meine ich, könnte sehr
wohl Stesichoros gedichtet haben und die Erwähnung des Pala-
medes im zweiten Buch, also offenbar einer späteren Partie,
fände ihre Erklärung. Wenn es feststände, daſs die citierte Stelle
wirklich von Euripides herrührte, so hätten wir abermals eine
Anlehnung an Stesichoros, wie sie in demselben Stück für V.
268 bezeugt und von uns für V. 1645 vermutet worden ist
(s. Anm. 31). Doch kann ich nicht verhehlen, daſs die offenbaren
Widersprüche, welche die Verse 431—438 nicht bloſs gegen das
übrige Stück, sondern gegen die unmittelbar vorhergehenden und
folgenden Fragen und Antworten enthalten, mir so stark erscheinen,
daſs sie selbst durch die vorausgesetzte Beziehung auf die Oresteia
des Stesichoros nicht entschuldigt werden und daſs an dem Ver-
dacht nicht-euripideischen Ursprungs festgehalten werden muſs 32);
natürlich haben wir es mit einer ursprünglich an den Rand ge-
schriebenen Parallelstelle aus einem anderen Stück zu thun;
denn ein Interpolator, der die Verse erst dichtete, würde sich
wohl genauer an den Inhalt des ächten Gespräches angeschlossen

32) S. den Excurs: Euripides Orestes 431—438.
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[184/0198] Gemälde zu denken, wie man wohl gethan hat, ist nach dem Gesagten schlechterdings unmöglich. In der erhaltenen Litteratur begegnet uns die Spur einer ähnlichen Version zuerst im Orestes des Euripides; in dem Gespräch zwischen Menelaos und Orestes entgegnet dieser auf die Frage V. 431 τίνες πολιτῶν ἐξαμιλλῶνταί σε γῆς; mit den Worten Οἴαξ, τὸ Τροίας μῖσος ἀναφέρων πατρί, und Menelaos versteht sofort den Beweggrund seines Handelns ξυνῆκα ·Παλαμήδους σε τιμωρεῖ φόνου. Hier erscheint also Oiax als der eigentliche Gegner des Orestes, der die Rache für Klytaimnestra übernimmt und auf Ver- bannung des Orestes dringt, und so, meine ich, könnte sehr wohl Stesichoros gedichtet haben und die Erwähnung des Pala- medes im zweiten Buch, also offenbar einer späteren Partie, fände ihre Erklärung. Wenn es feststände, daſs die citierte Stelle wirklich von Euripides herrührte, so hätten wir abermals eine Anlehnung an Stesichoros, wie sie in demselben Stück für V. 268 bezeugt und von uns für V. 1645 vermutet worden ist (s. Anm. 31). Doch kann ich nicht verhehlen, daſs die offenbaren Widersprüche, welche die Verse 431—438 nicht bloſs gegen das übrige Stück, sondern gegen die unmittelbar vorhergehenden und folgenden Fragen und Antworten enthalten, mir so stark erscheinen, daſs sie selbst durch die vorausgesetzte Beziehung auf die Oresteia des Stesichoros nicht entschuldigt werden und daſs an dem Ver- dacht nicht-euripideischen Ursprungs festgehalten werden muſs 32); natürlich haben wir es mit einer ursprünglich an den Rand ge- schriebenen Parallelstelle aus einem anderen Stück zu thun; denn ein Interpolator, der die Verse erst dichtete, würde sich wohl genauer an den Inhalt des ächten Gespräches angeschlossen 32) S. den Excurs: Euripides Orestes 431—438.

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Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/198>, abgerufen am 22.11.2024.