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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

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hatte. Der Schwerpunkt dieser Veränderung scheint mir in der
Umgestaltung der Charaktere der Klytaimnestra, die zur Gatten-
mörderin, und des Orestes, der zum Muttermörder wird, zu liegen;
und ähnliche Wandlungen erfährt auch der Mythos von der Vorge-
schichte des Atridenhauses, die ja überhaupt erst in der Zeit des ab-
sterbenden Epos im Einzelnen ausgebildet worden ist. Während die
Ilias bekanntlich weder von einer Einwanderung des Geschlechtes 35)

35) Das wird wohl heute allgemein zugestanden: von Hermes hatte Pelops
das Szepter erhalten, nicht also die Herrschaft usurpiert, und wie wäre es
denkbar, dass in dem ganzen homerischen Epos niemals darauf hingewiesen
würde, dass der Schauplatz des Krieges der alten Heimat des Atridengeschlechts
nahe liegt, wenn die Sage von der Einwanderung des Pelops dem Sänger und
dem Hörer bekannt gewesen wäre. Und Oinomaos und Hippodameia? Dem
homerischen Epos sind sie bekanntlich fremd, und wenn ich die dürftigen,
aber laut genug sprechenden Reste einer von der vulgären Anschauung ab-
weichenden älteren Überlieferung richtig deute, so gehören beide ursprüng-
lich nach Lesbos, und nach der ältesten Sagenversion freite nicht der lydische
Ankömmling Pelops die einheimische peloponnesische Königstochter Hippo-
dameia, sondern der einheimische Herrscher von Argos, Pelops, raubte sich
aus dem fernen Lesbos die Braut. Die freilich ziemlich jungen Münchener
Scholien zum Orestes 990 nennen Oinomaos König von Lesbos. Auf Lesbos
liegt Killa und das Heiligtum des Apollo Killaios, Stätten, die zur Er-
dichtung des Wagenlenkers des Pelops, Killos, Veranlassung gegeben haben,
und deren Gründung dann umgekehrt die aus dem Theopompos erhaltene
lokale Stiftungssage mit dem Tod dieses Killos in Verbindung bringt (schol.
Il. A 38). Die Stätte, an welcher die eigentliche Katastrophe, der Tod des
Myrtilos, haftet, das Vorgebirge Geraistos an der Südspitze von Euboia,
liegt weit ab von Elis, auch dem Isthmos, der später das Endziel der Wett-
fahrt ist, nicht allzu nahe, aber für den, der auf geradem Wege von Argos
nach Lesbos oder von Lesbos nach Argos gelangen will, ist es unver-
meidlich. In Poesie und Kunst hat Pelops von Poseidon göttliche Rosse,
die über das Meer laufen können (Cic. Tusc. II 27, 67), auch auf dem
Kypseloskasten geflügelt dargestellt waren. Die wirklich alte gute Sage
pflegt mit solchen wunderbaren Motiven äusserst ökonomisch zu verfahren;
sie erdichtet sie nur dann, wenn sie wirklich nötig sind. Wenn daher die
Rosse des Pelops, sei es vermöge der Beflügelung, sei es vermöge einer ihnen
von Poseidon eigens verliehenen Wundergabe, über das Meer laufen können,
so muss Pelops mit ihnen auch wirklich über das Meer gefahren sein, wie
es ja auch die herrliche Vase von Arezzo (M. d. I. VIII taf. 3) darstellt,
und auch, wie dort, mit Hippodameia. Man hat diese Abweichungen von der

hatte. Der Schwerpunkt dieser Veränderung scheint mir in der
Umgestaltung der Charaktere der Klytaimnestra, die zur Gatten-
mörderin, und des Orestes, der zum Muttermörder wird, zu liegen;
und ähnliche Wandlungen erfährt auch der Mythos von der Vorge-
schichte des Atridenhauses, die ja überhaupt erst in der Zeit des ab-
sterbenden Epos im Einzelnen ausgebildet worden ist. Während die
Ilias bekanntlich weder von einer Einwanderung des Geschlechtes 35)

35) Das wird wohl heute allgemein zugestanden: von Hermes hatte Pelops
das Szepter erhalten, nicht also die Herrschaft usurpiert, und wie wäre es
denkbar, daſs in dem ganzen homerischen Epos niemals darauf hingewiesen
würde, daſs der Schauplatz des Krieges der alten Heimat des Atridengeschlechts
nahe liegt, wenn die Sage von der Einwanderung des Pelops dem Sänger und
dem Hörer bekannt gewesen wäre. Und Oinomaos und Hippodameia? Dem
homerischen Epos sind sie bekanntlich fremd, und wenn ich die dürftigen,
aber laut genug sprechenden Reste einer von der vulgären Anschauung ab-
weichenden älteren Überlieferung richtig deute, so gehören beide ursprüng-
lich nach Lesbos, und nach der ältesten Sagenversion freite nicht der lydische
Ankömmling Pelops die einheimische peloponnesische Königstochter Hippo-
dameia, sondern der einheimische Herrscher von Argos, Pelops, raubte sich
aus dem fernen Lesbos die Braut. Die freilich ziemlich jungen Münchener
Scholien zum Orestes 990 nennen Oinomaos König von Lesbos. Auf Lesbos
liegt Killa und das Heiligtum des Apollo Killaios, Stätten, die zur Er-
dichtung des Wagenlenkers des Pelops, Killos, Veranlassung gegeben haben,
und deren Gründung dann umgekehrt die aus dem Theopompos erhaltene
lokale Stiftungssage mit dem Tod dieses Killos in Verbindung bringt (schol.
Il. Α 38). Die Stätte, an welcher die eigentliche Katastrophe, der Tod des
Myrtilos, haftet, das Vorgebirge Geraistos an der Südspitze von Euboia,
liegt weit ab von Elis, auch dem Isthmos, der später das Endziel der Wett-
fahrt ist, nicht allzu nahe, aber für den, der auf geradem Wege von Argos
nach Lesbos oder von Lesbos nach Argos gelangen will, ist es unver-
meidlich. In Poesie und Kunst hat Pelops von Poseidon göttliche Rosse,
die über das Meer laufen können (Cic. Tusc. II 27, 67), auch auf dem
Kypseloskasten geflügelt dargestellt waren. Die wirklich alte gute Sage
pflegt mit solchen wunderbaren Motiven äuſserst ökonomisch zu verfahren;
sie erdichtet sie nur dann, wenn sie wirklich nötig sind. Wenn daher die
Rosse des Pelops, sei es vermöge der Beflügelung, sei es vermöge einer ihnen
von Poseidon eigens verliehenen Wundergabe, über das Meer laufen können,
so muſs Pelops mit ihnen auch wirklich über das Meer gefahren sein, wie
es ja auch die herrliche Vase von Arezzo (M. d. I. VIII taf. 3) darstellt,
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[187/0201] hatte. Der Schwerpunkt dieser Veränderung scheint mir in der Umgestaltung der Charaktere der Klytaimnestra, die zur Gatten- mörderin, und des Orestes, der zum Muttermörder wird, zu liegen; und ähnliche Wandlungen erfährt auch der Mythos von der Vorge- schichte des Atridenhauses, die ja überhaupt erst in der Zeit des ab- sterbenden Epos im Einzelnen ausgebildet worden ist. Während die Ilias bekanntlich weder von einer Einwanderung des Geschlechtes 35) 35) Das wird wohl heute allgemein zugestanden: von Hermes hatte Pelops das Szepter erhalten, nicht also die Herrschaft usurpiert, und wie wäre es denkbar, daſs in dem ganzen homerischen Epos niemals darauf hingewiesen würde, daſs der Schauplatz des Krieges der alten Heimat des Atridengeschlechts nahe liegt, wenn die Sage von der Einwanderung des Pelops dem Sänger und dem Hörer bekannt gewesen wäre. Und Oinomaos und Hippodameia? Dem homerischen Epos sind sie bekanntlich fremd, und wenn ich die dürftigen, aber laut genug sprechenden Reste einer von der vulgären Anschauung ab- weichenden älteren Überlieferung richtig deute, so gehören beide ursprüng- lich nach Lesbos, und nach der ältesten Sagenversion freite nicht der lydische Ankömmling Pelops die einheimische peloponnesische Königstochter Hippo- dameia, sondern der einheimische Herrscher von Argos, Pelops, raubte sich aus dem fernen Lesbos die Braut. Die freilich ziemlich jungen Münchener Scholien zum Orestes 990 nennen Oinomaos König von Lesbos. Auf Lesbos liegt Killa und das Heiligtum des Apollo Killaios, Stätten, die zur Er- dichtung des Wagenlenkers des Pelops, Killos, Veranlassung gegeben haben, und deren Gründung dann umgekehrt die aus dem Theopompos erhaltene lokale Stiftungssage mit dem Tod dieses Killos in Verbindung bringt (schol. Il. Α 38). Die Stätte, an welcher die eigentliche Katastrophe, der Tod des Myrtilos, haftet, das Vorgebirge Geraistos an der Südspitze von Euboia, liegt weit ab von Elis, auch dem Isthmos, der später das Endziel der Wett- fahrt ist, nicht allzu nahe, aber für den, der auf geradem Wege von Argos nach Lesbos oder von Lesbos nach Argos gelangen will, ist es unver- meidlich. In Poesie und Kunst hat Pelops von Poseidon göttliche Rosse, die über das Meer laufen können (Cic. Tusc. II 27, 67), auch auf dem Kypseloskasten geflügelt dargestellt waren. Die wirklich alte gute Sage pflegt mit solchen wunderbaren Motiven äuſserst ökonomisch zu verfahren; sie erdichtet sie nur dann, wenn sie wirklich nötig sind. Wenn daher die Rosse des Pelops, sei es vermöge der Beflügelung, sei es vermöge einer ihnen von Poseidon eigens verliehenen Wundergabe, über das Meer laufen können, so muſs Pelops mit ihnen auch wirklich über das Meer gefahren sein, wie es ja auch die herrliche Vase von Arezzo (M. d. I. VIII taf. 3) darstellt, und auch, wie dort, mit Hippodameia. Man hat diese Abweichungen von der

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Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/201>, abgerufen am 21.11.2024.